Subtil, präzise, leise und vor allem überwältigend komplex – die 8.Berlin Biennale stellt uns vor einige Herausforderungen.
Zwei Dutzend leere Stühle sind am Strand aufgereiht, alle auf das Meer ausgerichtet. Nur ein einziger Mann sitzt hier und schaut nahezu bewegungslos den Wellen zu. Daneben sehen wir einen leeren Jahrmarkt, ein eingestürztes Kino, dann einen Mann, der behutsam Buch für Buch in Kisten packt und im Keller in Regalen verstaut.
All diese melancholischen Video-und Fotografie-Aufnahmen hat die Künstlerin Bani Abidi in der pakistanischen Küstenstadt Karachi gesammelt. Ausgestellt ist diese kleine Stadtgeschichte in Vitrinen im ethnologischen Museum in Berlin. Wo vorher historische Fundstücke lagen, sehen wir jetzt also Impressionen der Gegenwart? Sind diese Bilder tatsächlich dokumentarisch oder eher inszeniert? Langsam ahnt man, dass diese zunächst so harmlos und poetisch erscheinende Bildersammlung tatsächlich hintergründig ist: In den Büchern ist zu viel von nicht-islamischen Religionen die Rede, die Bibliothek muss gesäubert werden. Karussell und Kino passen nicht mehr in die immer fundamentalistischer werdende Gesellschaft, die Filmrollen liegen schon lange völlig verstaubt im Dreck.
Dokumentation oder Fiktion, erschreckend nostalgischer Blick zurück oder düster-ahnungsvoll in die Zukunft? Wann endet die Vergangenheit, wo beginnt Heute, wann ist Jetzt? Diese Fragen stellt man sich auf der diesjährigen 8.Berlin Biennale immer wieder. Und das ist intendiert – und eine enorme Herausforderung: So subtil, präzise und auch leise die Biennale heuer wirkt, so wenig rebellisch die Beiträge sind, zu überwältigend komplex sind die hier zusammenfindenden Fäden. 80% der Beiträge der 53 KünstlerInnen, die aus allen Teilen der Welt kommen, wurden eigens für die Biennale produziert. Nahezu alle weben dichte Netze aus Realitätsfragmenten, Rückblicken, Fakten und subjektiven Zutaten. Das führt jedoch selten zu kompakten Bildern, sondern meist zu ausufernden Werken, vor denen wir oft nur kapitulieren können, so umfassend, manchmal auch kryptisch sind die raumgewordenen Untersuchungen.
Und auch das ist intendiert, denn der kanadisch-kolumbianische Kurator Juan Gatan will uns mit dieser Biennale einen Spiegel vorhalten. Er habe in Berlin eine Sehnsucht nach dem 19. Jahrhundert beobachtet, erklärt er, einen Wunsch, „der jüngeren Geschichte zu entkommen“. „Berlin träumt davon, architektonisch, sozial, politisch und intellektuell vereint zu sein.“ Das will er hinterfragen und einen kritischen Blick auf die Geschichtsschreibung richten – wozu ein ganzer Strauß voller Themen gehört: Kolonialismus, Immigration, unser Verhältnis zur Stadt, zur Kultur, zur Arbeit.
Darum leitet uns die 8.Berlin Biennale auch zunächst einmal weg aus Berlin-Mitte, wo die Biennale bisher stattfand. Gut 20 km entfernt im idyllischen Villenvorort Dahlem beginnt der Parcours im Haus am Waldsee.
1922 gebaut, 1946 erstmals als Ausstellungsort benutzt, sind die sechs Beiträge hier ein schwacher Auftakt, dem dann ein geradezu übermächtiger Hauptakt folgt.
Denn in Dahlem sind der zeitgenössischen Kunst einige Räume und Vitrinen inmitten der historischen Artefakte freigeräumt worden. Man schreitet durch die mesoamerikanische Sammlung, entlang der Südsee, betrachtet das Kunsthandwerk der Indianer, bevor dann wieder eine kurze Strecke zeitgenössischer Kunst folgt.
Diese radikale Konfrontation der Präsentationssysteme und Zeiten und Weltsichten wird in und von den Werken keineswegs beruhigt, sondern vervielfältigt.
Da liegen Plastikblumen irritierend archiviert und beschriftet in den Vitrinen (Alberto Baraya), da beleuchtet Stroboskop-Licht die präkolumbianischen Goldarbeiten (Carsten Höller).
Mario Garcia Torres richtet einen museografischen Essay für den Avantgarde-Komponisten Conlon Nancarrow (1912-1997) ein und in Carlos Amorales Film „The Mad Who Did All Things Forbidden“ – einer der Höhepunkte der Biennale – herrscht radikale Anarchie. Das stärkste Bild dieser Biennale bzw. der vielfältigen Suche nach einer stabilen Verortung in Raum und Zeit gibt uns David Zink Yis 2-Kanal-Video „The Strangers“: In mühsamer Arbeit schlagen Arbeiter in einer peruanischen Silbermiene unter Tage Steine ab. Daneben sehen wir die majestätischen, pittoresken Steinformationen in der Landschaft um die Miene herum. Gegensätzlicher kann man unsere Welt kaum darstellen. Vereinigungen welcher Art, das nehmen wir von dieser Biennale mit, sind nicht möglich.
veröffentlicht in: Die Presse, 31.5.2014
8.Berlin Biennale, 29.5.-3.8.2014