Starke Italiener im Dorotheum

30. Mai. 2016 in Kunstmarkt

Lucio Fontana, Dorotehum. Sammlung Dr. Norbert Salenbauch

Lucio Fontana, Dorotehum. Sammlung Dr. Norbert Salenbauch

Kaum eine Region verzeichnet in den letzten Jahren derartig steigende Preise wie die Nachkriegsmoderne Italiens. Im Oktober 2015 meldete Christie´s einen Umsatzrekord des Italien Sale von gut 55 Mio Euro, die Spitzenlose von Lucio Fontana, Michelangelo Pistoletto oder Enrico Castellani gingen weit über die Millionengrenze hinaus. Zu einem der wichtigsten Plätze für dieses Segment hat sich in den letzten Jahren vor allem das Wiener Dorotheum entwickelt, was auch die heurige Frühjahrsauktion für Zeitgenössische Kunst beweist: Knapp die Hälfte der 99 Lose im prominenten Teil der am 1. Juni um 18 Uhr stammen aus Italien. Das Spitzenwerk ist Lucio Fontanas „Concetto Spaziale, Attesa“ von 1967/68, dass auf 600.000-800.000 Euro geschätzt ist. Schaut man sich die Preise der letzten Jahre an, wird dieses monochrom blaue Bild mit dem einen einzigen, markanten Schnitt mitten durch die Leinwand sicherlich die Millionengrenze überschreiten (tat es nicht!).
Denn für diese gestisch-radikale Malerei ist Fontana weltbekannt und begehrt. Der 1899 in Argentinien geborene, aber in Italien aufgewachsene Künstler sprach selbst allerdings nie von Malerei, sondern von „spatial concept“. Nicht der Farbauftrag, sondern die Räumlichkeit interessierte ihn. Seine Erfindung, sagte er 1968 einmal, sei „das Loch und das ist es,“ mehr müsse er als Künstler nicht mehr finden. Um den Eindruck einer Raumtiefe zu verstärken, hinterlegte er die scharfen Schnitte durch die Leinwände mit einem feinen Stoff. Jenen Werke mit einem Schnitt fügte er im Titel „Attesa“ hinzu, jene mit mehreren Schnitten die Pluralform „Attese“, was mit ´Erwartung(en)´ übersetzt werden kann.
Fontana suchte einen Weg, die Bilder in die Umgebung hinein zu erweitern, die Zweidimensionalität zu überwinden und so die Diskrepanz zur Wirklichkeit zu vermindern. Während die Werke uns bisweilen an Wunden erinnern, sah Fontana selbst darin eine „kosmische Strenge“, wie er es 1966 für seinen komplett weißen Raum auf der Biennale Venedig formulierte. Seine ersten Schnitte vollzog er in den 1950er Jahren und sehr bald folgten andere Künstler seiner bahnbrechenden Innovation.

Marina Appolonio // Dorotheum

Marina Appolonio // Dorotheum

Sie fanden immer neue, wenn auch prinzipiell ähnliche, radikale, räumliche Konzepte. Diese Werke kommen im Dorotheum zu oft noch durchaus günstigen Schätzpreisen unter den Hammer. Turi Simeti (1929) trug elipsenartige Formen auf monochrome Leinwände auf (30.00-40.000); Enrico Castellani (1930) spannte die Leinwände über ein Muster von hervorstehenden Nägeln, bevor er Farbe auf die reliefartigen Oberflächen auftrug (Superfice bianca, 1986, 250.000-300.000); auch Agostino Bonalumi (1935-2013) verzichtete auf malerische Sujets und transformierte die Leinwände in Skulpturen, wenn er zwischen Keilrahmen und Leinwand Holzformen einklemmte, die sich durch die Leinwand als Linien durchdrücken (Grigio, 1987, 150.000-200.000). Auch einige Künstlerinnen sind dabei: Carla Accardi (1924-2014) benutzte eine leicht transparente Plastikfolie, wodurch sie „der Malerei all ihren totemischen Wert“ nehmen wollte, wie sie einmal erklärte (28.000-30.000). Und Dadamaino (Eduarda Maino, 1930-2004) arbeitete mit jenem Plastik, aus dem Duschvorhänge produziert werden und nannte die oft durchlöcherten Wandobjekte „Volumina versetzter Module“ (110.000-160.000). Marina Apollonio (1940) gehört schon zu der nächsten Generation, die in den späten 1960er Jahren mit ihren Kreisbildern ähnlich der Op Art Studien zur Wahrnehmung betrieb (55.000-70.000).

Otto Piene, Weisser Lichtgeist. ZERO - Zeppelin Museum Friedrichhafen // Dorotheum

Otto Piene, Weisser Lichtgeist. ZERO – Zeppelin Museum Friedrichhafen // Dorotheum

Aber nicht nur in Italien, auch in Deutschland suchten Künstler in der Nachkriegszeit eine neue künstlerische Sprache. In Düsseldorf gründeten Heinz Mack und Otto Piene 1958 die Gruppe ZERO. Auch sie überwanden die engen Grenzen des Tafelbildes, konzentrierten sich auf wenige Farben und Formen und experimentierten gerne mit Motoren und Leuchtkörpern. Zu den begehrtesten Werken der Gruppe gehören Otto Pienes „elektrifizierte Glasplastiken“. 1961 entwarf Piene (1928-2014) seinen „Weißen Lichtgeist“, der 1966 erstmals gefertigt und von dem Künstler 2012 neu produziert wurde (230.000-300.000).

Tom Wesselmann, Nancy Scirbble // Dorotheum

Tom Wesselmann, Nancy Scirbble // Dorotheum

Diese wunderbar reduzierten Werke der europäischen Minimalisten prägen diese Frühjahrsauktion des Dorotheums. Nur wenig Lautes, Buntes, Poliertes ist dabei. Allerdings auch nichts, was über eine Million geschätzt ist – und damit spiegeln die Contemporary-Auktionen den gegenwärtige Trend wider: Die Sammler trennen sich gerade nur ungerne bis gar nicht von ihren Schätzen. So sind die Spitzenlose neben Fontanas nur 46 x 55 Zentimeter kleinen Meisterwerk von ähnlich unspektakulärem Format: Gerhard Richters kleines, frühes Portrait von Karl Heinz Hering (1968; 400.00-600.000; blieb liegen), des damaligen Vorsitzenden des Düsseldorfer Kunstvereins. An dritter Stelle kommt Tom Wesselmanns Portrait der Kunsthistorikerin Nancy Rosen (260.00-300.00). Portraits sind im Werk des Pop-Art-Künstlers eher selten, zeigen aber sehr schön seinen Wunsch, „figurative Kunst genauso spannend wie abstrakte Kunst zu machen,“ wie er einmal betonte – ein Anliegen, das Georg Baselitz sogar in seinen blumenfreudigen Kompositionen unterschreiben könnte (180.000-260.000).

Georg Baselitz, St. Georgstifel, 1997 // Dorotheum

Georg Baselitz, St. Georgstifel, 1997 // Dorotheum

Im zweiten Teil der Contemporary Art am 2. Juni um 17 Uhr ist Andreas Gurskys wunderbare, frühe Alba-Fotografie von 1989 auf 60.000-80.000 geschätzt (liegengeblieben) und damit das teuerste Los des Abends. Weder Hermann Nitsch noch Erwin Wurm, nicht einmal Damien Hirst, Anish Kapoor oder Frank Stella sind sechsstellig geschätzt – aber vielleicht schaffen die Italiener den Preissprung (nichts ging über 1 Mio Euro).
veröffentlicht in: Die Presse, 28.5.2016