The Porn Identity – Pornografie in der Kunst

05. Mrz. 2009 in Ausstellungen

Porn Identity – Pornografie mit Lehrbefugnis
„Warum wirkt ein Pornofilm stimulierend? Welche Sexualtechniken verdanken wir dem Pornofilm? Spiegeln Pornofilme die bestehenden gesellschaftlichen Macht- und Geschlechterverhältnisse?“ Das sind Fragen, die erwartungsvoll aufhorchen lassen. Entnommen sind sie allerdings nicht einer wissenschaftlichen Abhandlung über Pornografie, sondern einem Wiener Ausstellungskatalog, und das eigentlich Verblüffende an dieser Untersuchung ist nicht das anspruchsvolle Forschungsinteresse, sondern die Art und Weise, in der die Antworten gegeben werden – in Bildern. Reißerische Cover-Seiten des US-amerikanischen Männermagazins „Hustler“ und Stills aus Pornofilmen flankieren die Leitfragen auf den ersten Seiten des Katalogs. Und auch in der Ausstellung wird nicht mit eindeutigen Szenen gespart. Denn mit „The Porn Identity“ wollen die Gastkuratoren Thomas Edlinger und Florian Waldvogel den „Wildwuchs der Pornografie mit Laufbildern, Skulpturen und Installationen“ konfrontieren, „die das sexuelle Begehren reflektieren.“

Dieses Begehren ist hier allerdings vor allem ein voyeuristisches. Eine Tür ist angelehnt, dahinter läuft ein Pornofilm. Wer in den Raum einzutreten versucht, wird entlarvt – die Tür lässt sich nicht öffnen. Wenige Schritte später kommen die gar nicht so heimlichen Beobachter dann aber voll auf ihre Kosten. Dank der großzügigen Auswahl von kommerziellen und alternativen Pornos ist die Ausstellung dominiert von Blowjobs und Penetrationen in Großaufnahme. Die dazwischen gestreuten Kunstvideos sind der kommerziellen Pornografie entweder zum Verwechseln ähnlich oder entwickeln kaum Widerstandskraft gegenüber der triebabführenden Konkurrenz, zieht das Gleichmaß der Porno-Bewegungen die Aufmerksamkeit doch unausweichlich weiter. Die auf eine Litfaßsäule und auf den Boden gedruckten sexuellen Anbahnungs-Texte in John Millers Installation lesen sich daneben wie der Beipackzettel von Medikamenten. Ähnlich unterkomplex schrumpft in der Gegenüberstellung auch Monica Bonvicinis Plakat These Days Only a Few Men Know What Work Really Means (1999) mit seinen überlebensgroßen Schwulenporno-Szenen mit nackten Bauarbeitern. Selbst Ed & Nancy Kienholz´ Flippermaschine mit den vorne anmontierten, gespreizten Frauenbeinen mutiert von der kulturellen Grenzüberschreitung zum simplen Beweisstück einer pornografischen Kunst.
Nur die großen Skulpturen schaffen es in Porn Identity, den ewig gleichen Pornobildern offene Assoziationsketten entgegenzusetzen. Mit ihrer minimalistischen, glänzend weißen Queer Bar, Powerless Structures thematisieren Elmgreen & Dragset gesellschaftliche Normen: eine umgekehrte Bar mit nach außen verlagerten Zapfsäulen und Barhockern im Inneren. „Queer“ heißt umgangssprachlich „Falschgeld“ und war anfangs einmal ein Schimpfwort für Homosexuelle, bis die Gender-Theorie es zu einem identitätsstiftenden Label für alles gemacht hat, was anders ist und deshalb Subversionskraft für sich reklamiert. In Elmgren & Dragsets klinisch reiner Installation wird die „Queerness“ zum paradoxen Symbol einer spiegelfechterischen Verschränkung in sich selbst. Auch Tom Burr lädt die strenge Ästhetik des Minimalismus mit sexueller Bedeutung auf, wenn er reduzierte schwarze Kuben als Pferdeställe ausformuliert und zusammen mit Tatiana TrouvésTotem, ein an Alexander Calder erinnerndes Gleichgewichtsspiel aus Leder, Seilen und Piercinggeschmeide, Gedanken an Domestizierung, Dressur und Fetischkultur weckt.
Die „Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Kunst und der visuellen Kultur der Stimulation“ wollen die Kuratoren mit Porn Identity befragen. Das ist ein spannendes Thema, das im Katalog von Linda Hentschel überzeugend kunsthistorisch, von Thomas Edlinger beeindruckend kulturwissenschaftlich (inklusiv Porno-Slang-Terminologie) ausgeführt wird. Als Ausstellung dagegen gerät „The Porn Identity“ fatal doppelbödig: Das ambitionierte Theorie-Projekt entpuppt sich als einträchtiges Quotenprogramm. In der Ausstellung dominieren die kommerziellen Einheits-Nackten als Eyecatcher. Das Subtile und Verführerische, mit dem die Kunst dem Kommerz ihre Gegenbilder entgegensetzen kann, verliert sich angesichts der allzu wenigen Variationen in Stil, Pose, Geste, Inszenierung. Im Nebeneinander werden die Kunstwerke mit den Pornos einfach gleichgeschaltet, als seien sie Ver- und Beweisstücke eines Diskurses, dessen klischeehafte Bebilderung von den Kuratoren zudem kaum entkräftet, sondern leider bestärkt wird. Wissen ummantelt dabei Voyeurismus, Kunst legitimiert Geilheit. Hier die Kuratoren mit ihrem distanz-geprägten Blick, dort das genitale Erregung suchende Publikum, das dem eindeutigen Versprechen folgt, bestätigt durch den Titel, der einem Film von 2005 entlehnt ist. Mit Pornografie wird Quote gemacht, nur dass das angelockte Quotenpublikum als solches auch noch bloßgestellt, vom reflektierenden Blick des Theorie-Konzepts als dumpfe Masse brüskiert wird. Hätten aber die Kuratoren nicht selbst darauf zu achten, dass der andere Blick als Alternative erlebbar wird?

