55 Millionen Rubel stehen der Moskau Biennale zur Verfügung. Das ist ein ordentliches Budget – wäre da nur nicht der Verfall des Rubels. So mussten die drei Kuratoren für die heurige 6. Ausgabe mit umgerechnet nur noch 750.000 Euro auskommen. Und das ist nicht die einzige Schwierigkeit, die das dreiköpfige Kuratorenteam meistern musste.
Fand die 2005 gegründete Biennale bisher im Zentrum der Metropole statt, so führt der Weg der Moskau Biennale jetzt einige Kilometer hinaus in den Norden zu dem Gelände WDNCh – und das kann bei dem Moskauer Straßenverkehr durchaus Stunden dauern. Die fünf Buchstaben stehen übersetzt für „Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft“, erbaut wurde das Gelände mit den rund 100, teils im prächtigen neobarocken Sowjetstil gestalteten Pavillons 1939. Heute werden einige Gebäude als Messeplatz benutzt, der Park ist ein beliebtes Ausflugsziel, aber so recht fehlt es dem Gelände an einem klaren Profil – und da bietet sich eine Biennale natürlich perfekt für eine hochkulturell angelegte Neupositionierung an. Allerdings ist der Biennale der „Zentrale Pavillon“ zugewiesen, der erstens in einer sehr dominanten Architektur erbaut, zweitens denkmalgeschützt, also unantastbar, und drittens in einem desolaten Zustand ist.
Aber das Kuratorenteam ließ sich nicht entmutigen und fand einen Ausweg aus dem Dilemma: Defne Ayas (Direktorin Witte de With, Rotterdam), Bart De Baere (Direktor MUHKA, Antwerpen) und Nicolaus Schafhausen (Direktor Kunsthalle Wien) einigten sich auf eine Biennale im Gewand eines zehntätigen Festivals. Daher steht diese kürzeste aller Biennalen unter dem Titel: „How to Gather?“
´Versammelt´ werden rund 70 KünstlerInnen und „system thinkers“, auf der Moskau Biennale gibt es Vorträge, Performances und „Talking Shows“. So beginnt die Biennale auch nicht mit einer fertigen Ausstellung, stattdessen entstehen die Werke vor Ort wie in einem Atelier. Fabrice Hyber portraitiert die Besucher mit Farbe aus verdünntem Rohöl, Qiu Zhijie malt eine riesige Landschaft auf die Wand und Els Dietvorst beginnt ihren „Totenkopf“ mit einem Holzgestell, das langsam mit Draht und Lehm überzogen wird. Ob diese Werke abschließend zerstört werden, so wie Luc Tuymans Wandmalerei, der einzige vorab vollendete Beitrag?
Man wolle nicht den schnellen Kunstkonsum bedienen, sondern den magischen Moment der Kunstproduktion bieten, betonte Bart de Baerts auf der Pressekonferenz. Diese Biennale sei „eine Rakete, die noch starten muss“, umschreibt Schafhausen das Konzept und erklärt: „Wir nehmen uns hier etwas, was es kaum noch gibt: Zeit.“ Erst zur Finissage sieht man die fertige Ausstellung. Konsequenz verzichtete das Team daher auch auf eine Eröffnung, Tickets für umgerechnet 2 bzw. 3,90 Euro konnten am ersten Tag ab Mittags gekauft werden. Kaum jemand kam, was den familiären Charakter dieser Biennale ganz entsprach – und den Performances genügend Platz ließ. Da schaukelte etwa Johanna von Overmeir in einem vogelähnlichen Kostüm und einer Maske, die ihrem Hinterkopf ein Gesicht hinzufügt. Und der Berliner Leon Kahane nimmt im Pavillon öffentlich Ballettunterricht – ein durchaus kritisch gemeinter Beitrag. Denn Ballett ist in Moskau weitaus akzeptierter als Kunst, Kahane will beides verbinden – und nebenbei noch über Tschaikowskys „Nussknacker“-Ballett das Thema Homosexualität antippen.
Weitaus konventioneller, trotzdem entschieden drastischer ist eines der kollateralen Projekte: Simon Mraz vom Österreichischen Kulturinstitut Moskau lud in Kooperation mit der Kunsthalle Wien 24 KünstlerInnen ein, sieben russische Industriestädte zu besuchen. Unter dem Titel „Prinzip Hoffnung“ sind in einer ehemaligen Fabrikhalle die daraus entstandenen, eindrücklichen Fotografien, Skulpturen und Installationen ausgestellt.
Mit oft nur einem einzigen Bildmotiv wie einem verdorrten Strauch oder der jungen Frau mit Mundschutz fängt Elena Chernyshova die desolate Stimmung in Norilsk ein. 1935 aufgrund des hohen Nickelvorkommens im Norden Sibiriens gegründet, ist Norilsk heute eine der zehn meistverschmutzen Städte der Welt, und trotzdem leben hier 177.000 Menschen. Auch Dimitri & Yelena Kavarga besuchten Norilsk und entwarfen daraufhin eine schwarze, verklumpte Skulptur, aus der leuchtende Farben fließen – wunderschön und giftig zugleich.
Tue Greenfort ließ seine Schnappschüsse aus Ischewsk vor Ort auf Wände affichieren, in Moskau liegen die Bilder achtlos auf dem Boden – ein starkes Bild für den verlorenen Traum eines besseren Morgens. Aber die Beiträge zeigen noch einen anderen Aspekt. Immer wieder sehen wir Fotografien von musizierenden Kindern, tanzenden Eltern und stolzen Arbeitern – der Tristesse wird getrotzt, die Hoffnung stirbt nicht.
6. Moskau Biennale, bis 1.10.; Prinzip Hoffnung, bis 1.10.
veröffentlicht: Die Presse, 29.9.2015