„Das ist nicht die Art, wie ich sonst arbeite.“ Mit diesem Satz begann der international renommierte Kurator David Elliott die Pressekonferenz zur 1. Kiew Biennale. Mit Recht warnte er uns vor. Denn diese Biennale ist nur ein Andeutung – „The Best of Times, The Worst of Times. Rebirth und Apocalypse in Contemporary Art“, so der Titel der Ausstellung, ist nicht fertig geworden.
Austragungsort der 1. Kiew Biennale ist das „Arsenal“, ein frisch renoviertes, zuletzt als Militärbasis benutztes Gebäude. Ursprünglich war dieses Areal Victor Pinchuk zugesprochen worden. Der Multimillionär plante hier sein 2006 gegründetes „Pinchuk Art Center“ (PAC). Damals war er Parlamentsabgeordneter, die Zusage stand. Aber dann kam die orangene Revolution, die Regierung wechselte und es wurde kurzerhand entschieden, das Gelände für ein Museum zu nutzen. Heute steht sein PAC nahe des Besarabska Platzes und noch vor Eröffnung des geplanten Museums entstand hier kurzfristig diese Biennale.
Das gut 2000 qm große Gebäude liegt prominent gegenüber der Klosteranlage Pecherska Lavra mit seinen prächtigen, goldenen Kirchtürmen. Es ist ein kontrastreicher Ort: Auf der einen Straßenseite gehen alte Frauen mit Kopftüchern zum Gottesdienst in die Kirche. Auf der anderen Seite parken teure Autos den Gehsteig zu und stolzieren junge Frauen in aufreizenden Ballkleidern zur Eröffnung der 1. Kiew Biennale. Vor dem Haus schwankt Choi Jeong Hwas riesige, goldene, aufgeblasene Lotusblüte im Wind, öffnet und verschließt sich unermüdlich der ganzen Aufregung.
Nicht einmal neun Monate hatte Elliott für diese 1. Kiew Biennale. Finanziert zur Hälfte vom Staat, organisiert von Nataliia Zabolotna, die auch Direktorin des kommenden Museums ist, lud Elliott knapp 100 Künstler ein – offensichtlich zu viele. Im unteren Stockwerk beginnt die Ausstellung in einer perfekten Inszenierung, beeindruckende, raumgreifende Skulpturen in den geschätzt 12 Meter hohen Räumen erzählen von Angst (Louise Bourgeois), Geister (Shigeo Toya), wirken bedrohlich wie Phylida Barlows Stelen oder Ai Weiweis Tierköpfe, erinnern an Diktatoren (Vyachesla Akunov), lassen Nazi-Soldaten zu Gespenstern werden (Jake and Dinos Chapman) oder versuchen Ordnung in die Welt zu bringen (Song Dong).
Manchmal scheint hier über die Weltgeschichte gerichtet zu werden, dann sind es wieder ganz private Alpträume, die zu Bildern für Bedrohung und Chaos werden. Krieg, Tod, Einsamkeit – hier kommt allerhand zusammen, bis hin zu den bizarren Fantasien in Raqib Shaws Keramik-Brunnen mit Würmern und Krebsen, die sich lieben und fressen. In der oberen Etage dann bricht die Ausstellung radikal ab. Je weiter wir gehen, desto leerer werden die Räume. Verpackte Bilder lehnen an den Wänden, Namensschilder liegen herum, Kisten stapeln sich in einer Kammer, die als Beitrag von John Bock ausgewiesen ist. Nur etwas mehr als die Hälfte der Werke ist aufgebaut. Am Tag vor der Eröffnung sei der Strom ausgefallen, lautet die Erklärung. Deutlich überstürzt und unterfinanziert entstanden – die 1. Kiew Biennale ist ein trauriges Beispiel für einen Staat, der von Unberechenbarkeit gekennzeichnet ist. Da bleibt nur zu hoffen, dass die restlichen Werke überhaupt noch aufgebaut werden.
Arsenale 2012: The First Kiev Biennale, 24. May – 31.Juli 2012
Veröffentlicht in: www.artnet.de, 30.5.2012
http://www.artnet.de/magazine/arsenale-2012-die-erste-kiewbiennale/