„Was ist ein Kunstwerk?“ „Oh, ich weiß nicht, nur Künstler machen so was.“ „Ah, ich verstehe. Geben solche Künstler dir Werte für das Leben?“ „Nun – nein. Das gilt nur für die Werke. Nicht das Leben.“ Diese Sätze spricht ein junger Mann in Bethan Huws´ Film Ion on von 2003, einer „kritischen Komödie“, wie die walisische Künstlerin das Werk selber nennt. Der Schauspieler übernimmt darin beide Seiten eines fiktiven Gesprächs zwischen Künstler und Kurator. In 45 Szenen bewegt er sich durch eine verlassene Ruine auf Sardinien, durch Felder und Dünen – eine Kulisse für Reflexionen über Kunst und Kunstbetrieb. Zu sehen sind wunderschöne Kameraaufnahmen, oft kryptische Dialoge, dann wieder konkrete Aussagen, auch über die Ökonomie der Kunst, die von den Erfahrungen der Künstlerin erzählen. Denn seit ihren ersten Werken, die sie noch als Studentin am Royal College of Art in London 1987 machte, gehört Betham Huws zu den vielseitigsten – und gefragtesten – Künstlern der postkonzeptuellen Generation.
Damals entfernte sie mehr als drei Monate lang alle Farbspuren, Kleister, Gips und Nägel von dem Fußboden ihres Ateliers. Ein Jahr später platzierte Betham Huws rote Weintrauben auf einer Glasscheibe in der hintersten Ecke eines Lagerhauses und stellte noch im selben Jahr in einer Galerie lediglich einen Teppich aus: „Mit dem Teppich verfolgte ich einzig und allein die Absicht, eine Fläche zu schaffen, auf die ich eine Vase aus Muschelschalen direkt auf den Fußboden stellen konnte, ohne sie zu beschädigen.“ Doch dann entschloss sich Huws dazu, die Vase gar nicht auszustellen: „Das ganze Stück war für etwas gemacht, das sich nicht einmal dort befand.“
Ob die Fußböden, die sie in den folgenden Jahren in Ausstellungsräume einbaute oder die Anweisung 1992 in der Wiener Secession, kein künstliches Licht einzuschalten – ihre Werke fordern unsere Aufmerksamkeit enorm heraus. Denn Betham Huws konfrontiert die Besucher mit einem diffusen Erfahrungsangebot: Wie kann man auf Werke reagieren, die visuell eigentlich nicht zu fassen sind? Was wir sehen, sind allein die Bedingungen von Kunstwerken.
So etwas klingt schnell nach Institutionskritik. Aber Betham Huws folgt nicht diesem faden Pfad. Ihr geht es um Raum. Anfang der 1990er-Jahre beginnt die Künstlerin, Sprache als Medium ihrer Kunst zu verwenden, in handschriftlichen Texten präzise Beobachtungen aufzuschreiben, oder in ihren wunderbaren Wort-Vitrinen so kurze und doch komplexe Aussagen wie „Piss off I´m/a fountain!“ – als Anspielungen auf Marcel Duchamp – zu platzieren. Seit 2003 schließlich bringt sie ihre speziellen Raumvorstellungen und die enorm verdichtete Sprache im Medium Film zusammen. In der BAWAG Foundation sind jetzt ihre Filme ausgestellt, was eine großartige Erweiterung des Blickes auf das außergewöhnliche Werk dieser Künstlerin ermöglicht.
Wie Ion on basiert auch Chocolate Bar von 2006 auf präzise inszenierten Dialogen: Ein in walisische Tracht gekleideter Schauspieler übernimmt dort gleich mehrere Rollen und lässt seine Figuren eklatant aneinander vorbeireden, ausgehend vom Missverständnis zwischen ´Mars´ als Schokoriegel und als Planet. Und noch eine zweite Ebene kommt hinzu, denn im Hintergrund des Films verschwimmt gespenstisch Marcel Duchamps Readymade des Flaschentrockners Porte-Bouteilles. Seit langem beschäftigt Betham Huws sich mit dem Meister der Konzeptkunst, mit dessen Readymade-Konzept sie seit ihren frühen Installationen flirtet. Und dessen Werke sie immer wieder zitiert. In Fountain von 2009 ist ihre Beschäftigung mit diesem zugleich magisch schön verbildlicht und konzeptuell radikalisiert. Dafür filmte Huws 49 italienische Brunnen und verband allein durch die Titelgebung den Wasserfall in Duchamps letztem Werk Étant donnés mit dem berühmten Readymade Pissoir Fountain des Künstlers. Unterbrochen wird das Geräusch des Wassers allein von Bethan Huws Stimme, die jeden Brunnen beschreibt, darin Mengen an Bedeutungen aufzeigt, von Mythen spricht und Redewendungen einflicht, die die Künstlerin im Werk Duchamps gefunden hat – ein Film, den man immer wieder sehen muss, um auch nur einen Bruchteil seiner komplexen Gedankenausflüge nachverfolgen zu können.
Dagegen geradezu einfach erscheint A Marriage in the Forest von 2009: Gezeigt wird hier die Hochzeitsfeier eines jungen Paares aus der Perspektive eines um die Gruppe herumlaufenden Zaungastes. Langsam verschiebt Huws das gefilmte Ritual in einen Wald – eine Verfremdung, die sie bereits subtiler in der gefilmten Performance Singing for the Sea von 1993 erprobte. Dort ließ sie acht traditionell gekleidete Frauen aus einem bulgarischen Bergdorf an einer englischen Küste alte, rituelle Tänze und Gesänge vorführen. Beide Male gelingt es Huws, durch Deplazierung einen Readymade-Moment zu erzeugen und damit ein künstlerisches Konzept in den Alltag zu überführen und zugleich zu aktualisieren.
Leicht lassen wir uns in den5 Filmen in der BAWAG Contemporary-Ausstellung bezaubern, von deren sinnlich-poetischen Bildern, von der verspielten Weise, in der Huws die Möglichkeiten des Mediums einsetzt. Aber zugleich werden wir massiv irritiert. Denn am Ende ist jedes Kunstwerk Huws eine Reflexion darüber, was Kunst, und gerade konzeptuelle Kunst, ist – und wie sie im Alltag verankert werden kann.
veröffentlicht in: www.artnet.de, 20.9.2011
Bethan Huws: „Films“ – BAWAG Contemporary, Wien. Vom 8. September bis 20. November 2011