31. ARCO Madrid 2012

26. Feb. 2012 in Kunstmesse

Messe-Lounge mit Ikea-Charme

31. ARCO Madrid, 15.-19.2.2012

Die Verschuldung im Privatsektor liegt bei 227 %, die Bonitätsnoten Spaniens gehen Richtung Ramschniveau, die Jugendarbeitslosigkeit mit fast 50% gleicht einem Pulverfass. Aber auf der ARCO Madrid merkt man von all den Problemen nichts.

Zwar ist der sonst höchst exklusive VIP-Bereich mit Ikea-Möbeln ausstaffiert, billige Lampen erzeugen ein diffuses Licht und einfache Holzpanelen dienen als Raumteiler. Aber der euphorischen Stimmung schadet diese Jugendzimmeratmosphäre keineswegs. Wie seit Beginn hat die Messe auch heuer wieder Sammler und Kuratoren her geflogen, um den Galerien mindestens Kontakte, möglichst aber weltweite Verkäufe zu verschaffen.

Marktplatz-Frühstück zur Preview

Dementsprechend dicht ist draußen in den beiden Messehallen das Gedränge. Es dominieren spanische Galerien, aber trotzdem ist das Angebot breit, von einem Francis Bacon für 11 Mio. Euro (Marlborough) bis zu Renzo Martens für 235,- Euro (Galerie Fons Welters). Es ist die zweite Messe unter der Leitung von Carlos Urroz, der die ARCO in ihrer 31. Edition erfolgreich von einem Kunstfestival zu einem immer globaler werdenden Marktplatz führt – und dies kurze Zeit auch ganz konkret: In den ersten Stunden, die für die besonders umgarnten Sammler reserviert sind, verwandelten Tulpen-, Obst- und Gebäckstände die Messe sogar in einen städtischen Marktplatz. Schon am Mittag sind diese Waren dann verschenkt und die Stände abgebaut. Nur die kleinen Vorratsammlungen an den Galerieständen erinnern noch bis zum Abend an diesen Auftakt.

Das dichteste Gedränge ist natürlich bei den spanischen Galerien. Schon am ersten Abend ist dank der endlich wieder genutzten roten Punkte deutlich sichtbar: die 215 Galerien, darunter fünf aus Österreich, verkaufen bestens. Diesjähriger Länderschwerpunkt ist Holland mit 14 Galerien, als Lockmittel für neue Märkte gibt es 23 Solo-Projekte von lateinamerikanischen Galerien und für weniger global interessierte Entdecker-Freunde die Opening-Sektion mit 25 jungen europäischen Galerien, erstmals auch aus Osteuropa.

Insgesamt ist der Gesamteindruck des Ausgestellten heuer weniger opulent-theatralisch-bunt, sondern eher von einer figürlichen Kunst bestimmt, die vorsichtig Richtung Abstraktion führt – und das gilt gleichermaßen für Skulpturen, Fotografien und Malerei. Damit reagieren die Galerien wohl auf das „First Collector“-Programm, ein Angebot der ARCO für angehende Sammler. Denn nahezu jede Sammlung beginnt zunächst mit gegenständlicher Kunst. Menschen mögen das Wiedererkennen von Bekanntem. Abstraktion gefällt nur Fortgeschrittenen. Deswegen freuen sich hier auch mehr Besucher über die zwar überdimensionale, aber trotzdem simple Gurke von Erwin Wurm (Galerie Thoman) als über die großartig konstruktivistischen Werke der 1988 verstorbenen, brasilianischen Künstlerin Lygia Clark (DAN Galeria).

Zwischen diesen beiden Polen finden sich heuer mehr und mehr Werke, die einen Mittelweg einschlagen. Immer wieder erkennt man Dinge und Ansichten unserer vertrauten Wirklichkeit, die fragmentiert, zerschnitten, durchkreuzt oder deformiert sind: die sofort ausverkauften, teils nur 10 cm kleinen, gespenstischen Bilder von Jerónimo Elespe, in denen sich die Welt auflöst (Soledad Lorenzo), das (Öl-)Bild eines Globus´, der wackelig aus Holzresten zusammengestückelt scheint (Andrei Roiter bei Fucares), 180 cm lange Spazierstöcke, die bis auf einen fragilen Rest abgeschält sind (David Adamos bei Fruit & Flower Deli/Hoet Bekaert Gallery) oder die zerschmolzenen Musikinstrumente der kubanischen Künstlergruppe Los Carpinteros (Ivorypress). Solche Werke zeigen uns eine bedrohte bis bedrohliche Wirklichkeit. Die Messe funktioniert zwar wie gewohnt. In den einzelnen Werken allerdings sehen wir eine Welt, die gerade zerbricht.

veröffentlicht in: Die Presse, 26.2.2012