3. Beaufort Triennale, 4. Contour Biennale / Belgien 2009

21. Aug. 2009 in Biennalen

p1070381Eine halbe Zugstunde von Brüssel entfernt liegt das belgische Städtchen Mechelen. Reich an Petunien, Kirchen und ehemaligen Niederlassungen verschiedener katholischer Orden, findet hier seit 2003 die Contour Biennale statt. Anfangs spezialisiert auf „Videokunst“, heißt der Zusatz zur 4. Contour Biennale jetzt „für bewegte Bilder“, denn die Kategorie Video sei „altmodisch“, wie mir die Kuratorin Katerina Gregos erklärt. Hier werde ja nicht nur digitales Material gezeigt, auch Installationen und 16mm, Michael Borremans für seinen kryptisch-malerischen Beitrag sogar 35mm. Im Vorlesungssaal eines ehemaligen Priesterseminars projiziert, sehen wir in „Taking Turns“ einer jungen Frau zu, die ihren eigenen, lebendigen Torso dreht und wendet, eine Identitätssuche oder Selbstumkreisung ohne Hinweise auf Zeit oder Raum und hier in der ehemaligen katholischen Ausbildungsstätte ein schönes Bild für die katholische Kirche.
Quer durch die Altstadt leitet uns die 4. Contour Biennale in 11 weitgehend historisch geprägte Präsentationsräume. Diese Kontexte schenken den einzelnen Filmen zwar nicht immer so passende Bedeutungen wie bei Borremans, verstärken aber oft die Grundstimmung, im selben Gebäude etwa bei Julian Rosefeldts 4-Kanal-Installation „The Ship of Fools“. Rosefeldt zeigt Deutschlandbildern, bellende Schäferhunde, daneben ein Mann, der in den Sumpf geht, ein Chor und eine C.D. Friedrich-ähnliche Rückenansicht eines Wanderers am Fluss, an dem ein Schiff voller winkender Deutschlandflaggen entlangfährt. Sehr assoziationsreich, sehr melancholisch, sehr bedrohlich.
Gemeinsames Thema der 16 Beiträge dieser 4. Contour Biennale ist „history as a tool for furthering knowledge and awareness“, ein assoziationsbeladenes Wiederbetrachten von Vergangenem als Fragestellung nach der Bedeutung für heute. Das kann wie bei Eija-Liisa Ahtila von einem konkreten Ereignis ausgehen, wenn sie in „Where is where“ die Geschichte zweier algerischer Jungen aufgreift, die 1955 ihren französischen Freund töten, oder einen Bilderrausch als lose Assoziationskette bieten wie bei Ulla von Brandenburg, die in „8“ theatralische Szenen in historischen Schlossräumen einfriert. Das kann auch daneben gehen wie Matthew Buckinghams Installation rund um das Selbstportrait von Caterina van Hemessen. Das hätte vielleicht einen interessanten Essay im Katalog ergeben. So aber sind die kleinen, spiegelverkehrten Lesetäfelchen und die filmische Zerstückelung des Bildes  bestes Beispiel für die Fallen der Konzeptkunst: Gelehrtenattitüde statt Bildlichkeit.

Vincent Meessen

Die überzeugendste Raum-Film-Kombination der 4. Contour Biennale findet sich in einer Schule. „Vita Nova“ von Vincent Meessen läuft hier in einem kleinen Saal voller ausgestopfter Tiere. Früher schickten Missionare diese Objekte als Anschauungsmaterial in die Heimat, heute verstauben die Vitrinen. Dazwischen läuft jetzt Meessens Dokumentation seiner Suche nach einem neunjährigen, schwarzen Jungen, der 1955 auf dem Cover der französischen Zeitschrift „Match“ ernst in die Höhe schaut, gekleidet in eine französische Uniform, die Hand zum Salut an der Kappe. Roland Barthes sah das Cover beim Barbier und analysiert es in seiner Abhandlung über Mythen. Meessen findet den heute alten Mann an der Elfenbeinküste und macht eine erstaunliche Entdeckung: Erster Gouvenor der Elfenbeinküste war Louis Gustave Binger, die Hauptstadt hieß früher Bingerville. Binger war der Vater von Barthes Lebensgefährtin – eine familiäre Nähe, die Barthes nirgends erwähnt und die seine Schriften neu zur Diskussion stellt. So treffen im Video historische Rückblicke auf die Kolonialgeschichte mit einer noch zu schreibenden Geschichte zusammen. Vor allem aber holt Meessen den Jungen aus Barthes prominenter Umarmung heraus und gibt ihm seinen Alltag zurück.

