Picasso und seine Kollegen waren nicht die einzigen, die begeistert waren von der „Negerplastik“. So nannte man Anfang des 20. Jahrhunderts Masken und Figuren aus Afrika. Manche Ethnologen sahen darin eine ähnliche Meisterschaft wie in den Skulpturen der italienischen Renaissance.
Aber andere lehnten diesen Blick völlig ab: Es handele sich um kultische Objekte, die ästhetischen Qualitäten seien zweitrangig, war lange die Meinung vieler. Mittlerweile hat sich der Streit gelegt, Stammeskunst ist zum beliebten Sammlungsgebiet geworden, das in jedem größeren Auktionshaus angeboten wird. Die Handelszentren sind nach wie vor Paris und Brüssel – die Hauptstädte ehemaliger Kolonialmächte, in denen im 19. Jahrhundert auch die ersten ethnologischen Museumssammlungen entstanden. Millionen von Objekten wurden dafür zusammengetragen, nicht immer einvernehmlich. Eigene Expeditionen wurden losgeschickt, Kolonialbeamte beauftragt, manches wurde gekauft, geklaut oder konfisziert. Es entstand ein ethnozentrischer Blick, der zwischen Kultur (Kunst) und Natur (Stammeskunst) unterschied, was gleichbedeutend war mit Zivilisation und Barbarei – und genau darin lag lange die Faszination. Mittlerweile hat sich der hierarchische Blick geändert, Stammeskunst wird unter den Aspekten ästhetischer, seltener, schöner Meisterwerke betrachtet.
Der Wert der Waffen, Ritualobjekte, Masken, Fetische und Gebrauchsgegenstände auf Afrika und Ozeanien ergibt sich dabei aus der künstlerischen Qualität verbunden mit der ehemaligen Funktion. Seit der Jahrtausendwende steigen dafür die Preise kontinuierlich und haben bereits die Millionengrenze überschritten. Die höchsten Summen brachte vor einigen Jahren die Sammlung der Händler Pierre und Claude Vérité: Die 500 Objekte erzielten insgesamt 44 Millionen Euro, allein eine geweißte Ngil-Maske brachte 5 Millionen Euro – je besser die Provenienz, also Herkunft, desto höher schnellen die Preise. Aber anders als bei zeitgenössischer Kunst herrscht in diesem Segment keine Drängelei, der Kreis der Interessierten ist übersichtlich.
Seit vier Jahren versteigert auch das Wiener Dorotheum Objekte aus Afrika und Ozeanien. Zur ersten Auktion 2011 kamen 152 Objekte aus der Sammlung von Rudolf Leopold unter den Hammer, mittlerweile stammen die Einlieferungen aus aller Welt. Aber gibt es in Österreich überhaupt einen Markt für Stammeskunst? „Bei uns ist Wüste. Wenn es zehn Sammlungen gibt, dann ist das viel,“ erklärt Erwin Melchardt. Er ist der Stammeskunstexperte im Dorotheum. Wie kam der ehemalige Kulturjournalist der Kronen Zeitung zu diesem Spezialgebiet? Melchardt studierte Völkerkunde und lehnte ursprünglich den privaten Besitz solcher Objekte ab – sie gehören ins Museum, war die gängige Meinung der Wissenschaft damals. Irgendwann sah er dann in einem Kiosk in Wien einen außergewöhnlichen Hocker mit einer „traumhaften Patina, da hatten schon viele drauf gesessen“. Der Kioskbesitzer fuhr im Winter oft nach Marokko und Algerien, kaufte dort einige Objekte und „bestückte damit seinen Kiosk. Den Hocker habe ich noch heute,“ erzählt Melchardt. Es war der Beginn seiner Sammlung.
