Heimo Zobernig im MUMOK Wien

23. Jun. 2021 in Ausstellungen

Strenge Raster, Gittermuster, wenig Farben, sparsame Materialien – so kennt man das Werk von Heimo Zobernig. So hatte er auch seine große Retrospektive 2002 im MUMOK angelegt. Auf einer Gitterwand hingen damals achtzehn Gemälde eng über- und nebeneinander, dazu Kuben, Modelle, Videos. Als Gastauftritt war eine Skulptur des österreichischen Bildhauers Fritz Wotruba dazwischen gemischt – damals die einzige Figuration in der gesamten Ausstellung.
Jetzt darf der international renommierte Künstler erneut im MUMOK ausstellen – und überrascht mit einer gänzlich anderen Atmosphäre. „Sculpture sculpture painting painting painting“ nennt er seine große Personale – im Lesen werde es ein „Ausruf oder eine Zauberformel“, erklärt der 1958 in Kärnten geborene Künstler den Titel. Zauberformel? Tatsächlich hat sich Zobernig von seiner früheren Strenge abgewandt und beschwört jetzt Verwandlungen und Mehrdeutigkeiten. Zwar dominiert zunächst die mitten im Raum stehende, schwarz-weiß gerasterte Installation unseren ersten Eindruck. Aber rundherum entfaltet sich ein neues Werk: figurative Skulpturen treffen auf gestische Malerei, auf Bilder mit prächtigen Farben und sogar Glitzersteinen von Swarowski. Statt strengen Flächen sehen wir wilde Linien. Er habe das Raster in Schlangenlinien aufgelöst, erklärt Zobernig dazu im Gespräch, „mit der gekrümmten Linie kann man Empfindungen ausdrücken, das Raster ist kalt.“ In einem Seitenraum hängen wunderbar irrisierende Bilder. Je nach Blickwinkel und Lichteinfall variieren die Farbtöne. Stabil dagegen bleiben die darauf mit Schablonen geschriebenen Worte, die benennen, was wir sehen: „Interference Farbe“, „monochrom“: Wie monochrom muss Monochromie sein? Manchmal erkennt man in den Bildern kunsthistorische Referenzen, wenn er etwa die konstruktivistischen Bilder von Piet Mondrian mit viel zu vielen Linien übersteigert, „weiterführt“, wie Zobernig es nennt.
Oder das Bild hinten auf der großen Stirnwand, ganz rechts, zu dem er sagt: „Das ist Picasso!“ Picasso ließ sich von Edouard Manets „Frühstück im Grünen“ inspirieren, auf das sich auch Zobernig hier bezieht: Die breiten Linien sind die Personen, das Rastermuster unten links die Picknickdecke, die leiterähnlichen Linien rechts die Bäume, in den dunklen Farben kann man einen Mann mit Hut erkennen. So gestisch hier alles wirkt, so konstruiert ist das Bild doch: Zobernig beginnt mit Klebestreifen auf der Leinwand, dann folgen Farbschichten, zuletzt werden die Streifen abgezogen, es seien bis zu sechs Ebenen, erklärt er.
Ähnlich aufgebaut, aber absolut konträr dazu sind die bunten Pixelbilder! Dicht an dicht gehängt, bilden sie einen langen Fries. Was wie ein temperamentvolles Mosaik erscheint, bezieht sich tatsächlich auf sein eigenes Werk. Denn mit der neuen Videotechnik der brillant-scharfen Bilder verlor Zobernig das Interesse an dem Medium, ihm fehlten die Unschärfen. Wer mit leicht zugekniffenen Augen die Bilder betrachtet, kann darin Worte lesen, die den Bezug benennen: Ganz link beginnt es mit „Video“ in blau geschrieben, daneben „look“ in grün. Ein anderes spielt mit der Assoziation Nacht, am Ende kann man „oh no oh no look“ lesen. Dahinter im Seitenraum steht eine Schaufensterpuppengruppe beisammen. Eine weibliche Figur sitzt im Billy-Regal: „Das bin alles ich!“ Auch die Frau? „Ich empfinde mich als melancholisch, im Regal sitzend, in dieser Pose.“ Mit der Bemalung erhalten die Puppen Lebendigkeit – ein ewiges Thema der Kunst.
Denn trotz aller Neuerungen, die wir in diesen Werken sehen, bleibt eines auch in den Werken der letzten 20 Jahre entscheidend: Zobernig ist ein Meister der Referenzen und Analysen. Jedes seiner Werke ist immer auch ein Nachdenken über Kunst, über das System, über Ausstellen, über die Kunstgeschichte – auch wenn wir ohne seine Erklärungen manche der Bezüge kaum selbst finden können. Einfacher ist es bei den Formen: Wände sind Wände, sind Skulpturen, werden Podeste, werden Sitzbänke, entfalten eine Schönheit in ihrer puren Materialität und referieren vor allem immer wieder auf seine eigenen Werke. Fast versteckt steht ein kleiner, schwarzer Würfel auf einem schmalen Podest. So unscheinbar diese Skulptur ist, durchzieht ihre Form doch die gesamte Ausstellung – und kehrt als Riesenobjekt im Treppenhaus wieder, als großes, schwarzes Quadrat auf dem weißem Kubus. Den entwarf Zobernig kurz vor seiner ersten Personale 2002 für das MUMOK als Verbindungsraum, um den leeren Luftschacht zu überbrücken. Meist nimmt man diesen Raum kaum bewusst war, schlendert von der einen auf die andere Seite. Jetzt aber ist der Gang mit einer Wand versperrt. Schmale Schlitze auf beiden Seiten lassen einen Blick in die Parallelausstellung „Enjoy“ im Nachbarraum zu, in die Neuaufstellung der MUMOK-Sammlung. Drüben stehen Skulpturen von Wotruba – und der Kreis zu seiner früheren Personale schließt sich. Darum war es auch notwendig, dass seine zweite Personale in Wien im selben Museum stattfindet. 2002 zeigte er die Vielfalt seines Werkes, jetzt konzentriert er sich auf das Wesentliche, und das folgt der Zauberformel: Malerei ist Skulptur ist Architektur.