13. Lyon Biennale

19. Sep. 2015 in Biennalen

Bunte Sonnenschirme, Speedboote, blaues Wasser – wir sehen eine perfekte Strandlandschaft. Im Hintergrund aber thront ein riesiges Atomkraftwerk. Die Fotografie von Yuan Goang-Ming ist das Titelbild der heurigen Lyon Biennale, die unter dem Thema „Das Moderne Leben“ steht.

Tatiana Trouve

Herrliche Freizeit vor der bedrohlichen Kulisse des technologischen Fortschritts – ist das die Einlösung des Versprechens der Moderne, die Konsequenz des Glaubens an ein besseres Morgen? Haben sich so die Avantgarden des 20. Jahrhunderts das moderne Leben vorgestellt? Was ist von diesen Träumen und Maximen übriggeblieben und wie ´modern´ ist die Kunst, das Leben heute noch? Darum kreisen die 300 Werke von 60 KünstlerInnen in den zwei zentralen Ausstellungsorten der 13. Lyon Biennale.

Yuang Goang-Ming

Die Moderne ist eine kniffelige Angelegenheit. Diese Epoche kennen wir einerseits als Stilbezeichnung in der Kunst. Zentrale Kennzeichen sind ein strenger Formenkanon und radikale Reduktion, ihr Ende begann in den 1980 durch Stilpluralismus und üppige Deko-Freudigkeit. Im Leben dagegen ist ´modern´ eine bis heute anhaltende Kategorie. Lange bedeutete es vor allem technologisch und modisch avanciert, heute kommt noch ´widersprüchlich´ hinzu. In Lyons Museum für zeitgenössische Kunst MAC und in der ehemaligen Zuckerfabrik Sucriére hat Kurator Ralph Rugoff, Direktor der Londoner Hayward Gallery, diesen Spagat zwischen Hoffnung und Enttäuschung hervorragend inszeniert. Vor allem in der spröden Industriehalle auf dem südlichen Zipfel der Rhone-Insel ist ihm ein eindrucksvoller Parcours gelungen, der voller Düsternis, aber trotzem optimistisch in die Zukunft blicken lässt.

Thierry Raspail, Ralf Rugoff

Die Halle gehört zu einem Areal aus Industrieruinen aus der Zeit der Seidenverarbeitung. Seit gut zehn Jahren werden hier moderne Luxusapartments, Shoppingzentren und Bürohäusern gebaut. In einem Pressegespräch erklärte Lyons Bürgermeister Gérard Collomb unbekümmert, dass ihm die Lyon Biennale als „Flagschiff“ für die Stadtentwicklung hier dient. Acht bis zehn Millionen Euro, er wisse es nicht genau, stelle er dafür zur Verfügung – was von Thierry Raspail, Mitbegründer der Biennale, später relativiert wird: Es seien sieben Millionen. Und nur 1.1 Millionen fließen davon in das Budget für die Kunst.

Liu Wei, Enigma

Allein für die Haupthalle müssen sie 500.000,- Euro Miete zahlen. Dort beginnt der Parcours mit einem Labyrinth aus zwanghaft überdimensionierten, geometrischen Formen von Liu Wei. Schon hier hören wir das Schlagzeug von Celeste Boursier-Mougento, auf das Kirschkerne niederprasseln, und sehen im nächsten Moment Skulpturen aus heruntergelassenen Jalousien von Haegue Yang.

Nach diesem dramatischen Auftakt sind wir vorbereitet für ein Wechselbad der Eindrücke. Da steht schäbiges Baumaterial gestapelt in der Ecke – das aus hochwertigem Marmor gehauen ist (Andreas Lolis).

Andreas Lolis, Homeless

Weiter hinten liegen Mengen von Betonkugeln auf dem Boden. Sie erinnern an Planeten, aber dann beginnt eine Form zu sprechen: „Wie sollen wir mit der Situation umgehen? Wir müssen etwas ändern, wir müssen zusammenarbeiten“, ist zu hören. Eindrücklich thematisiert Otobonk Nkanga hier unser Umgang mit den natürlichen Ressourcen.

Otobonk Nkanga, Shaping Memory

Immer wieder begegnen wir dieser Situation, dass Hübsches bedrohlich, Nachlässiges wertvoll, Übersehenes bedeutsam ist. Da liegen etwa Fetzen von Autoreifen wie Trophäen auf sperrigen Stahlbetonpodesten. „A7“ nennt Mike Nelson die Installation – das Auto gilt bis heute als Inbegriff des modernen Lebens, aber aus ist der Traum.

Mike Nelson, A7

Viele Werke nehmen ähnlich direkten Bezug auf unser ´modernes Leben´: Wenn He Xianguy Coca-Cola zu schwarzen Klumpen einkocht und in einer Vitrine ausstellt, thematisiert er den exzessiven Konsum der Moderne; wenn George Osodi Fotografien des von Goldabbau und gewaltigen Plastikmüll verwüsteten Niger Deltas zeigt, sehen wir die düsteren Folgen des Kolonialismus. Erschreckend ist Cameron Jamies Halloween-Dokumentation: Es gruselt einem vor den vielen Untoten in den US-amerikanischen Vorgärten.

Cameron Jamie, Front Lawn Funerals and Cemeteries

Nahezu jede einzelne Arbeit dieser Biennale ist präzise auf das Thema hin gewählt, manche mit starkem Lebensbezug, andere in Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte wie die schwarz-weiß-Bilder der jungen Malerin Avery Singer, die als neuer Shootingstar gilt. Ihr Ausgangsmaterial sind Fotografien von Freunden oder Filmszenen, die sie konstruktivistisch zersplittert und krasse Schattenlinien darüberlegt.

Michel Blazy

Auch diese Bilder bestätigen den Eindruck, den die Kunst zum Thema ´modernes Leben´ auf dieser 13. Lyon Biennale entwirft: Ja, die Moderne ist vorbei, und ja, die Träume sind gescheitert, wir leben in einer fragmentierten Welt, es herrscht Chaos. Aber es besteht Hoffnung und das optimistischste Bild dafür findet Michel Blazy: Er züchtet winzige Gärten in den Leerstellen alter Computer, Drucker und Turnschuhen. Modern ist zwar gestern, aber anders als im letzten Jahrhundert wird damit nicht gebrochen, darauf lässt sich aufbauen.

13. Lyon Biennale, bis 3.Januar 2016