Die Zukunft gehört Asien. Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum ziehen Wohlstand nach sich, was wiederum Investoren anlockt. Ab 2030 wird dieser Kontinent die alte Welt überholt haben. Dieses Mantra liest man in unseren Zeitungen seit Jahren.
Sicherlich, in Singapur wird bereits mehr ausländisches Geld investiert als in New York, London, Frankfurt und der Schweiz zusammen. Der Freihafen gleich neben dem Flughafen war 2010 sofort nach der Eröffnung ausgebucht. Wein, Gold oder Gemälde sind die drei Kategorien, die hier als Transitgut deklariert und steuerbefreit bewahrt werden. Die Deutsche Bank lagert 200 Tonnen Gold für ihre Kunden und 40% der Anlage sind allein vom Auktionshaus Chriestie´s gemietet. Im Mai 2010 erklärte Chriestie´s Asien-Präsident Francois Curiel, Singapur werde ein wichtiges Zentrum der Kunst werden.
Singapur ist reich und die Reichen reisen nach Singapur. Aber wirkt sich das auch auf den Kunstmarkt aus? Erfüllt sich Curiels optimistische Vorhersage auf der heurigen 4. Art Stage? 158 Galerien stellen im unterirdischen Kongresszentrum des spektakulären Marina Bay Sands Hotel aus – jenen drei Türmen, die unten von einem labyrinthischen Einkaufszentrum und oben im 57. Stockwerk von einem endlos erscheinenden Pool zusammengeführt werden: ein schräger Kontext für Kunst, der hier aber niemanden verwundert.
Die meisten Galerien in Singapur sind in Einkaufszentren eingemietet. Das sei zentral, wird argumentieren, während das im September 2012 eröffnete, staatlich etablierte Galerienviertel „Gillman Barracks“ in einer ehemaligen Militäranlage mir öffentlichen Verkehrsmitteln nur sehr umständlich zu erreichen ist.
15 internationale Galerien wurden angeworben, hier eine Depandance zu eröffnen. Abseits der Eröffnungen kommen hierher kaum Besucher. Alles sei noch am Anfang, wird immer wieder betont. Auch Lorenzo Rudolf, ehemaliger Art Basel-Chef und Besitzer der 2011 gegründeten Art Stage, ist sich sicher: „Das Interesse an Kunst steigt – es ist ein Aufbauprozess, an dem ja auch die Regierung hier ganz deutlich mitarbeitet. Der Bau der National Art Gallery, der Freihafen, die Gillman Barracks – all das zielt auf die Etablierung von Kunst in Singapur.“ Er glaubt fest an das Potential: „Singapur ist stabil, ist sicher, bildet die Kreuzung zwischen China, Südostasien, Australien, Indien, sogar der Golf-Region und ist der einzige multikulturelle Platz in ganz Asien.“
Vor allem aber sieht er enorme künstlerische Qualitäten in der Region – und genau das beweist er mit seiner Kunstmesse. 75% der Messeteilnehmer stammen aus dem asiatisch-pazifischen Raum. Die meisten sind mit einem eigenen Stand vertreten, manche aber auch nur mit einem einzigen Künstler wie die indonesische Galerie Roh Projects. Auf den ersten Blick erinnert Gede Mahendras Diptychon an Jackson Pollocks Drip-Paintings. Aber nur das eine Bild ist ein abstraktes Farbenmeer. In dem anderen sind lauter kleine, mythologische Figuren versteckt, gemalt in der typischen Baluan-Malerei, deren Wurzeln in der chinesischen Tusche-Malerei liegen, wie der Künstler herausfand (30.000,- US-$). Es ist eine malerische Vereinigung verschiedenster Traditionen, eine künstlerische Entdeckungsreise der eigenen Wurzeln, eine Frage nach dem eigenen Platz in einer neu zu schreibenden Kunstgeschichte.
Das Diptychon ist Teil der „südostasiatischen Plattform“, eines der insgesamt acht Foren, für die eigens Kuratoren eingeladen wurden und mit denen die Kunst der Region vorgestellt wird. Denn Lorenzo Rudolf will nicht nur einfach eine weitere Messe etablieren, sondern das Format als „Brücke zwischen den einzelnen Kunstszenen“ nutzen, wie er betont. Asien sei kein homogener kultureller Raum und die einzelnen Kunstszenen wissen kaum etwas voneinander, erklärt er.
