22. Artissima Turin

09. Nov. 2015 in Kunstmesse

2015-11-05 15.36.01 KopieManche Kunstmessen gleichen einem Kaufhaus, wo dekorative Stangenwaren für Menschen mit dickem Geldbeutel und einem situationselastischen Geschmack angeboten werden. In diese Kategorie gehört die Londoner Frieze. Andere Kunstmessen werden Boutique-Fair genannt. Aber damit ist nicht die Qualität der Kunst, sondern die geringe Zahl der teilnehmenden Galerien bezeichnet. Und dann gibt es Messen wie die Artissima in Turin.

halleMit 207 Galerien aus 35 Ländern keine Boutique, vom Angebot alles andere als ein Kaufhaus, passt auf die Artissima (6.-8.11.2015) kein Vergleich mit einem herkömmlichen Geschäft. Zum einen ist die 1994 gegründete Messe im staatlichen Besitz und damit öffentlich finanziert. Zum andern lebt die Messe von der engen Zusammenarbeit mit Kuratoren, und das verändert das Niveau enorm. Dafür ist die in Triest geborene Messe-Direktorin Sarah Cosulich Canarutto verantwortlich.sarah Im Interview spricht sie von den Kuratoren als der „Seele der Messe“. „Die Kuratoren wählen nicht nur aus, sondern recherchieren und fragen Galerien direkt an.“ Sie schlagen auch einzelne Künstler vor, etwa für die Sektion junger Kunst – eine Sparte, die geographisch immer weiter expandiert. Hier zeigt heuer die Galerie Third Line aus Dubai Bilder der 1981 in Baghdad geborenen Hayv Kahraman.

Hayv Kahraman, The Translator, 2015. c Third Line

Hayv Kahraman, The Translator, 2015. c Third Line

Kahraman studierte kurzzeitig in Florenz, der Einfluss der italienischen Renaissance-Malerei prägt sich in den Gesichtern der weiblichen Figuren ab. Das ergibt eine spannende Mischung vor allem in „Translator“: Kahramans Mutter habe als Übersetzerin für Flüchtlinge geholfen, erklärt die Künstlerin. Die fragten irgendwann, auf welcher Seite sie eigentlich stehe – ein sehr aktuelle Gretchenfrage, die Kahraman in eine spannungsgeladene Bildkomposition übersetzt.

Josef Bauer. Galerie Unttld, Wien

Josef Bauer. Galerie Unttld, Wien

Deutlich wird der Einfluss der Kuratoren auch in der Sektion für ältere Kunst, die auf der Artissima auf nur eine einzige Dekade eingeschränkt ist: 1975-´85. Das sei „ein großes Risiko für eine Messe und eine große Herausforderung für die Galerien, die ja die Werke finden müssen,“ erklärt Cosulich. Aber es habe sich schnell als enormer Erfolg herausgestellt, 25 Galerien nehmen heuer in dieser Sektion teil und zeigen – zumindest unter Insidern – durchaus bekannte, aber auch völlig unbekannte Künstler, „darunter einige museumsreife Präsentationen,“ wie Cosulich betont. Dazu gehören die Buchstabenskulpturen des 1934 geborenen Josef Bauer bei der Wiener Galerie Unttld Contemporary, oder der international kaum gezeigte Japaner Chu Enoki (geb. 1964).

Chu Enoki, Rose Chu, 1979/2015, digital c-print. c White Rainbow, London

Chu Enoki, Rose Chu, 1979/2015, digital c-print. c White Rainbow, London

Die Londoner Galerie White Rainbow kombiniert seine queeren Fotografien der 1970er mit den politischen Skulpturen der 1980er, in denen Enoki die fremdbestimmte Nachkriegspolitik Japans thematisierte.

Chu Enoki, We captured a small UFO at last, 1974. White Rainbow, London

Chu Enoki, We captured a small UFO at last, 1974. White Rainbow, London

Aber nicht nur in den Sektion für junge und für ältere Kunst liegt die hohe Qualität der Artissima. Auch die Galerien der Hauptsektion haben viel zu bieten, etwa Koka Ramishvilis aufufernde Installation am Stand der Genfer Galerie Laurence Bernard: Aus den leeren Rahmen an der Wand führen Streifen von Camouflage-Stoffen in den Raum – entleert Militär/Krieg die Bilder, lösen sich die Farben ab?

Koka Ramish...

Koka Ramishvilis, Galerie Laurence Bernhard

Ganz konkret auf den Krieg nimmt Hiwa K Bezug. Er wurde im Irak geboren, floh 1996 zu Fuß über die Türkei nach Europa, beantragte dort Asyl und lebt heute als anerkannter Flüchtling in Berlin. Migration und Krieg sind wiederkehrende Themen seiner Installationen und Videos. Die Mailänder Prometeo Gallery zeigt Videos von „The Bell“: Im Irak gesammelter Kriegsmüll wie leere Patronen- und Bombenhüllen ließ Hiwa K. in eine 150 Zentimeter große Kirchenglocke und damit in ein Symbols des Friedens und der Nächstenliebe umgießen. Das Werk war auf der heurigen Biennale Venedig zu sehen, Hiwa K ist jetzt bereits fix für die documenta 2017 eingeladen.

messegangBei aller Internationalität ist die Artissima dennoch eine regionale Messe, auch wenn Coluchi betont, dass nur ein Drittel bzw. 32% der Galerien aus Italien stammen. Warum aber nehmen hier Wiener teil? Es sei eine „sehr durchdachte Messe“, begründet Georg Kargl seine Entscheidung. Er ist zum fünften Mal dabei. Auch Emanuel Layr kommt schon zum vierten Mal hierher und hat sich einen festen Sammlerstamm in Italien aufbauen können. Heuer expandierte er sogar nach Rom, allerdings ist es „nur ein kleiner Raum“. Ob bei all dieser Begeisterung aber auch die notwendigen Verkäufe zustande kommen, ohne die eine Messe trotz schönster Konzepte und Projekte scheitern kann? Martin Janda betont, wie international die anreisenden Sammler seien und dass Italien eine starke Tradition großer Privatsammlungen und Stiftungen habe, die hier zum Stammpublikum gehören. Doch trotz allem: Der große Umsatz wird in den Kaufhäusern gemacht.

veröffentlicht in: Die Presse, 8.11.2015

Isabelle Andriessen, Galerie Cinnnamon

Isabelle Andriessen, Galerie Cinnnamon

Paulo Nimer Pjota. Galerie Mendes Wood

Paulo Nimer Pjota. Galerie Mendes Wood

Pressekonferenz 22. Artissima 2015

Pressekonferenz 22. Artissima 2015

Das ´Apartment´ von Sarah C C während der Messe - hoch über der Halle

Das ´Apartment´ von Sarah Cosulich Canaruzto während der Messe – hoch über der Halle