Perfekt geplant war die feierliche Eröffnung der 4. Art Encounters in Timisoara. Aber zwei Tage vorher kamen neue Verordnungen in Rumänien: Die Impfzahlen sind zu niedrig, die Infektionszahlen zu hoch, größere Veranstaltungen nicht mehr erlaubt. Also begann die Biennale ganz still und leise. Immerhin dürfen die sieben Ausstellungsorte in und rund um die historische Altstadt der westrumänischen Stadt geöffnet bleiben. Dort zeigen jetzt 154 Künstler:innen aus 29 Ländern einen Monat lang ihre teilweise neu produzierten Werke unter dem Titel „Our Other Us“.
Die meisten stammen aus Osteuropa – ein Fokus, mit dem Art Encounters zu einer der wichtigsten Biennale dieser Region geworden ist. Und das, obwohl alles eigentlich ganz anders begann, wie Ovidiu Sandor im Gespräch erzählt. Biennale-Gründer Sandor ist Immobilienentwickler und leidenschaftlicher Kunstsammler– und hat eine Mission: er will die Kunst seines Landes unterstützen, die Kunstszene in Timisoara stärken. Darum plante er 2014 eine regionale Ausstellung, zu der er die Art Collection Telekom-Kuratoren Nathalie Hoyos und Rainald Schumacher einlud. Er zeigte ihnen damals eine Auswahl möglicher Räume. Ihre Antwort: Sie wollten alle bespielen, das Ganze als Biennale weiterleben lassen, aber auf keinen Fall so benennen – daher der sperrige Name, der übersetzt ´Kunstbegegnungen´ heißt.
Mittlerweile hat sich Art Encounters einen fixen Platz im globalen Biennale-Karussell gesichert, wozu sicher auch der spannende Kontext beiträgt. Die Geschichte Timisoaras beginnt mit den Römern und Awaren, handelt von wild wütenden Tataren, deren Zerstörungen von deutschen Siedlern wieder aufgebaut wurden. Im 16./17. Jahrhundert gehörte Timisoara zum Osmanischen Reich, kam ab 1716 unter österreich-ungarische Herrschaft und später zur Sowjetunion. All das lässt sich bis heute in der Stadt ablesen, in den vielen Traditionen, der Kulinarik, der Architektur und den Ethnien. Die gesellschaftliche Vielschichtigkeit ist auch der Fokus dieser 4. Art Encounters, „Our Other Us“ frage nach Formen des Zusammenlebens, erklärt Kuratorin Kasia Redzisz im Gespräch.
Ihr Biennale-Teil beginnt mit der beeindruckenden historischen Schau „Season´s End“ in den Räumen der Biennale Foundation. Thema ist hier die Rolle der Natur in der osteuropäischen Kunst von 1965-1985, die damals als Ausweg aus dem strengen politischen Regime, als Ort der Freiheit galt. Karpo Godinas Hipppie-Video etwa ist ein lustvoller Appell, Kopf und Körper zu befreien, und die legendäre Künstlergruppe SIGMA füllte einen Ausstellungsraum nur mit Heuballen auf ihrer Suche nach alternativen Modellen des Zusammenkommens. Vor allem die Werke der Künstlerinnen beeindrucken, Zorka Saglovas gigantisches Landschaftsbild aus Tüchern, die in einer Wiese liegen; oder Maria Piniuska-Beres´ Performance mit einem rosa Schlitten in Schnee.
In ihrem zweiten Ausstellungsteil „How to be together“ in dem Transportmuseum zeigt Redzisz zeitgenössische Kunst der Region. Auch hier dreht sich alles um andere Modelle von Gemeinschaft – was verglichen mit den historischen Werken eher kryptisch umgesetzt ist.
Die Foundation der Biennale ist in einem historischen Haus untergebracht, das in einem riesigen, brandneuen Hochhausviertel liegt – das jüngste Projekt von Sandor bzw. seinem Unternehmen ISHO. Eine der leerstehenden Büroetagen wählte der zweite Biennale-Kurator Mihnea Mircan für seinen international angelegten Beitrag „Landscape in a Convex Mirror“. Er habe auf seine Situation reagiert, erklärt er im Gespräch: Mircan lebt in Australien und konnte wegen der strengen Corona-Bestimmungen nur aus der Ferne mitarbeiten. Sein Thema für die4. Art Encounters sei daher „Navigieren“. Hier sind einige spannende Werke zu sehen wie Gert van Kocks riesige Landkarten. Seit elf Jahren recherchiert er Stadtpläne aus dem 2. Weltkrieg, auf der London-Karte sieht man sämtliche Bombeneinschläge als kleine schwarze Punkte. Großflächige Häuserzerstörungen sind mit lila Rechtecken dokumentiert. 400 Karten habe er übereinander gelegt, erklärt der Künstler, um ein Zeiten und Ereignisse verbindendes Bild zu schaffen.
Aber ist die Wahl dieses Ortes nicht problematisch, gleicht es nicht einer Werbeveranstaltung für die neuen Immobilien des Biennale-Präsidenten? Dem mag Mircan absolut nicht zustimmen, er betont im Gespräch die „Philantrophie des Unternehmers“ – eine Einschätzung, die auch Timisoaras junger Bürgermeister unterstreicht. Der aus Deutschland stammende Dominic Fritz, der letztes Jahr völlig überraschend die Wahl mit 53 Prozent gewann, ist der erste ausländische Bürgermeister in der Geschichte Rumäniens. Er gewann mit einer klaren Mission: Er will Vetternwirtschaft und Korruption in Timisoara abschaffen, will die Bürokratie verbessern und Timisoara n als europäische Kulturstadt positionieren. Der privat betriebenen Biennale spricht Fritz dabei eine wichtige Rolle zu, wie er im Gespräch betont. Es zeige hohes Privat-Engagement, könne zudem helfen, Vorurteile über Timisoara zu revidieren – und passt mit „Our Other Us“ exakt in seine Kulturförderpolitik. Denn er erfrage bei jedem Projekt dessen Bedeutung für die Gesellschaft – ein Thema, dass auch die Biennale dominiert.
4. Art Encounters, Timisoara / Rumänien, bis 7.11.2021
veröffentlicht in: Die Prresse, 19.10.2021