Diese Plattformen, die finanziell von den jeweiligen Galerien der ausgesuchten Künstler getragen werden müssen, sind neu und erweisen sich als das große Plus dieser Messe. Denn hier kann man sich nicht nur hervorragend kompakt über die Kunst verschiedener Regionen informieren – was übrigens perfekt im Messekatalog vermittelt ist. Hier spielen auch die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe der Länder eine zentrale Rolle – und dies besonders in dem südostasiatischen Forum, für die Rudolf selbst 31 KünstlerInnen aussuchte, darunter Anurendra Jegadeva Installation, die die religiösen und ethnischen Spannungen in Malaysien thematisiert: Er baut einen detailreichen, symbolisch recht überladenen Hochzeits-Tempel mit Hühnern und anderen Objekten als Sinnbild für das Zusammenkommen der Kulturen. Auf dem Boden davor liegen Portraits dreier Premierminister seines Landes in der typischen Hindu-Technik gefärbter Reiskörner. Sie seien die Priester dieser Zeremonie. Einen muslemischen Minister in Hindu-Technik abzubilden, sei ein provokanter Akt, erklärt er. Der Preis für das Objekt: 58.000,- Euro. Wer glaubt, in Südostasien Schnäppchen machen zu können, kommt zu spät.
Vieles erscheint hier zunächst kitschig oder banal, ist aber wie dieser Altar politisch aufgeladen – das ist eine wesentliche Lektion dieser Messe. So referiert Ruangsak Anuwatwimon (Thailand) Objekt „Hocus Pocus“ auf die sozialen Unruhen 2010 in Bangkok, als ein Einkaufszentrum zerstört wurde. Auf einem niedrigen Tisch präsentiert er einige jener Scherben und versucht, daraus wieder ein Ganzes herzustellen – was schon beim Versuch voller Verletzungsgefahr ist und als Symbol für die anhaltenden Spannungen dient. Der mit abstrakter Malerei bedeckte Glaskasten von Soe Naing aus Myanmar, ehemals Burma, erinnert an das strenge Verbot, seine Malerei in der jüngst beendeten Militärdiktatur auszustellen. Auf der Messe wischte er die drei Plexiglasscheiben teilweise frei, der Blick nach außen wird wieder offen.
Aber kauft auch irgendwer diese Werke? Die Sammlerszene in Indonesien und in den Philippinen sei sehr stark, und in Singapur gäbe es 10 „weltklasse und 100 gute Sammler“, ist die Quintessenz vieler Nachfragen. Tatsächlich werden bald schon Verkäufe gemeldet, vor allem von den regionalen Galerien, und dazu gehören auch jene aus den Gillman Barracks wie der New Yorker Sundaram Tagore oder der Berliner Arndt. Auch solche Scheußlichkeiten wie bunte Keramik-Pandas, grelle Porzellanblumen oder monströse Pepperoni zu unglaublichen Preisen ab 30.000,- Euro finden Abnehmer – dieses Niveau scheint bei Kunsteinsteigern weltweit beliebt zu sein. Weniger davon allerdings täte der Messe gut.
Galerien, die ohne regionale KünstlerInnen auftreten, haben es dagegen schwer. Es benötigt eine gute Mischung wie bei Krinzinger oder Michael Schulze. Und wer kauft seinen 8.5 Mio. teuren Gerhard Richter? Interesse gäbe es genug, beteuert Galerist Schulze. Aber noch ist der Kunstmarkt im Aufbau, die optimistischen Vorhersagen Zukunftsmusik – auch wenn Singapur zur Zeit der Art Stage tatsächlich das Zentrum der südostasiatischen Kunst ist.
4.Art Stage Singapur, 16-19.1.2014
veröffentlicht in: Welt am Sonntag, 19.1.2014
Die bisher erschienenen Messekataloge dienen nicht nur der schlichten Auflistung beteiligter Galerien, sondern sind mit ausführlichen Textbeiträgen über die Marktsituation, kurzen historischem Überblick und Nennung der wichtigsten KünstlerInnen einzelner Länder höchst informative Publikationen zur Kunst in Asien.