Parallel Vienna in der Psychatrie

14. Sep. 2023 in Kunstmarkt

Courtesy Parallel Vienna 2023

Schon die verrücktesten Orte hat die etwas andere Kunstmesse Parallel Vienna bespielt. Heuer sind es erstmals Pavillons auf dem Gelände der Psychatrie – ob sich das verträgt?

Am Anfang des letzten Jahrhunderts galt das Otto Wagner Spital als die modernste und größte psychiatrische Klinik Europas. Heute ist das riesige Areal im 14. Wiener Bezirk in einer merkwürdigen Zwischensituation: 36 Pavillons verteilen sich in der idyllischen Parkanlage mit gepflegtem Rasen, vielen Bäumen und lauter Kieswegen dazwischen. Einig Pavillons sind noch im Betrieb. Andere stehen bereits leer. Das Areal wird langsam umgewidmet, es soll ein Kunst- und Kulturzentrum werden. Vielleicht wird ein Pavillon sogar ein Atelierhaus.

Dazwischen nutzt jetzt sechs Tage lang die nomadische Kunstmesse Parallel Vienna drei Pavillons:  Nr. 16, 22 und 24. Einer der Pavillons war früher für die Akutaufnahme. Die Fenster sind vergittert. Vor zwanzig Jahre arbeitete Lena Freimüller hier als klinische Psychologin. Jetzt ist sie mit ihrer Klagenfurter Galerie 3 in den Pavillon zurückgekehrt. I

hr Programm sei inklusiv angelegt, erklärt sie, aber sie wollte auf diesem Areal keine Art Brut zeigen – das sei „zu aufgelegt“, erklärt sie. Stattdessen zeigt sie die malerisch eingefärbten Kordeln von Theresa Kasalicky, eine subtile Raummalerei in verschiedenen Größen, die bei 850 Euro anfangen – der niedrige Preis ist nicht nur ein Konzept der Galeristin, sondern der Parallel insgesamt: Hier ist der Zugang zur Kunst niedrigschwellig und die Preise sehr moderat.

Zu viel Traumata für Kunst?

Pavillon auf der Baumgartner Höhe. Courtesy Parallel Vienna 2023

Aber ist es nicht sehr gespenstisch, in diesen von so vielen Traumata durchtränkten Räumen Kunst zu zeigen? Alle drei Pavillons waren früher Bettenhäuser. Man ahnt anhand der vielen Steckdosenleisten an den Wänden, wie viele Betten nebeneinander standen – manchmal bis zu 10, 12? Andere sind enge Einzelzimmer. Jetzt findet hier in jedem Winkel Kunst statt. Kann das gutgehen? Es kann – um das vorwegzunehmen.

2013 gegründet, ist ´Parallel´ spezialisiert darauf, unkonventionelle Räume für Kunstpräsentationen umzuwidmen, vom K.U.K. Telegrafenamt bis zur Ignaz-Semmelweis-Frauenklinik im 18. Wiener Bezirk. Anders als bei traditionellen Kunstmessen reihen sich an solchen Orten nicht die üblichen, möglichst neutralen Messestände aneinander. Die Parallel bespielt lange Raumfluchten.

Das Otto-Wagner-Areal sei das bisher größte Areal, erklärt Parallel-Gründer Stefan Bidner – und übrigens das erste, wo sie Miete zahlen müssen: 12.500 Euro plus 11.000 Kaution. Trotzdem haben sie die Kosten kaum erhöht, auch wenn ihr Budget eher knapp ist: „Wir haben zu wenig Sponsoren, wenn Sie jemanden kennen?“, fragt Kaveh Ahi vom Parallel-Team scherzhaft bei der Pressekonferenz.

150 Aussteller füllen die drei Pavillons, darunter rund 40 professionelle Galerien und viele Artist Statements. Deren Teilnahme ist kostenfrei, sie werden von dem Team der Parallel eingeladen. Es seien „primär Studienabgänger“, erklärt Bidner, und erklärt die Messe als eine „Leistungsschau der Wiener Kunstszene“.

Insgesamt sind hier Werke von 600 Künstlern versammelt. Qualitätskontrolle gibt es kaum, die Kunst ist höchst unterschiedlich, manchmal frech-plakativ, manchmal anstrengend naiv. Manches ist spannende Malerei, anderes verspielte Basteleien. Und unter all diesen Werken erinnern immer diese Steckdosenleisten an die Krankenbetten. Nur wenige Werke können unseren Blick davon ablenken. Kaum ein Werk nimmt direkten Bezug auf den Kontext. Irgendwo werde zwar der „Spiegelgrund“ thematisiert, erklärt Bidner. In der NS-Zeit diente die Krankenanstalt der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, darunter die Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“, in der von 1940-´45 800 kranke, behinderte und ´nicht erziehbare´ Kinder getötet wurden. Aber bei der Menge von Kunst sind diese Beiträge kaum auszumachen.

Insgesamt scheint hier zu gelten, das Gestern des Areals möglichst zu vergessen, ohne es zu verbergen. So verwandelt die Galerie Suppan das Zimmer in ein Maleratelier. Die Salzburger Galerie Tassilo Usner montierte die Steckdosenleisten ab, verputzte alles neu und malte die Räume aus, um einen weitgehend neutralen Raum für die Malerei zu schaffen. Radikal gelingt der Eva Kahan Foundation die Umwandlung: Im Raum sind Rasenstücke verteilt, auf einem hocken zwei Füchse – eine Gemeinschaftsinstallation mit Elena Kristofors „manipulierter Landschaft“ und Irene Hopfgartners Soundpiece „So Schallt es Heraus“. „Ein Stück Wienerwald“ habe sie in den Raum geholt, erklärt Kuratorin Angela Zach-Buchmayer.

Wie die meisten so findet auch sie die Pavillons nicht gespenstisch, sondern eine spannende Herausforderung: „Kunst transformiert“, erklärt sie ihre Überzeugung – was diese 11. Parallel eindrucksvoll beweist.

veröffentlicht in: Die Presse, 4.9.2023