Auch in der 10. Auktion am Montag kommen einige Hocker zur Versteigerung: Aus einem einzigen, harten Holz geschnitzt, knien da drei Figuren zwischen der Sitz- und der Bodenplatte. Bei dem zweiten Stück trägt ein Büffel die Sitzplatte. Beide Objekte stammen aus dem Kongo und weisen eine „deutliche Glanzpatina“ auf – eines der wichtigsten Kriterien für den Wert (Rufpreis 3.500,-). Denn sämtliche Stücke der Stammeskunst haben oder hatten eine klare Funktion: die Masken wurden auf Prozessionen getragen, mit manchen wurde getanzt. Das hinterlässt innen Spuren, an der Stirnpartie, Nase, Kinn. Daran könne man auch Fälschungen erkennen, erklärt Melchardt. Manchmal werde diese Patina künstlich erzeugt, aber die Wischspuren unterscheiden sich deutlich von den Gebrauchsspuren. Das ist besonders schön im Prunkstück der Auktion zu sehen: eine außergewöhnlich große Affenmaske der Luba aus dem Kongo. Er habe das Stück bei einem kleinen Händler in München entdeckt, es stamme ursprünglich aus einer privaten Kolonialsammlung in Belgien. Man kenne die kleinen Affenmasken, die als Schutzamulette in den Häusern hängen. Manche wurden auch getragen oder getanzt, aber dieses Stück ist überlebensgroß, aus leichtem Holz, dünnwandig geschnitzt, die Frisur mit Kaolinerde weiß gefärbt (Rufpreis 10.000,-). Der Hals ist unbehandelt und man erkennt deutlich die Löcher, an denen das Maskengewand befestigt war – ein weiteres, wichtiges Kennzeichen, um die Echtheit festzustellen. Denn die Löcher bei Fälschungen sind niemals so rund und unregelmäßig.
Die meisten Lose der Dorotheum-Auktion kommen aus Privatsammlungen und kreisen offenbar in einem endlosen Zirkel durch den Markt. Ist keine frische Ware aus Afrika zu finden? Manche würden behaupten, Afrika sei leer, erklärt Melchardt – aber das stimme nicht. Es gebe in Afrika durchaus noch einen regen Handel, immer wieder geben Menschen auch historische Stücke aus ihrem Familienbesitz her oder kommen besondere Kultobjekte auf den Markt. Aber die werden immer seltener, was mit ein Grund für die deutlich steigenden Preise ist. Daher sind die beiden lebensgroßen, seltenen Grabfiguren vom Stamm der Bongo aus Süd-Sudan, die direkt aus Afrika nach Belgien kamen, jeweils mit einem Rufpreis von 8.500,- angesetzt. Die eine Figur wird „Föri“ genannt: Der Körper besteht aus dreizehn rund geschnittenen, scheibenähnlichen Formen, darauf ruht ein stilisierter Kopf. Die Scheiben „sollen die Anzahl der Verdienstfeste angeben, die der Verstorbene für die Bongo-Gemeinschaft ausgerichtet hat,“ erklärt Melchardt. Verdienstfeste? Das seien die Feste, nachdem der Jäger Großwild erlegt hat. Ein anderer, seltenerer Typ von Stelen sind die überlebensgroßen Frauenfiguren – ein besonders schönes Exemplar kommt im Dorotheum zur Versteigerung. Diese Stelen wurden für bedeutende Priesterinnen oder Heilerinnen errichtet.
Die ältesten Objekte der Auktion sind vier gelochte Steinscheiben, mit denen Fischernetzte befestigt wurden. Die Senksteine aus dem 5.-3. Jahrtausend v.Chr. fand man in der Sahara, die damals mit Seen und Flüssen grün und fruchtbar war (Rufpreis 1.200,-).
Ein Höhepunkt der Auktion ist der Sarkophag des Toraja-Fürsten aus Indonesien aus dem 17./18. Jahrhundert (Rufpreis 12.000,-). Die Särge standen in Höhlen oder auf Plattformen in den Felswänden – eine Tradition, die nur den Aristokraten zustand. Drei Formen waren dafür gebräuchlich: für die höchsten Adelsränge die Schiffsform, die hier versteigert wird. Die niederen Ränge sind als Wasserbüffel, noch niedere als Schweine – ein Zeichen für Reichtum – geformt.
Eines der günstigsten Objekte der Auktion ist eine äthiopisch-christliche Bibel, handgeschrieben auf Pergament (um 1900 oder früher; Rufpreis 250,-). Äthiopien zählt mit Armenien und Georgien zu den ältesten christlich geprägten Staaten der Erde, der Ursprung wird um 316 vermutet, noch heute gehören gut 40% der Äthiopier dieser Kirche an. Davon zeugen auch die vier zur Versteigerung stehenden, ornamentalen Silberkreuze (ab 300,- Euro), die auf lange Stangen gesteckt und von den Priestern bei Prozessionen getragen werden – nicht wirklich seltene, aber wunderschöne Objekte.