
Ales Steger, The Pyramid of Exiled Poets, 2016. Architektonische Struktur, Kuhdung, Tonbandgedichte von Publius Ovidius Naso, Dante Alighieri, Bertold Brecht, Czeslaw Milosz, Mahmoud Darwish, Yan Lian, Joseph Brodsky, Ivan Blatn, Cesar Vallejo. Foto Kochi Biennale Foundation
Immer wieder war die Rede von einer neuen Biennale in Indien. Damit sollte ein Format entstehen, dass die 1968 gegründete, allzu staatsnahe India Triennale ersetzen sollte. 2012 fand dann die 1. Kochi Muziris Biennale in Südindien statt. Gegründet von den beiden in Mumbai lebenden Künstler Riyas Komu und Bose Krishnamachari, war die Veranstaltung sofort ein großer Erfolg – was nicht zuletzt mit dem Ort zusammenhängt: Die Biennale findet nicht in einer Metropole statt, sondern in Fort Kochi, dem ältesten Teil der Hauptstadt des südindischen Bundesstaates Kerala.
Kochi ist eine alte Handelsstadt, hier gründeten die Portugiesen 1502 ihre erste Niederlassung in Indien und begannen den Handel mit Gewürzen. 1663 eroberten die Niederländer die Stadt, 1790 kamen die Briten. Zudem lag an der Küste unweit von Kochi die sagenumwobene, antike Stadt Muziris. In dieser Kombination aus Sage und bis heute lebendigem Handelsplatz hat sich die Kochi Muziris Biennale zu einer der charmantesten Veranstaltungen weltweit entwickelt.
Der Ausstellungsparcour führt uns am Meer entlang in historische Gebäude, in Hinterhöfe und auf öffentliche Plätze. Aber nicht nur der Ort, auch das Konzept ist ein Erfolgsrezept: Es werden nur Künstler als Kuratoren eingeladen. 2014 war es Jittish Kallat, heuer zur 3. Ausgabe Sudarshan Shetty. Anders als seine Vorgänger setzt Shetty nicht auf große Namen – im Gegenteil: Zumindest europäischen Besuchern sind die meisten der 97 Künstler aus 31 Ländern wenig bekannt. Blue Ships sind gar keine darunter.
Stattdessen setzt er auf Multidisziplinarität unter dem Titel „Forming in the pupil of an eye“: das Auge sei das einzige menschliche Organ, das zugleich die Welt aufnimmt und reflektiert, erklärte Shetty. Dieser offenen thematischen Vorgabe entsprechend legt er das Spektrum der Arbeiten sehr weit an, lud auch Musiker, Tänzer, Literaten und Architekten ein. Da zeigt etwa Architekt Rajeeb Thakker in Mengen von kleinen Boxen seine Forschung auf der Suche nach dem idealen Wohnen; die Choreographin Anamika Haksar inszeniert ein dramatisches Tanztheater gleich neben dem fast zehn Meter langen Wandgemälde von P K Sadanandan, das er im Stil der Miniaturmalerei Tag für Tag langsam vollendet.
Es zeigt die Geschichte einer Familie, eine Art Allegorie auf das indische Kastensystem. Während die meisten Künstler mit leisen, in Material, Dimension und Ästhetik zurückhaltenden Werken auftreten, suchen die Literaten das laute Pathos:

Raul Zurita in seiner Installation „The Sea of Pain“, 2016, Seewasser und acht Wandtafeln. Foto Kochi Biennale Foundation
Um das Gedicht des chilenischen Dichters Raul Zurita über das Flüchtlingskind Galip Kurdi zu lesen, Bruder des an der türkischen Küste tot aufgefundenen und als Fotografie durch die Weltmedien bekannt gewordenen Amin, muss man durch knöcheltiefes Wasser spazieren – durch den „See des Leidens“. Nicht ganz so kitschig ist der Beitrag seines Kollegen:
Der slowenische Autor Ales Steger ließ eine riesige „Pyramid of Exiled Poets“ im Innenhof des Hauptausstellungsortes Aspinwall bauen, durch die man in klaustrophobisch engen, stockdunklen Gängen labyrinthisch geleitet wird. Aus den Wänden kommen Stimmen, denen man im Bestreben, möglichst schnell herauszukommen, kaum zuhört. Thematisch finden diese Positionen kaum zusammen, aber das hat Shetty ja auch gar nicht intendiert mit seiner Idee der Weltwahrnehmung in unseren Pupillen.
3. Kochi Muziris Biennale, Indien. 12.12.2016-29.03.2017
veröffentlicht in: MONOPOL Magazin, Feb. 2017