Syrische Flüchtlinge, die auf den Straßen leben, der wiederentflammte Kurdenkonflikt, die Terrororganisation IS mitten in Istabul – der Kontext der heurigen 14. Istanbul Biennale ist noch explosiver als in den Jahren zuvor.
Anfang August gab die Bundesrepublik Deutschland sogar einen „Sicherheitshinweis“ für Istanbul aus, die Behörden warnen vor Anschlägen auf Menschenansammlungen. Jetzt eröffneten gerade die 14. Istanbul Biennale und nahezu zeitgleich die Kunstmesse Art International – wie gehen die beiden Veranstaltungen mit der Situation um? Scheuen die Besucher die Eröffnungen, fördert es die Kooperationsbereitschaft beider Formate, thematisieren die Künstler den Kontext? Erstaunlicherweise trifft nichts davon zu – im Gegenteil. Die Stimmung ist ganz friedlich, die Biennale wurde noch nie zuvor von so vielen internationalen Förderern und Gästen besucht, von aktuellen Konflikten, aber auch von Kooperation keine Spur.
Aber der Reihe nach: Kuratorin der Biennale ist heuer Carolyn Christov-Bakargiev. Schon als künstlerische Leiterin der letzten documenta in Kassel hatte Christov-Bakargiev ihre Freude an weitgefassten Metaphern und ausschweifenden Zusammenhängen gezeigt – und das gilt auch jetzt in Istanbul.
Mit dem Titel „Saltwater“ betont sie die geographische Lage am Bosperus, will den Begriff aber so weit wie möglich verstanden wissen – wodurch die zweite Metapher hinzukommt: die „Wellen“, von denen sie oft spricht, etwa „Wellen der Geschichte“. Beides lässt große Ausuferungen ahnen – und das bewahrheitet sich schon bei der Auswahl der Räume. Denn diese Biennale schickt uns in 35 Orte.
Der Großteil der 14. Istanbul Biennale ist rund um das Museum Istanbul Modern in Fußnähe zu erreichen, anderes reicht bis tief in den asiatischen Teil – erstmals in der Geschichte der 1987 gegründeten Biennale. Die rund 80 KünstlerInnen stellen in Kellern von Hotels, in Garagen, Geschäften, Privathäusern, Ruinen und auf Booten aus, aber auch im Museum Istanbul Modern – man könne nicht nur „alternative Räume bespielen, sonst sieht es aus, als sei man ausgegrenzt“, erklärte Christov-Bakargiev diese Entscheidung auf der Pressekonferenz.
Großartig ist Walid Shawkys letzte Episode seiner Filmreihe über die Kreuzzüge, der in einem aufgelassenen Hamam gezeigt wird – es ist wie eine gespenstische Reise in die Vergangenheit. Der Höhepunkt der Tour ist in Adalar auf der Prinzeninsel, rund 20 Kilometer von Istanbul entfernt zu finden: die Skulpturen von Adrian Villar Rojas.
Man balanciert durch eine Ruine, geht steil durch einen zugewucherten Garten bis zum Stand hinunter. Dort stehen auf Podesten im Meer blendend weiße Tiere, Giraffen, ein Elefant, ein Affe, Ziegen. Sie schauen uns an und tragen merkwürdige Formen und Materialien auf ihrem Rücken. Es ist, als würden sie den Müll der Welt tragen. Den Großteil der Dinge wie Glasscherben, Stofffetzen, Betonstücke fand der Künstler vor Ort – einem geschichtsträchtigen Platz: Es ist die Ruine jener Villa, in der der russische Revolutionär Leo Trotzki Ende der 1920er Jahre für vier Jahre im Exil in Istanbul lebte. Den inhaltlichen Zusammenhang zwischen den Tieren und Trotzki muss sich allerdings jeder selbst dazu dichten.
Was auf der 14. Istanbul Biennale zusammenkommt, formt ein nahezu grenzenloses Themenfeld: eine wissenschaftliche Forschung zum Nordlicht, geheime Zeichen der Armenier, die ihre Besitztümer verstecken mussten, Kriege und Kohlbergbau, Trotzki und der Radiopionier Guglielmo Marconi.
Manches ist politisch, anderes poetisch, manchmal wird Geschichte lebendig, aber alles ist so konfus vermischt, noch dazu von so erschreckendem Qualitätsgefälle, dass sich kein Gesamtbild der Ausstellung ergibt. Die Kuratorin betont immer wieder, sie würde die Künstler nicht „auswählen, sondern es sei eine Anhäufung“ – genau so erlebt man auch „Saltwater“.
Parallel zur Biennale läuft die 3. Art International (AI). 2012 gegründet, konnte die Kunstmesse im ersten Jahre trotz lediglich 6000 Besuchern überraschend gute Verkäufe melden.
Letztes Jahr wurden stolze 21.000 Eintrittskarten verkauft, die dritte Ausgabe, die heuer wieder im Halic Congress Center stattfindet, versprach nicht zuletzt dank der Besucherüberschneidungen mit der Biennale noch erfolgreicher zu werden – bis die Biennale-Organisation IKSV (Istanbul Foundation for Culture and Arts) eine Terminverschiebung forderte. Mindestens eine Woche später sollte die Kunstmesse eröffnen, um jegliche zeitliche Nähe zwischen beiden Formaten auszuschließen. Messe-Gründer Sandy Angus nennt im Interview mit dieser Zeitung „diese Haltung einen Fehler“: „Die Besucher beider Veranstaltungen freuen sich über das erweiterte Angebot, das verdoppelt den Anreiz, für beide.“
Aber er willigte schließlich ein, einen Tag später zu beginnen und verkürzte die Laufzeit auf nur drei Tage. Schon zur ersten Ausgabe 2012 sei diese Forderung gekommen, erzählt Angus. Aber es sei „unaufrichtig, die Messe als kommerziell abzustempeln und die Biennale als komplett unkommerziell – Biennalen benötigen Galerien zur Finanzierung.“ Das trifft heuer trotz eines Budgets von rund 3 Millionen Euro auf viele Beiträge der Biennale zu. So stand während der Eröffnungstour neben Adrian Villar Rojas Skulpturen eine Mitarbeiterin der New Yorker Sonnabend Galerie. Sie gab gerne darüber Auskunft, dass die Produktionskosten von einer Millionen Dollar komplett von Galerien finanziert wurden.
Auch Nikita Kadans Biennale-Installation mit ausgestopften Hirschen und Gemüsebeeten wurde von seiner Galerie (Waterside Contemporary) organisiert. Waterside Contemporary nimmt an der AI teil und bietet Aquarelle und Fotoarbeiten von Kadan ab 2500,- Euro an. Aber dies ist eine Ausnahme. Ansonsten gibt es kaum Überschneidungen zwischen den Künstlern beider Veranstaltungen.
Warum die Biennale die Nähe zur Messe trotzdem derartig scheut, bleibt unklar – zumal man in dieser politischen Situation in der Türkei eher einen Zusammenschluss zur Stärkung der Kunst erwarten könnte. Sicher ist jedenfalls, dass Art International nicht daran denkt, den Termin zu verschieben – im Gegenteil: In den nächsten Jahren plant Angus eine Erweiterung der Messe auf bis zu 120 Teilnehmern, und dies weiterhin parallel zur Biennale.
veröffentlicht in: Die Presse, 9.9.2015
D. Gül Detail
Asli Cavusoglul, Aarmenien Red, Turkey Red