3. Riwaq Biennale 2009

04. Nov. 2009 in Biennalen

3.Riwaq Biennale, Ramallah 2009

Nevin Aladag, Peace Victory, Jerusalem 2009

Wir hatten Kunst erwartet. Stattdessen wurden wir auf eine Reise geschickt. Eigentlich hätten wir das ja ahnen müssen. Denn diese Biennale ist anders als alle anderen. Vor sechs Jahren war es nur ein Aufdruck auf T-Shirts und Bannern: „Biennale Riwaq 2005. Architecture Installations Interventions.“ Zwei Jahre später wurden Künstler zu einer Konferenz eingeladen und sollten für bzw. im Westjordanland Projekte entwickeln. Die diesjährige 3.Edition fand im Rahmen der Ausstellung „Palastine c/o Venice“ während der Biennale Venedig statt: „3.Riwaq Biennale. A Geography: 50 Villages“, Postkarten und eine Landkarte von 50 historischen Häusern im Westjordanland.

Dar Khali Palace, Palästina

Die Riwaq Biennale ist ein Künstlerprojekt. Der palästinensische Künstler Khalil Rabah nutzt es zur Bewusstmachung eines Ausnahmezustandes. Eine ähnliche Funktion ha auch sein „Palestinian Museum of Natural History and Humankind“. In seinem reisenden „Museum“ – bisher ausgestellt auf der 9.Istanbul Biennale 2005, Liverpool Biennale 2008 und Athen Biennale 2009 – präsentiert Rabah Objekte rund um den Olivenbaum als Repräsentant der palästinensischen Geschichte. Beide Formate sind eng verbunden mit der Geschichte der europäischen Nationalstaatengründungen, dienen bis heute  zur Konstruktion von nationaler Identität.

Die Krux an Rabahs Biennale und Museum ist allerdings, dass dahinter keine Nation steht. Palästina existiert nicht als Staat, sondern nur als besetzte „palästinensische Autonomiegebiete“, als Westjordanland und Gaza. Mehr noch: Von ´Palästina´ zu sprechen ist ein politischer Akt. Seit Barack Obama in seiner Kairo-Rede im Juni 2009 erstmals ´Palästina´ aussprach, ist diese Formulierung zwar wieder möglich, aber noch immer enorm provokant.

Erst vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung und Brisanz von Rabahs Projekten verständlich. Archäologie und Architektur sind in dieser Region Waffen, von Israel eingesetzt zur Legitimierung immer größerer, nicht legaler Siedlungen im Westjordanland, von Palästina eingesetzt, um eine eigene Kultur zu behaupten, von beiden instrumentalisiert zur Bestätigung der historischen Verwurzelung im Land. Rabahs Postkarten in Venedig sind also weit mehr als schöne Ansichten, es sind politische Platzhalter.

Vor drei Monaten dann entschied Rabah zusammen mit Co-Kurator Charles Esche, den Venedig-Beitrag zu expandieren und zu einigen dieser Orte Busreisen zu organisieren. Die fünfzig Häuser bzw. historischen Stadtkerne werden von „Riwaq“ renoviert, dem Zentrum zur Erhaltung von historischer Architektur in Palästina. Die Wiederherstellung ist der Versuch, einen Normalzustand zu demonstrieren, ist Mittel, um Erinnerung zu verteidigen, aber auch als Touristenroute gedacht für all jene, die nicht nur die israelische Seite des heiligen Landes besuchen möchten. In den renovierten Häusern hätte Kunst sein können, aber die sahen wir nur auf unserer Tour durch Jerusalem.

