Halluzination von Normalität – Die 3. Riwaq Biennale in Ramallah
Biennalen gibt es nahezu überall, von Shanghai über Sharjah bis Berlin sind sie ein wirksames Werkzeug für Citymarketing. Die Riwaq Biennale aber ist anders. Sie ist erstens ein Künstlerprojekt, dessen Name zweitens nicht mit einer Stadt, sondern einem Zentrum für Architektur-Erhaltung verbunden ist, das drittens in Palästina arbeitet – in einem Land, dass es nicht gibt. Die palästinensischen Autonomiegebiete sind besetztes Land, mit stark eingeschränkten Rechten, ohne eigene Währung, ohne Pässe. Kann es hier überhaupt Kunst geben?
Sicherlich. In Jerusalem laufen gerade die beiden bemerkenswerten Ausstellungen „The other shadow of the city“ von der ArtSchool Palestine und die jährlich stattfindende „Jerusalem Show“ von der Al mamal Foundation. Und einer der besten Beiträge der 53. Biennale Venedig heuer war „Pälestine c/o Venice“. Eigentlich wollte Palästina mit einem Länderpavillon vertreten sein. Aber die Statuten der Biennale Venedig verbieten nicht-anerkannten Staaten einen Auftritt als Nation. Also fand eine Ausstellung statt, in der die sechs Künstler die enorm konfliktgeladene Situation der Palästinenser thematisierten. Einer der Beiträge war die 3.Riwaq Biennale von Khalil Rabah: Postkarten und eine Landkarte von 50 palästinensischen Dörfern, in denen historische Häuser – von Riwaq – renoviert werden.
So selbstverständlich diese Bildmotive scheinen, so aufgeladen sind sie. Israel benutzt Architektur und Archäologie zur Legitimierung expandierender Städte, immer wieder auch für immer weitere illegale Siedlungen im Westjordanland. Palästina benutzt die Renovierung alter Stadtkerne als Schutz und Erinnerungsspeicher der eigenen Kultur, aber auch als Touristenroute für all jene, die nicht nur die israelische Seite des Heiligen Landes besuchen möchten.
Vor drei Monaten dann entschied Khalil Rabah eine ungewöhnliche Fortsetzung seines Venedig-Beitrags: die 3.Riwq Biennale expandierte in eine Reise. Treffpunkt war Ramallah, das wirtschaftliche, politische und kulturelle Zentrum Palästinas. Von hier aus ging es fünf Tage lang mit Bussen zu einigen der Postkarten-Häuser. Eine kleine Schar aus palästinensischen Studenten und internationalen Architekten, Kuratoren und Künstlern fuhr durch das Land, um die vielen Farben zwischen dem krass reduziertem Schwarz und Weiß der medialen Klischees kennenzulernen. Wir sahen weder zerstörte Häuser noch Verarmung oder Verslumung, stattdessen immer wieder Neubauten, schicke Mercedes und BMW, gepflegte Olivenbaumplantagen und Weinanbau. Wir sahen die Ausstellungen in Jerusalem, den historischen Stadtkern von Birzeit, fuhren hoch in den Norden nach Nablus, vorbei an Checkpoints, Straßensperren und Blockaden. Über 600 Hindernisse hat Israel errichtet, aber kaum eines scheint aktiv zu sein – alles also normaler Alltag hier?
Prressekonferenz Riwaq Biennale
Diese Frage war das zentrale Themen der Biennale: die Halluzination von Normalität. Die Gleichzeitigkeit von realer Besatzung und imaginärer Freiheit. Auf dem Weg nach Hebron erlebten wir dann die andere Seite. Knapp siebzig Kilometer wäre die normale Strecke von Ramallah in den Süden Palästinas. Aber hier ist nichts normal. Palästinenser dürfen nicht durch Jerusalem fahren, sondern müssen den langen Umweg durch das steile „Tal des Feuers“ nehmen. Das wiederum dürfen nur jene mit einem Pass aus dem Westjordanland. Unsere Tourenführerin aber lebt in Ostjerusalem und darf den Umweg im eigenen Land nicht nehmen. Daher hielten uns die israelischen Soldaten 90 bedrückende Minuten am Checkpoint auf. Die direkte Straße durch Bethlehem ist durch die Betonmauer gesperrt, die Israel erfolgreich vor palästinensischen Selbstmordattentätern schützt. In Hebron verwandelt die militärisch gesicherte israelische Siedlung die Altstadt in ein gespenstisches Kriegs-Szenario. Über Teilen des Markts ist ein Stahlnetz gespannt, dass die Händler und Käufer vor Müll und Steinen aus den besetzten Häusern schützt.
Hier ist alles verwoben mit der Vergangenheit, jede religiöse Stätte, jedes kulturelle Moment ist zugleich politisch besetzt. Es ist eine fortwährende Herausforderung, sich angesichts solcher tief bewegender Eindrücke immer wieder beide Seiten des Konflikts zu vergegenwärtigen. Und immer stand die Frage im Raum: Kann in einem solchen Zusammenhang überhaupt Kunst präsentiert werden? Die mitreisenden Künstler waren aufgefordert, für die nächste Biennale-Edition Projekte zu entwickeln. Aber wären Kunstwerke in den dörflichen Häusern nicht ein Zeichen für eine Normalität, die nicht existiert? Oder kann gerade Kunst die Vielschichtigkeit der Situation, der Konflikte weitaus besser vermitteln als jede Rede, kann den Häusern eine neue Identität geben? Wir hatten in den Häusern Kunstwerk erwartet. Aber diese 3.Riwaq Biennale verzichtete komplett auf Kunst.
3.Riwaq Biennale, Eine Geographie: 50 Dörfer, 12.-16.10.2009
veröffentlich in: Die Presse, 2.11.2009, http://diepresse.com/home/kultur/kunst/518771/3-Riwaq-Biennale_Die-Halluzination-von-Normalitaet