Mehr Bürgerbeteiligung und weniger Experten-Beglückung braucht es, die Medien seien „Demokratiesurrogate“, eine politisch aktive Gesellschaft existiere nicht und die „Politikerpolitik entscheidet nach Druck“ – kurz: die Demokratie ist am Ende. So sieht der Soziologe Harald Welzer den Stand unserer Gesellschaft. Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch spricht sogar davon, dass wir in einer Phase der „Postdemokratie“ leben, in der die Bürger nicht mehr an Entscheidungen beteiligt sind, sondern nur noch im Sinne eines Allgemeinwohls zufrieden gestellt werden. All dies packt jetzt der Berliner Kunstkritiker & Kurator Raimar Stange in eine Ausstellung mit nur neun KünstlerInnen: „Nachdemokratie“. Das ist ein großes Vorhaben, denn kann mit Kunst über Machtverschiebungen, politische Fehlentwicklungen und deren Folgen Nennenswertes ausgesagt werden? Können hier visuelle Mittel zu mehr eingesetzt werden als nur plakativ auf Bekanntes hinzuweisen?
Viele der ausgestellten Werke beruhen auf Zeitungsfotos, wenn Christine Würmell den Fußballer Maradona mit dem T-Shirt-Aufdruck „Stop Bush“ nachzeichnet, Eva Egermann die Kopie einer Mediennachricht mit gestapelten Stühlen als Barrikaden präsentiert oder Rirkrit Tiravanija von Studenten in Thailand Demonstrationsfotos nachzeichnen ließ. Dazwischen hängen Anna Meyers Bilder von Migranten, von Konsumtempeln und einer Demonstration und Björn Melhus zeigt seinen erschreckenden Mitschnitt einer Szene, die er 1990 am Tag der deutschen Währungseinheit in Ostberlin filmte: US-amerikanische Jugendliche singen euphorisch von Freiheit – um dann zu verkünden, dass jetzt jeder eines ihrer T-Shirts kaufen solle.
So sind alle zentralen Eckthemen rund um „Postdemokratie“ – von der Macht des Marktes bis zu Protestformen – versammelt. Und das ist eine vorwiegend brave Bestandsaufsaufnahme, die uns mehr ein brennend aktuelles Thema vorführt als Unerwartetes beiträgt. Zwei Beiträgen allerdings gehen weit darüber hinaus und regen zum Nachdenken über komplexere Zusammenhänge an: die mysteriösen, leeren Tapeziertische von Sarah Ortmeyer, vorne angebrannt und hinten in Tür- oder Bilderrahmen übergehend – das ist offen für verschiedene Assoziationen, behauptet Beziehungen zwischen der Welt der Flohmärkte mit Kunst und Architekturen. Vor allem aber ist es sehr endzeitlich. Dahinter dann steht in großen Buchstaben quer über die gesamte Wand „Too big to fail“. Es ist der Zauberspruch, mit dem die Banken-„Rettung“ durch staatliche Gelder gerechtfertigt wurde. Die Banken seien zu systemrelevant, um sie scheitern zu lassen. Hier in der Ausstellung sind die Buchstaben jetzt aus Fotos jener Demonstrationen gebildet, die 2009 gegen diese Finanzierungsaktion stattfanden.
Mit diesem kleinen Trick schafft es Oliver Ressler, das gesamte Dilemma unserer „Postdemokratie“ in einem starken Bild zusammenzufassen: Die Grundlage der staatlichen Entscheidung ist aus – protestierenden – Menschen geformt. Beides ist untrennbar verbunden. In beiden Werken ist die Bandbreite des Themas vom pessimistischen Konstatieren bis zum Aufbegehren enthalten – und beide vermitteln eine deutliche Botschaft: ´Post´ hin oder her – Aufgeben möchte keiner diese Staatsform.
Nach Demokratie, Kunstraum Niederösterreich, 13.1.-12.3.2011, Herrengasse 13
veröffentlicht in: Die Presse, 14.1.2010