2. Moskau Biennale 2007

03. Apr. 2007 in Biennalen

2. Moskau Biennale 2007: Footnotes

Dan Perjovski, Moskau Biennale 2007

Russland ist das Land des unberechenbaren Geheimdienstes, der Medienzensur und Willkür, des extremen Reichtums und enormer Armut, obdachloser Kinder und astronomischer  Grundstückspreise – wo findet in einer solch angespannten gesellschaftlichen und politischen Situation die zeitgenössische Kunst ihren Platz? Die Antwort ist einfach: überhaupt nicht. Und gerade deswegen wurde vor zwei Jahren die erste Moskau Biennale gegründet. Damals war es minus 30 Grad kalt, dafür aber fand die Ausstellung an nur einem einzigen Ort, dem ehemaligen Lenin-Museum am Roten Platz statt. Dieses Jahr zur 2. Moskau Biennale bietet die Stadt Nieselschnee, Schneematsch und Wasserlaken mit Teichqualität. Statt des einen zentralen Ortes verteilt sich die Biennale auf zwei weit auseinander liegende Häuser, dazu 30 oder vielleicht auch 50 weitere offizielle Parallelprojekte – so recht weiß es keiner, zumal man ohne ortskundige Anleitung zwar lauter Suchende trifft, aber die Orte wie beispielsweise Valie Export in der „Ekaterina Cultural Foundation“ trotz vereinter Handtelefon-Hilferufe nicht findet. Oder die Ausstellungen noch nicht fertig sind, wie „Sots Art. Political Art in Russia and China“ – die chinesischen Beiträge waren am Zoll hängen geblieben.

War die erste Biennale in einem geschichtsträchtigen Kontext lokalisiert, so spiegelt die 2. Moskau Biennale den nächsten Schritt in beängstigender Konsequenz: Die 5 offiziellen Ausstellungen der Biennale finden auf Baustellen statt, im Federation Tower, der Europas höchster Büroturm wird, und im halbfertigen Supernobelkaufhaus „Tsum“. Symbolträchtiger sind Orte kaum zu wählen: Das neue, reiche Russland im Rohbau oder auch „Reaching for New Heights“, wie es die Gratiszeitung „The Moscow Times“ übertitelte.

Wie meistens so ist auch bei der 2. Moskau Biennale das Generalthema zu vernachlässigen, denn was auch könnten über 100 KünstlerInnen aus 35 Ländern zu „Footnotes on Geopolitics, Markets and Amnesia“ beitragen? So führt der Weg ganz unbelastet vier Kaufhaus-Etagen die Rolltreppen hinauf und entlang all diesem üblichen Gewand, Parfüm und Handtäschchen für Shopping-Freuden, um plötzlich im Dunklen der Video-Ausstellung zu enden (kuratiert von D. Birnbaum, G. B. Kvaran, H.-U. Obrist). Projektion neben Projektion, mal auf großer Leinwand, dann auf kleinen und kleineren Monitoren, ein Raum voller absurder Szenarien, zu dicht, zu laut zur konzentrierten oder auch nur gezielten Wahrnehmung. Eigentlich sollte hier Bourriauds Ausstellung „Stock Zero or the icy water of egotistical calculation“ stattfinden, aber in letzter Minute und gegen den Willen der Kuratoren wurden die beiden ausgetauscht. Jetzt mischt sich „Stock Zero“ unter die anderen, nahtlos ineinander übergehenden Ausstellung in zwei Etagen des Bürohaus. Im obersten der drei Geschosse hat sich eine wohlhabende, lokale Bald-Galeristin (Marina Goncharenko) mit einer leider allzu Kunstmesse-ähnlich präsentierten Malerei-Ausstellung eingekauft.

Doch zunächst müssen vor dem Turm zwei Sicherheitsschranken passiert werden, bevor der Weg in die 19. bis 21. Etage führt, je nach Zeitpunkt im Massenansturm im einen einzigen kleinen Innenlift, im schwindelerregenden Außenaufzug – oder vielleicht auch nach wenigen Tagen schon gar nicht mehr, denn die Besucher stören den Bauplatz. Pro Geschoss des 440 Meter hohen Turms sind 3 Tage Bauzeit vorgesehen, bei Gesamtkosten von 340 Mio. werden 30 Tage Stillstand von 3 Etagen zum Vermögen. Die Räume sind rundum verglast und bieten einen einzigartigen Ausblick auf Moskau, gegen den nur wenige Künstler ankommen, etwa Olga Chernysheva mit ihren tief beeindruckenden Fotografien all dieser traurig schauenden Männer und Frauen, die von ihren kleinen Kabinen aus die Metro-Rolltreppen überwachen, Sergey Bratkovs filmische ´Short-stories´ mit absurden Alltagsmomenten oder Lida Abduls großartiges Video zum Desaster in ihrem Geburtsland Afghanistan – alle drei Beiträge aus Fulya Erdemci und Rosa Martinez´ Sektion „After All“.