Der palästinensische Ostteil von Israels Hauptstadt ist dieses Jahr Kulturhauptstadt der arabischen Welt. Mit diesen Mitteln teilfinanziert, finden hier zwei außergewöhnliche Ausstellungen statt: „The other shadow of the city“, organisiert von der ArtSchool Palestine, und die jährlich stattfindende „Jerusalem Show“ von der Al mamal Foundation. Beide Ausstellungen gastieren im Stil einer Biennale in verschiedenen Räumen wie Theater, Hotel, das österreichische Hospiz oder das schwedisch-christliche Studienzentrum. Jede Fotografie, jedes Video, jede Performance hier spiegelt die politisch überheizte Situation, Raouf Haj-Yahias Computerspiel fordert uns zur Hilfe auf, wenn wir Häuser vor dem Abriss retten sollen; Jawad Al Malhi´s Fotografien von klaustrophisch-engen Flüchtlingslagern erinnern uns daran, dass es noch immer mehr als 50 davon in Palästina gibt. Nevin Aladag verstreut weiße Blätter mit Ornamenten, die ein Peace-Zeichen aus Kampfflugzeugen formen und Taysir Batniji fotografiert die israelischen Wachtürme im sachlichen Dokumentarstil von Bernd und Hilla Becher. Eine großartige Parabel über das Verhältnis von Juden und Arabern erzählt Mahmoud Hojeij in seinem Video „We will win“: Drei Jugendliche scheitern beim Versuch, sich gegenseitig zu vertrauen und auch nur einen einzigen gelungenen Bocksprung über die Rücken der Anderen zustande zu bringen.

 

Nevin Aladag, Peace + Victory, 2009

Zentrales Thema der Ausstellungen, vor allem auch der 3.Riwaq Biennale ist die Halluzination von Normalität: die Gleichzeitigkeit von realer Besatzung und imaginärer Freiheit, die hier das Denken und Handeln bestimmt. Am dritten Tag fahren wir in den Norden nach Nablus, vorbei an Checkpoints, Straßensperren und Blockaden. Über 600 Hindernisse hat Israel errichtet, aber kaum eines scheint aktiv zu sein – alles also normaler Alltag hier? Auf dem Weg nach Hebron erlebten wir dann die andere Seite. Knapp siebzig Kilometer wäre die normale Strecke von Ramallah in den Süden Palästinas. Aber hier ist nichts normal. Palästinenser dürfen nicht durch Jerusalem fahren, sondern müssen den langen Umweg durch das steile „Tal des Feuers“ nehmen. Das wiederum dürfen nur jene mit einem Pass aus dem Westjordanland. Unsere Tourenführerin aber lebt in Ostjerusalem und darf den Umweg im eigenen Land nicht nehmen. Daher hielten uns die israelischen Soldaten 90 bedrückende Minuten am Checkpoint auf. Die direkte Straße durch Bethlehem ist durch die Betonmauer gesperrt, die Israel erfolgreich vor palästinensischen Selbstmordattentätern schützt. In Hebron verwandelt die militärisch gesicherte Siedlung radikaler Israelis die Altstadt in ein gespenstisches Kriegs-Szenario. Über Teilen des Markts ist ein Stahlnetz gespannt, dass die Händler und Käufer vor Müll und Steinen aus den besetzten Häusern schützt.

Raoul Haj-yahia, Gaza Bread

 

In Palästina ist jede religiöse Stätte, jedes kulturelle Moment, jede Straße politisch besetzt. Es ist eine fortwährende Herausforderung, sich angesichts der tief bewegenden Eindrücke immer wieder beide Seiten des Konflikts zu vergegenwärtigen. Genau dies sollen diese fünf Biennale-Tage auch leisten: uns die vielen Farben zwischen dem Schwarz und Weiß der medialen Klischees zu zeigen. Diese Aufgabe ist so überwältigend, dass darin außerhalb von Jerusalem noch kaum Platz ist für Kunst.

 

Altstadt Hebron

Veröffentlicht in: www.artnet.de, 4.11.2009,

http://www.artnet.de/magazine/3-riwaq-biennale-im-westjordanland/

http://www.artnet.de/content/DesktopModules/PackFlashPublish/ArticleDetail/ArticleDetailPrint.aspx?ArticleID=757&Template=Article_Print.ascx&siteID=0