Daniel Buren, Beaufort Triennale 2009 // SBV

Daniel Buren, Beaufort Triennale 2009 // SBV

Beaufort Triennale
Während in Mechelen Ort und Werk erst in der Stadt zusammenfanden, konzentriert sich eine weitere periodische Ausstellung in Belgien auf ein situ-Konzepte. Die ebenfalls 2003 gegründete Beaufort Triennale (der Name verweist auf den Erfinder der Skala für Windstärken) findet in zehn Gemeinden an der 65 km langen belgischen Nordseeküste von De Panne bis Knokke statt und zeigt „zeitgenössische Kunst am Meer“. 4.5 Mio Euro lässt sich die Region die Ausstellung kosten, das Zehnfache des Budgets der 4. Contour Biennale – und auch hier stehen touristische Anliegen dahinter. Denn die Küste soll nicht mehr nur die Sommergäste anlocken. Von März bis Oktober sind in zehn perfekten Wander- und Rad-Touren die Skulpturen mit stadtgeschichtlichen Plätzen kombiniert, erläutert im handlichen Guide – der ideale Familienausflug.

Jan Vercruyssen, Beaufort Triennale 2009 // SBV

Jan Vercruyssen, Beaufort Triennale 2009 // SBV

Auf den ersten Blick scheint hier nahezu nichts von der ehemaligen Bedeutung und Pracht dieser Küstenorte erhalten geblieben ist. Umso erstaunter ist man auf den Routen dann über die letzten Villen der Belle Epoque, die Reste von Wasserburgen, die Fliesentableaus an Häusern und die kleinen Naturschutzgebiete. Dazwischen erinnern dreißig Skulpturen daran, dass auch am Strand noch weit mehr zu entdecken ist als Sandburgen und Winddrachen. Vor der Kulisse ausgiebiger Appartmentburgen sind Werke platziert, die wie die subtilen Formenspiele der jungen Künstlerin Valerie Mannaerts den Blick schärfen für all die Bojen, Büdchen und Hinweistafeln (Koksijde-Oostduinkerke); die die raue Dünenlandschaft mit der Hochkultur der Gartengestaltung konfrontieren wie Jan Vercruyysses Labyrinth aus 750 Eiben und mitten drin rote Rosen (Knokke).

Liam Gillick, Beaufort Triennale 2009 // SBV

Liam Gillick, Beaufort Triennale 2009 // SBV

Liam Gillick hat für sein Kiosk-Modell mit Überlegungen zu Städtebau und Arbeitszeit eine der letzten Brachen im Stadtgebiet von Zeebrugge ausgewählt und lässt über die Bedingungen der Freizeitgesellschaft nachdenken, Leonor Antunes gestaltete fünfzehn Strandkabinen im strengen Stil der Moderne neu und Niek Kemps metallischer Rundbau zieht die Schritte fast magnetisch an, so unerwartet ist der Farb- und Materialkontrast hier mitten in den Dünen, so faszinierend sind die Ein- und Durchblicke durch die Gitterwände (Bredene).

Brigada Ramona Parra, Beaufort Triennale 2009 // SBV

Brigada Ramona Parra, Beaufort Triennale 2009 // SBV

Die Auswahl setzt auf Vielfalt. Anders als die vorherige Edition bietet Beaufort03 vor allem visuell komplexe Werke statt der plakativen Bilder wie die Elefantenherde von Andries Botha und Louise Bourgeois´ Spinne zur 2.Edition 2006. Dieses Jahr werden oft subtile Aspekte der Orte aufgegriffen, Kontraste hergestellt und vor allem unser formaler Blick herausgefordert. Das ist ein gewagter Schritt, der von den Betrachtern mehr verlangt als einen schnellen Abgleich mit Bekanntem. Dafür ist diese Ausstellung am Meer perfekt geeignet, ist die Stimmung hier doch gelassen und offen für sinnliche Eindrücke, zugleich zeitlos und voller weittragender Zusammenhänge mit Gestern und Heute.

 

Luc Deleu

4.Contour Biennale, Mechelen/Belgien, 15.8.-18.10.2009
3.Beaufort Triennale, Nordseeküste Belgien, 28.3.-4.10.2009
publiziert in: www.artnet.de, 21.8.2009