Wie immer präzise reagiert Dan Perjovschi auf den Kontext: Auf die Scheiben des Büroturms malt er zwei Köpfe, einmal liegen die Haare als Fransen in die Stirn, dann stehen sie aufrecht vom Kopf ab, darunter ein Pfeil mit dem Wort ´Reform´; daneben die Worte Sponsor, Direktor, Kurator, Künstler in deutlich absteigender Größe geschrieben – und damit trifft er den Kern der 2.Moskau Biennale: Um Kunst geht es hier nicht. Worum dann?

Die 2. Moskau Biennale richtet sich an eine kleine, ausgewählte Schar international Reisender, die auch sehr zahlreich zur Eröffnung kamen, und eine noch kleinere, feiner ausgewählte Schar national Ansässiger. Laut Commissioner Joseph Backstein sollen mit der Biennale die Politiker und Sammler für zeitgenössische Kunst angesprochen und bekräftigt werden. Für das Volk, das nicht Nobelklamotten und Sicherheitsschranken passieren will, findet eine Art Parallelbiennale in einer ehemaligen, ebenfalls in der Rohbauphase befindlichen Weinfabrik statt. Hier, östlich vom Stadtzentrum, ist die Gentrifizierung dank des entstehenden Galerie-Zentrums voll im Gang. Vorab dienen die Rohbauten lauter kleinen Präsentationen, von den Blue Noses über Darren Almonds Turner-Prize-Bewerbungs-Installation bis zur nahezu unerträglich-theatralischen Ausstellung „I believe“ in den Weinkellern, kuratiert von Olek Kulik, voller schwülstig-gruselig-kitschigen Werken und über allem russische Retro-Musik aus den 80ern.

Der Kontrast in Präsentation und Auswahl zwischen Parallel- und Hauptprojekten ist oft enorm. Wie selten wird dadurch mit der diesjährigen Moskau Biennale die geballte Autorität dieses zweijährlichen Ausstellungsformates deutlich. Biennalen sind Hoffnungsträger und Reibungsflächen, sind Zugpferd und Krone zugleich, müssen einen befriedigenden Spagat zwischen einer nationalen und der internationalen Kunstszene schaffen, legen oft den Grundstein für eine neue Infrastruktur aus Galerien und Projekträumen, sind hochoffiziell und staatliches Aushängeschild und sollen irgendwie auch rebellisch sein. Wie schwierig darin die eigene Positionsbestimmung für die lokale Kunstszene werden kann, bewies eine Diskussionsveranstaltung zwei Tage nach der Eröffnung. In einer kleinen Buchhandlung trafen sich Künstler, Kritiker, Philosophen und Aktivisten zur Nachlese. „Vulgär“ sei die Biennale, „obzön“, der neue Kapitalismus werde hier legitimiert, ein „künstlicher Optimismus“ zur Schau gestellt – und doch sei die Biennale eminent wichtig. Über die Kunst wurde auch hier nicht gesprochen – die ist ganz offensichtlich lediglich Mittel zur Selbstpositionierung für alle Seiten.

Dan Perjovski, Moskau Biennale 2007

2.Moskau Biennale, 1.3.-1.4.2007, Hauptausstellungen im Tsum Kaufhaus und Federation Tower: Joseph Backstein, „Just Footnotes? (Art in the era of social Darwinism)“; Daniel Birnbaum, Gunnar B. Kvaran, Hans Ulrich Obrist, „USA: American Video Art at the start of the third millennium“; Iara Boubnova, „History in the present tense“; Nicolaus Bourriaud, „Stock Zero or the icy water of egotistical calculation“; Fulya Erdemci, Rosa Martinez, „After All“

publiziert in: www.artnet.de, 3.4.2007

http://www.artnet.de/content/DesktopModules/PackFlashPublish/ArticleDetail/ArticleDetailPrint.aspx?ArticleID=358&Template=Article_Print.ascx&siteID=0