Gustav Klimt: Pigmente und Pixel, Unteres Belvedere

01. Mrz. 2025 in Ausstellungen

Gustav Klimt, Pixel und Pigment, Unteres Belvedere, Wien. Courtesy Belvedere, Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Tausende Touristen strömen jährlich zu Gustav Klimts Gemälden im Oberen Belvedere. Für einige Wochen werden jetzt im Unteren Belvedere bisher Unsichtbares in seinen Werken gezeigt.

Bäume, davor eine Wiese, verstreute Hühnern – Gustav Klimts „Nach dem Regen“ ist kein spektakuläres Werk. Aber etwas irritiert in der so naturnahen Illusion: Wenige Zentimeter vom unteren Rand entfernt ist ein dunkler Fleck. Der passt so gar nicht in die weiche Farbigkeit des Bildes.

Es war ein Huhn!

Entstanden 1898 am Hallstätter See, gehört das Werk heute zur Sammlung des Belvedere. Jetzt ist es zusammen mit sieben weiteren Gemälden in der aufsehenerregenden Schau  „Gustav Klimt: Pigment & Pixel“ in der Orangerie zu sehen. Denn seit zehn Jahren werden diese Werke mit neuesten Technologien untersucht, um mehr über Klimts Arbeitsweise, seinen Bildaufbau und die verwendeten Materialien herauszufinden. So konnte jetzt auch das Geheimnis der dunklen Stelle gelöst werden: Infrarotreflektografie und digitale Röntgenaufnahmen enthüllen: Es war einmal ein Huhn!

Gustav Klimt, Pigment und Pixel, Unteres Belvedere, Wien. Courtesy Belvedere, Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Überraschungen in Gustav Klimt-Gemälden

Viele solcher überraschenden Details finden sich in jedem der acht ausgestellten Werke. „Forsthaus in Weißenbach I“ begann Klimt mit einer akribischen Unterzeichnungen. Jeden Baum, Busch und sogar jede Blüte gibt er einen fixen Platz, mit kleinen Buchstaben notiert er neben den Blüten sogar die Farben. Sein Portrait von Marie Breunig zeigt in Makroskopaufnahmen, dass er sein „Frauenbildnis“ von einer Fotografie mit einem Raster auf die Leinwand übertrug – und es dann in weiterer Ausführung mit den Farbkontrasten meisterhaft malerisch überhöhte. Im nicht vollendeten Portrait von Amalie Zuckerkandl enthüllt die Technik, dass die Dame erst in der Übermalung die leicht geöffneten, fast lasziven Lippen erhielt. In der ebenfalls unvollendeten „Dame in Weiß“ korrigierte er immer wieder Kopfform und Frisur.

Gustav Klimt, Pigment und Pixel, Unteres Belvedere, Wien. Courtesy Belvedere. Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Bei Gustav Klimt ist alles wichtig

Solche sukzessiven Veränderungen sind in der Kunstgeschichte keineswegs ungewöhnlich. Aber bei „Klimt ist alles wichtig“, erklärt Kurator und Klimt-Spezialist Franz Smola dazu. Dank der perfekten Ausrüstung ist das Belvedere die weltweit führende Anlaufstelle für alle technologischen Untersuchungen – und Anfragen. Oft werde etwa gefragt, mit welcher Technik Klimt das Gold auf seine Leinwände brachte. Hier setzt der zweite Raum der Ausstellung an.

Zwischen 1901 bis 1909 entstanden seine – wenigen – Werke der „goldenen Phase“, die alle mit echtem Blattgold versehen sind. Mit anschaulichen Tafeln wird der Vorgang erklärt: Erst grundierte Klimt die Leinwand, trug dann auf die gesamte Hintergrundfläche dünn geschlagene Messingplättchen auf, malte darüber mit dunkelbrauner Ölfarbe und ließ zum Schluss „feine Blattgoldflocken darüber rieseln“, wie es Franz Smola beschreibt. Das erkläre, warum die Flächen im weltberühmten „Kuss“ so grobkörnig wirken können. Für die metallischen Partien der Gewändes des Paares setzte Klimt Blattsilber und -platin ein. Jede noch so feine Linie überzog Klimt mit Blattgold, manchmal übermalte er wie beim Halsband der „Judith“ die hauchdünnen Blätter noch einmal mit Ölfarbe. All diese Ergebnisse werden faszinierend verständlich in der überzeugenden Ausstellungsgestaltung von checkpointmedia, die mit transparenten Folien, kleinen Schautafeln und kurzen Videos neben den Originalen die Ergebnisse veranschaulichen.

Gustav Klimt, Pigment und Pixel, Unteres Belvedere, Wien. Courtesy Belvedere. Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Rekonstruktion der Fakultätsbilder

Der Höhepunkt der Ausstellung aber sind die rekolorierten „Fakultätsbilder“. Gemeinsam mit seinem Kollegen Franz Matsch erhielt Klimt den Auftrag für fünf große Bilder für die Decke des Großen Festsaals der Universität plus zehn kleinere Zwickelbilder. Klimt sollte die Fakultäten Philosophie, Medizin und Jurisprudenz malen, jedes vier Meter hoch – wofür Klimt ein eigenes Atelier mit hohen Räumen mietete. Seine „Philosophie“ zeigt eine mächtige Sphinx, die „Medizin“ eine Hygiia und in der „Jurisprudenz“ wimmelt es von Rachegöttinnen. Noch im unvollendeten Zustand stellte Klimt die Werke in der Wiener Secession aus, die Reaktion waren voller Empörung. Zur „Philosophie“ schrieb ein Kritiker von einem „gründdurchleuchteten Aquarium“, bei der „Jurisprudenz“ wurde die übermächtigen Farben schwarz und gold, „also keine eigentlichen Farben“, kritisiert. Die „Medizin“ beschrieb einer als „rauschende Ouverture in Rot“. Diese Kommentare sind heute enorm wichtig, denn die Bilder wurden beim Brand in Schloß Immendorf im Mai 1945 verbrannt.

Überliefert sind nur schwarz-weiß-Fotografien. Wie mögen die Farben im Original gewesen sein? Dieser Frage ging Google Art & Culture mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz nach, die zunächst mit 95.000 Bildern als grundlegendes visuelles Vokabular trainiert wurde. Im nächsten Schritt kamen Klimts Bilder hinzu, dann detaillierte Bildbeschreibungen der Gemälde plus Referenzfarben der bekannten Werke. Im letzten Schritt wurden die Motive abgeglichen. Schon seit November 2024 kann das Ergebnis auf der Fassade der MedUni Wien bewundert werden, wo die farbige „Medizin“ als 12 Meter hohes Wandbild hängt. In der Orangerie sind alle drei als originalgroße Drucke der rekolorierten Fotografien zu sehen und geben erstmals einen Eindruck, wie revolutionär Klimts Entwürfe damals waren.

veröffentlicht in: Die Presse, 20.2.2025