Albertina Modern im Künstlerhaus Wien

11. Jun. 2020 in Ausstellungen

Künstlerhaus / Albertina Modern

Künstlerhaus / Albertina Modern

Jetzt also ist es soweit: Mit zweimonatiger, coronabedingter Verspätung eröffnet endlich Albertina Modern. „Wiens neues Museum für moderne Kunst“ nennt Direktor Klaus Schröder seine wenige Gehminuten vom Haupthaus entfernte Filiale. Untergebracht im Künstlerhaus Wien soll hier mit der Eröffnungsausstellung „The Beginning“ (bis 15. November) die österreichische Kunstgeschichte neu geschrieben werden – kann das gelingen? Und braucht Wien dafür überhaupt ein neues Haus, wird die Moderne in Wien nicht bereits vom MUMOK abgedeckt? Warum überhaupt ist die Albertina jetzt auf zwei Standorte verteilt? Zumindest diese Frage ist einfach zu beantworten: Direktor Schröder manifestiert mit dieser räumlichen Erweiterung seine seit Jahren betriebene inhaltliche Expansion des ehrwürdigen Museums. Eigentlich gilt die Albertina ja als Haus für seine einzigartige graphische Sammlung. Aber diese eindimensionale Ausrichtung sieht Schröder als „Klumpenrisiko“, wie er einmal erklärte. Darum erweitert Schröder das Profil kontinuierlich mit Leihgaben, Stiftungen und Schenkungen zu einem Haus für alles. 2017 erhielten sie ein großes Konvolut vor allem zeitgenössischer Künstler*innen: Der Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner hatte 60 Prozent der ehemaligen Essl-Sammlung gekauft und der Albertina als Leihgabe bis 2044 übergeben. Damit beginnt die Geschichte dieses zweiten Standortes, an dem die Werke der Essl-Sammlung zu sehen sein sollen. Warum hier? Weil Haselsteiner 74 Prozent des Künstlerhaus Wien kaufte. Glücklich waren die rund 500 Mitglieder der Gesellschaft bildender Künstler Österreichs über den Verlust ihres historischen Stammsitzes nicht. Aber immerhin wurden so endlich die dringend notwendigen Renovierungen ausgeführt – finanziert von Haselsteiners Stiftung, die Haselsteiners Unternehmen damit beauftragte.

Albertina modern im Künstlerhaus Wien, Eröffnungsausstellung The Beginning, Kunst in Österreich1945-1980.

Albertina modern im Künstlerhaus Wien, Saal für Phantastische Realisten. Foto Rupert Steiner

Jetzt also ist die dreijährige Renovierung des Künstlerhauses abgeschlossen, die Künstlervereinigung zeigt im prächtigen Obergeschoß ihre Ausstellung „Alles war klar“ und unten korrigiert „The Beginning“ den Kanon der österreichischen Kunstgeschichte nach 1945. Das ist ein beliebtes Thema im Land, das auch im Belvedere gerne postuliert wird – offenbar gibt es viel Nachholbedarf bei einer Kunstszene, die jahrzehntelang international kaum vernetzt war. Wenige Künstler wie Maria Lassnig oder Wolfgang Hollegha lebten einige Jahre in New York, was ihrer Karriere damals maßgeblich half – aber mit ihrer Rückkehr nach Österreich wieder verloren ging. Bei der 1919 geborenen Lassnig kam die internationale Anerkennung erst 2014 kurz vor ihrem Tod, Hollegha ist bis heute kaum über die Landesgrenzen bekannt. Das will „The Beginning“ ändern, denn eigentlich ist „The Beginning“ vor allem für ein internationales Publikum konzipiert – das hoffentlich irgendwann wieder anreisen darf und will. So werden in 13 Kapiteln rund 400 Werke von 76 Künstler*innen von 1945 bis 1980 präsentiert – darunter die Hälfte aus der Sammlung Essl. Es beginnt im großen Eingangsraum mit Abstraktionen von Hollegha bis Hans Staudacher und endet mit frühen Werken von Franz West. Ein Raum im untersten Untergeschoß ist der Feministischen Avantgarde der 1970er Jahre gewidmet, in der Schröder selbst Entdeckungen machte, wie er beim Rundgang betonte: die befremdlichen Strickfiguren von Liselotte Beschorner und die berührenden Holzschnitte von Auguste Kronheim, in denen sie die Rolle der Hausfrau überspitzt.

Christian Ludwig Attersee, Torte mit Speisekugeln und Speiseblau, 1967 ALBERTINA, Wien – Familiensammlung Haselsteiner © Bildrecht, Wien, 2020

Christian Ludwig Attersee, Torte mit Speisekugeln und Speiseblau, 1967 ALBERTINA, Wien – Familiensammlung Haselsteiner © Bildrecht, Wien, 2020

Wenig aufgearbeitet ist laut Schröder bisher das Kapitel der österreichischen Pop Art mit dem kitschig-erotischen Bildern von Christian Ludwig Attersee oder Ingeborg G. Pluhars Konsum-Collagen. Allerdings bildeten die Pop-Künstler nie eine Gruppe und wurden auch nie gemeinsam präsentiert, weil ihre Werke viel zu heterogen sind. Auch wenn in den meisten Bereichen großformatige Malerei dominiert, so sieht Schröder die größte Radikalität der österreichischen Nachkriegskunst in der Skulptur, in neuen Materialien, starker Farbigkeit und raumgreifenden Ausmaßen. Paddy Friedbergers sockellose Assemblagen, Bruno Gironcolis metaphysische Großskulpturen, die oft an Altäre erinnern, oder Walter Pichlers von Schmerz geprägten Werke wie das Bett, in dem eine aus Glassplittern geformte Figur liegt – solche Objekte sprechen eine ganz eigene Bildsprache, sind rauh, oft fetischhaft, kultisch und passen in keine internationale Schublade.

Albertina modern im Künstlerhaus Wien, Eröffnungsausstellung The Beginning, Kunst in Österreich1945-1980.

Albertina modern im Künstlerhaus Wien, Saal für Pop Art. Foto Rupert Steiner

„The Beginning“ ist eine überzeugende Erzählung der österreichischen Kunst, zwar nicht bahnbrechend neu, aber facettenreich und für ein internationales Publikum mit einigen Entdeckungen. Aber ist Albertina Modern damit ein „neues Museum für die Moderne“? Ist das MUMOK dann das ´alte Museum´? Karola Kraus, Direktorin des MUMOK (Museum für Modern Kunst), stellt auf Nachfrage klar: „Wir sind DAS Museum der Moderne und das wichtigste Museum für Zentraleuropa. Und das wird auch so bleiben“. „The Beginning“ gibt ihr Recht: ´Neu´ mag die Doppelnutzung des Künstlerhauses sein, den Anspruch im Namens-Zusatz ´Moderne´ kann die Albertina-Filiale allerdings mit einer so breit angelegten Überblicksausstellung kaum einlösen.