„Ich möchte es eigentlich eine Biennale nennen, oder eine Annuale“, spitzt Nanna Hjortenberg ihre Beschreibung der Chart Artfair 2018 zu. Seit diesem Jahr ist sie die neue Direktorin der nordischen Kunstmesse in Kopenhagen. Tatsächlich ist diese Messe anders als all die über 200 Messen weltweit. Vor sechs Jahren von fünf Galeristen gegründet, funktioniert CHART als non-profit-Unternehmen. „Wir wollen keinen Gewinn machen mit der Messe“, klärt Hjortenberg das Grundprinzip der Messe. Dementsprechend niedrig sind die Gebühren, zwischen 5.800 bis 8000 Euro muss je nach Standgröße bezahlt werden – wobei es gar keine Stände gibt. Denn die Messe findet mitten im Zentrum Kopenhagens in der Kunsthalle Charlottenborg statt, in offenen, tageslichtdurchfluteten Räumen. „Die Messe ist eher eine große Ausstellung“, betont Hjortenberg, die Präsentationen der insgesamt 32 Galerien fließen ineinander.
Teilnahme ist nur auf Einladung möglich und geht an Galerien, die aus Skandinavien stammen oder wie der in Wien ansässige Croy Nielsen vornehmlich nordische Künstler zeigen. Gezeigt wird „das Beste aus dem Norden“, wie immer wieder betont wird, etwa die gespenstischen Blumen-Arrangements von Roland Persson, die der Bildhauer aus Silikon anfertigt (1.900 bis 20.000 Euro). Galerie Helsinki Contemporary kombiniert die Skulpturen gemeinsam mit den wie ein Negativfoto gemalten Portraits von Miikka Vaskola, die eine merkwürdig entrückte Stimmung erzeugen. Die meisten Galerien teilen sich einen der musealen Räume und keine Galerie darf über die Jahre einen fixen Platz beanspruchen. Stattdessen wird kontinuierlich rotiert – was sich wohl viele Galerien auch endlich einmal auf der Art Basel wünschen würden. Überhaupt ist die CHART demonstrativ demokratisch angelegt, immer wieder wird die eine, zentrale Idee betont: die Gemeinschaft. „Die Galerien werden nicht separiert, es gibt keinerlei Hierarchie“, erklärt der Berliner Galerist Taik Persons, der abstrakte Fotografie aus Finnland zeigt, darunter den jungen, noch an der Aalto Universität studierenden Rainer Pannanen. Pannanen ist eigentlich Musiker und überträgt das Prinzip in die Fotografie, wenn er Saiten über Fotopapier spannt. Beim Spiel wird Tusche verspritzt, der Sound erzeugt so die Bildkomposition (4.800 Euro). Anders als bei den meisten Messen darf während der CHART keine Galerie eine eigene Einladung veranstalten. Auch gibt es kein exklusives Essen für Auserwählte wie etwa bei der parallel in einer außerhalb gelegenen Messehalle stattfindenden, international angelegten Code Art Fair. Stattdessen ist die Messeeröffnung ein großes Fest für die ganze Stadt. „Wir möchten alle in die Welt der Kunst einladen“, erklärt Hjortenberg.
Darum erweitert sie CHART heuer auch erstmals um die CHART Design-Messe. Gut zehn Minuten Fußweg entfernt in der Künstlervereinigung Den Frie zeigen zwölf Galerien neue nordische Gestaltungen. Warum nur so wenige Aussteller? „Design hat hier eine demokratische Tradition und gehörte lange nicht in Galerien“, erklärt CHART Design-Direktorin Nanna Balslev Strojer. „Der Schwerpunkt lag auf Massenproduktion und hatte nicht wie etwa in Italien einen ikonischen Status.“ Das änderte sich vor gut fünf Jahren. So finden sich auf CHART Design vornehmlich Collectibles, also Unikate, die die Grenze zur Kunst überschreiten wollen, darunter viele Objekte aus Keramik oder Bronze. Dazu lud Strojer 13 junge Designer ein, die so kuriose Objekte wie Matias Liimatainens Roboter als Keramik-Lampe oder Sigrid Espeliens prächtig gestalteten Tischaufsatz als Pommes Frites-Halter inklusiv kleinen Schälchen für Ketschup zeigen. Und rund um die beiden Messen findet ein umfassendes, öffentliches Programm statt: die Musikbühne mit Live-Acts während der Eröffnung, die Ausstellung junger Kunststudenten aus nordischen Akademien, das Performance-Programm und die Architektur-Modelle.
In den beiden Innenhöfen vor der Kunsthalle sind fünf Pavillons für Getränke und Essen aufgebaut. Dafür wurde an junge Architekten in Skandinavien eine Einladung verschickt, innerhalb von nur 72 Stunden einen Entwurf zum Thema „Open Source“ vorzuschlagen. 92 antworteten, fünf erhielten die Chance zur Umsetzung, darunter die jungen polnischen Architekturstudenten, die ihren Pavillon aus insgesamt vier Kilometer nordischer Wolle in Knotentechnik bauten. Jetzt kann man hier die „neue nordische Küche“ verkosten. Seit Rene Redzepi mit seinem Restaurant Noma die Welt der Spitzenköche revolutionierte, gilt das Prinzip der radikal reginalen Produkte offenbar flächendeckend für alles – und funktioniert perfekt. „CHART ist die unprätentiöseste aller Messen“, erklärt Taik Person, „die Sammler lieben es, hier her zu kommen. Es ist alles völlig stressfrei – der perfekte Auftakt zur Saison.“
veröffentlicht in: Welt, 1.9.2018