Seit 2003 findet diese eigenwillige Biennale in Mechelen statt – und ist erstmals eine herbe Enttäuschung. Bisher führte und die Biennale durch die besonderen Architekturen der Stadt – jetzt hat Kurator Anthony Kiendl das Konzept durchbrochen. Aber beginnen wir mit einem Rückblick: In Mechelen stehen 300 Gebäude unter Denkmalschutz, darunter allein acht historische Kirchen. Weitere gefühlte 200 Gotteshäuser und Klöster sind zu bestaunen, dazu historische Schulen, Waisenhäuser und Spitäler. Denn als Mechelen 1559 zum Erzbistum wurde, baute nahezu jeder Orden sein Hauptquartier in das belgische Städtchen. Noch heute ist es, eine knappe Zugstunde von Brüssel entfernt, die kirchliche Hauptstadt Belgiens.
2003 wurde die Contour Biennale für Videokunst gegründet, die erste Ausgabe fast ausschließlich in Kirchen statt, etwa Fiona Tans Film „San Sebastian“ in einer ehemaligen Klosterkirche. Die unerwartete Nähe zu dem titelgebenden, christlichen Märtyrer, der mit Pfeilen erschossen wurde, und dem von Tan gefilmten buddhistischen, spirituellen Ritual des Bogenschießens wurde so in dem ehemals sakralen Ort auf die Spitze getrieben. 2005 führte die Tour zusätzlich in Privathäuser. Dort lief etwa Gülsün Karamustafas Film „Tailor Made“, eine Modeschau mit Models aus drittklassigen Cabarets, mit der die Künstlerin auf die harten Lebensbedingungen der Frauen verwies. 2007 gehörte auch der ehemalige Palast der 1530 verstorbenen Margarete von Österreich zu den Spielorten der Biennale. Cédric Noël zeigte hier die Installation „Ein Reich“, in der er fiktive Bezüge zwischen Metropolen herstellte. 2009 schließlich gehörte das ehemalige Ausbildungszentrum für Priester mit einer riesigen, düsteren Aula zu den örtlichen Höhepunkten, in dem Michaël Borremans gespenstischer Film „Taking Turns“ lief, in dem eine Frau einen Torso dreht und wendet: Ein perfektes Abbild ihrer selbst, offenbar eine Identitätssuche in Selbstumkreisung – ein Sinnbild für die Verfasstheit der katholischen Kirche? Der Blick auf die Vergangenheit als „stille Erinnerung unserer Zukunft“ hieß das überzeugende Konzept von Kuratorin Katerina Gregos 2009.
Was gibt es dieses Jahr bis Ende Oktober zu sehen? Die 5. Contour Biennale steht unter dem Titel „Sound and Vision: Beyond Reason“. Der kanadische Kurator Anthony Kiendl hat sich offenbar auf eine kleine Namensänderung der Biennale konzentriert, die seit 2009 nicht mehr „Videokunst“, sondern „bewegte Bilder“ zeigt: Er sucht für diese 5. Contour Biennale die ´Bewegung´ nicht nur in Bildern, sondern auch in „sozialen Veränderungen“ und in Musikaufführungen. Also führt den Betrachter die Tour dieses Jahr nicht nur durch die historische Innenstadt Mechelens, sondern präsentiert auch die weniger charmante Seite der Stadt: Dennis Tyfus´ Videos und Musik sind in einem scheußlichen Fußgängertunnel untergebracht, Anne-Mie van Kerckhovens Aufnahme eines brachialen Live-Konzerts von Club Moral in einem nassen Keller und Adam Pendletons langatmige Dokumentation einer zu Recht wenig bekannten Band aus Kanada im Lesesaal einer Schule, der früher als Kapelle diente.
Das Konzept, Performances, Musikdokumentationen und Live-Konzerte in eine Biennale einzubauen, hat seinen Reiz, denn die Ausstellungsform Biennale balanciert stets auf dünnem Seil zwischen einem hauptsächlich lokalen Publikum bei gleichzeitig hohen, globalen Qualitätskriterien. In Mechelen gibt die Contour Biennale gar immer wieder Werke in Auftrag. Musik ist da ein feines Hilfsmittel, insbesondere dann, wenn die Biennale hier wie mit Dan Grahams „Performance Pavillon für eine katholische Stadt“ nur die Plattform, nicht aber die Aufführungen anbietet. Allein, wer genauer hinsieht, wird bald die Tücken des Konzeptes bemerken, denn der Großteil der dieses Jahr ausgestellten Werke ist zwar voller Bewegung, aber auch eine gewaltige Enttäuschung. Manche Arbeit wirkt wie bebildertes Google-Wissen, zum Beispiel Edith Dekyndt, die auf eine Wand das Wahrnehmungsphänomen „Myodesopsies“ schreibt, kombiniert mit einem weißen Leuchtkasten. Wir sehen, kurz gesagt, den Staub in unseren Augen – und damit eben das, was das Phänomen benennt. Andere Arbeiten sind voller ungebrochener Klischees wie Luis Jacob & Noam Gonicks hippieartiges Zelt im Kulturzentrum der Stadt, in dem vier Videoprojektionen eine Woche Landleben dokumentieren. Ausdruck einer „queer utopia“ sollen sie sein, tatsächlich aber stecken sie voller Naivität, Altbekanntes nachlebend. Da hilft auch der mittendrin auf einer Matratze liegende Schauspieler nichts.
Die Besonderheit der Contour Biennale besteht vor allem in dem spannungsvollen Bezug zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen der Kunst und den geschichtsträchtigen Orten Mechelens. Leider hat Kurator Anthony Kiendl genau das mit seinem diffusen Fokus auf Bewegungen aller Art größtenteils vernachlässigt. Aber in manchen Beitrag mischt es sich dann doch hinein: Im Saint Rumbold´s College läuft Pierre Bismuths Animationsfilm, in dem er die Handbewegungen von Elvis Presley in Jailhouse Rock nachzeichnet – ein interessanter Blick auf andere Formen des Kritzelns und der Kommunikation, gerade am Austragungsort Schule. Und in der barocken Saint Peter & Paul-Kirche lädt uns eine „Dreammachine“ mit wellenförmigen Lichtspielen dazu ein, die Augen zu schließen und auf unsere inneren Bilder zu schauen. Die Maschine wurde 1960 von Brion Gysin und Ian Sommerville entwickelt. In Mechelen findet ihre damals undenkbare Erweiterung statt, wenn sich jene Bilder dazumischen, die der Ort der alten Kirche auszulösen vermag.
Contour 2011, 5. Biennale des bewegten Bildes, Mechelen/Belgien. Vom 27. August bis 30. Oktober 2011
veröffentlicht in: www.artnet.de , 30.8.2011