Vor einem Monat gingen in Brüssel Terrorbomben hoch. Zwar ist am Flughafen der Zugang zu den Zügen noch versperrt und der Weg zu den Ersatzbussen verwirrend. Aber es funktioniert. Auch sonst geht in Europas Hauptstadt alles wieder den gewohnten Gang – und dazu gehört auch die Eröffnung der 34. Art Brussels. Heuer findet Belgiens größte Kunstmesse erstmals nicht mehr auf dem Messegelände beim Atomium statt, sondern in dem historischen Tour & Taxis-Gebäude – wie die Familie Thurn & Taxis hier genannt wird. Ursprünglich als erste große Poststation gebaut, später in ein Zolllager umgewandelt, sind die Hallen im Norden der Stadt heute ein multikulturell genutztes, urbanes Quartier – mitten in Molenbeek.
Seit den mörderischen Attacken in Paris und Brüssel gilt dieser Stadtteil als Zentrum der islamischen Terroristen. Allerdings gibt es auch ein schickes Molenbeek, wo die Messe gänzlich ungestört und überaus erfolgreich eröffnete. Die Art Brussels ist eine der wichtigsten, weil internationalsten Messen Europas, auf der nicht wie in Basel Blue Chips angekarrt werden und anders als auf der Art Cologne auch durchaus Kunst mit politischem Anspruch zu finden ist.
Denn die künstlerische Leiterin Katarina Gregos legt großen Wert auf ein vielseitiges und junges Programm. Aus 430 Anfragen wurden 140 Galerien aus 28 Ländern ausgewählt – aufgrund des Raumwechsels mussten es 50 weniger sein als 2015. Darunter sind 93 aus dem letzten Jahr (u.a. Thoman, Mauroner und Raum Mit Licht aus Österreich) und 16 nach längerer Abwesenheit zurückgekehrt, 31 Galerien das erste Mal dabei. Fünfzehn nehmen an der neuen Sektion „Rediscovery“ teil, wo Renate Bertelsmann bei der Wiener Galerie Steinek eine enorme Aufmerksamkeit findet.
Ihre Objekte mit handelsüblichen Dildos erinnern an die rebellische Freiheit früherer Jahrzehnte, in denen der Emanzipationsdiskurs humorvoll und frech geführte wurde. Zur Sektion Prime gehören 98 Galerien, erstmals treten hier Pace Gallery, Peter Kilchman und Ben Brown auf. 24 Galerien zeigen Solostände, darunter Krinzinger mit Skulpturen des Rumänen Istvan Csakany und die (De-)Konstruktionszeichnungen von Toiletten der deutschen Künstlerin Esther Fleckner – damit gewann die Avlskarl Gallery den Preis für junge Kunst. Für die Auswahl in dieser Sektion war Gregos zuständig: „Sammler wollen oft immer dieselbe junge Kunst, aber man sollte nicht die Vielseitigkeit künstlerischer Praxis vergessen,“ erklärte sie im Gespräch. Darum sind in dieser Sektion verschiedene Medien, Themen und Materialien zu finden, etwa Taysir Batnijis kleines Wandobjekt bei Eric Dupont: Wie in einem Patronengürtel sind kurze, scharf gespitzte Bleistifte aneinandergereiht – ein schönes Bild für Zeichnungen als Waffe.
19 Prozent der Galerien stammen aus Belgien, 69 Prozent aus Europa, 9 Prozent aus USA – gerade diese letzte Zahl ist brisant. Denn einer der Gründe für den Ortswechsel der Art Brussels war der schon 2015 angekündigte Neuauftritt der Satellitenmesse „Independent“. Die von New Yorker Galerien gegründete Veranstaltung, an der nur auf Einladung teilgenommen werden kann, hat sich in ein zentral gelegenes, ehemaliges Kaufhaus eingemietet und brachte so die Art Brussels in Zugzwang. Nur gut 60 Galerien nehmen an der Independent teil, darunter auch Meyer Kainer und Emanuel Layr aus Wien.
Einige große Namen sind von der Art Brussels hierher abgewandert. War der Weggang der Gladstone Gallery ein Verlust für die Art Brussels? Katarina Gregos sieht das gelassen: „Es ist eine New Yorker Galerie, da liegt der Wechsel nahe.“
Independent ist nicht die einzige, allerdings die prominenteste Satellitenmesse und Art Brussels Messedirektorin Anne Vierstrate sieht diese Entwicklung auch durchaus positiv. Aber gerade Independent benötigt eine alteingesessene Messe als Anker, um Galerien wie David Zwirner oder Gavin Brown zu gewinnen. Dafür leistete die Art Brussels eine jahrzehntelange Aufbauarbeit für Sammler, Künstler und Galerien und etablierte die Stadt als Messestandort. Wie einige Galeristen berichten, tritt Independent jetzt als gnadenloser Konkurrent ohne jegliche Kooperationsbereitschaft auf – und ohne jeglichen Mehrwert für Brüssel, wie verärgerte Sammler bemerken. Solche parasitären Modelle sind für die Kunstszene einer Stadt ähnlich problematisch wie die von der Art Basel angestrebte Monopolisierung. Denn nicht nur die Konkurrenz aus New York droht: Nach der Art Dubai führt die Schweizer Messegesellschaft MCH, Eigentümer der Art Basel, jetzt Gespräche mit der Art Brussels als möglichem Übernahmekandidat. Auch die Art International Istanbul und die India Artfair in Delhi sind schon im Fokus von MCH. Sollten sich diese Gerüchte bewahrheiten, würde in der Kunst ein ähnlicher Prozess entstehen wie im Modehandel: Die Einheitsware von Prada bis Zara verdrängt die Vielfalt kleiner Labels.
Brüssels künstlerische Leiterin zog bereits ihre Konsequenz: Nach vier Jahren beendete Gregos ihre Mitarbeit und wird sich wieder auf ihre kuratorischen Projekte konzentrieren. Eine Nachfolge ist nicht geplant.