Und zu den Eingangsfragen: Folgte man der Auswahl hier, so verdankten wir der kommerziellen Pornografie nahezu nichts, so redundant sind die Stellungen und Bilder – die auch die zweite Frage beantworten: die Stimulation verliert sich in der Langeweile der Wiederholung. Das aber wussten die Pornografiekritiker immer schon, auch ohne den Beistand der Kunst. Dabei könnte doch gerade die Kunst die Bilder und Spurenelemente von Begehren, Fetisch und Gewalt aus der Pornografie herausfiltern, die sich in der Offensichtlichkeit des kommerziellen Mainstream stets verbirgt. Spannend wird es deshalb bei der dritten Frage: Pornofilme allein können sicher nicht die bestehenden gesellschaftlichen Macht- und Geschlechterverhältnisse spiegeln. Sie verlangen nach einer aktiven Stellungnahme ihrer Betrachter. Die Wiener Ausstellung ist aber eines jener Projekte, die über den schnellen Effekt gerade diese Stellungnahme vermissen lassen.

veröffentlicht in: www.artnet.de, 5.3.2009

„The Porn Identity“, Kunsthalle Wien. Vom 11. Februar bis 1. Juni 2009

Mit Louisa Achille, Nic Andrews, Joanna Angel, Kenneth Anger, Fernando Arias, Martin Arnold, James Avalon, Belladonna, Andrew Blake, Monica Bonvicini, Angela Bulloch, Tom Burr, Ellen Cantor, Marilyn Chambers, T. Arthur Cottam, Gerard Damiano, Gregory Dark, Katrina Daschner, Nathalie Djurberg, Marcel Duchamp, Elmgreen & Dragset, Jean Genet, Sachiko Hanai, Marlene Haring, Jenna Jameson, Ron Jeremy, William E. Jones, Richard Kern, Edward Kienholz & Nancy Reddin Kienholz, Terence Koh, Stanley Kubrick, Bruce LaBruce, Michael Laub & Dean Proctor, Joseph Maida, Dorit Margreiter, Dona Ann McAdams, Eon McKai, Olaf Metzel, John Miller, Jim & Artie Mitchell, Robert Müller, Richard Prince, Panik Qulture, Rinse Dream, Iwata Roku, Doug Sakmann, Carolee Schneemann, Rocco Siffredi, Snoop Dogg, Hito Steyerl, Paul Thomas, Tatiana Trouvé, Tobaron Waxman, Lawrence Weiner, Octavio Winkytiki, Johannes Wohnseifer, Tseng Yu-Chin, Nick Zedd und Jack the Zipper.