Amedeo Modigliani in der Albertina

10. Dez. 2021 in Ausstellungen

Modigliani in der Albertina. Courtesy Albertina, 2021

Modigliani – Revolution des Primitivismus. Courtesy Albertina, Wien 2021. Foto: Robert Bodnar

Arm, kompromisslos und trinkfest, so wird Amedeo Modigliani gerne beschrieben. Der italienische Maler, der mit 22 Jahren nach Paris übersiedelte, gilt als Inbegriff eines Bohemien: Trotz Hunger und Krankheit blieb er bis zu seinem frühen Tod 1920 als 35jähriger immer ein Idealist. Kaum Verkäufe und nur eine Einzelausstellung zu seinen Lebzeiten änderten nichts daran, dass er keine bürgerliche Arbeit, nicht einmal Auftragswerke annahm, sondern konsequent seiner „höheren Berufung“ zum Malen folgte, wie er es in einer Korrespondenz einmal nannte. Modigliani gilt als radikaler Einzelgänger, berühmt für seine weiblichen Akte, aber eher eine Legende als ein Meister der Avantgarde.
Das will jetzt eine Ausstellung in der Wiener Albertina ändern. Erstmals wird Modigliani dort zusammen mit drei führenden Künstlern der Avantgarde gezeigt. „Revolution des Primitivismus“ betitelt Kurator Marc Restellini die außergewöhnliche Schau. Er beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit Modiglianis Werk und wollte nicht eine weitere Retrospektive erarbeiten. Also entscheid er, Mogligiani im „brodelnden Kosmos der sogenannten ´primitivistischen´ Einflüsse“ zu zeigen, wie es im Pressetext heißt. Über 80 seiner Werke sind kombiniert mit Werken jener Künstler, die stark von außereuropäischen Kulturen beeinflusst waren: Pablo Picasso, Andre Derain, Constantin Brancusi. Dazu bringt diese Ausstellung diese Werke erstmals mit Kykladenidolen, Kunst der Khmer aus Kambodscha und aus Afrika zusammen. So können wir einerseits stilistische Ähnlichkeiten in der Avantgarde jener Zeit sehen, etwa in der vertikalen Ovalform, die so typisch ist für Brancusis Bronzen. Brancusi sprach einmal von der „Befreiung des künstlerischen Vorstellungsvermögens“ durch die afrikanische Kunst, die er wohl das erste Mal im Naturhistorischen Museum in Wien 1904 auf seiner Reise von Bukarest nach Paris sah. Anders als für Brancusi sind für Modigliani ausschließlich figürliche Motive interessant. Zum anderen können wir hier detailreich verstehen, wie Modigliani zu seiner einzigartigen Bildsprache fand. Aber Restelllini geht mit seiner Ausstellung noch einen Schritt weiter: Er stellt zur Diskussion, dass Modigliani nicht Schüler oder Inspirierter war, sondern jener, der die Kollegen maßgeblich beeinflusste. Denn keiner der anderen habe den Primitivismus so konsequent vertreten wie der Italiener in Paris.

Modigliani, Albertina 2021

Modigliani – Revolution des Primitivismus. Courtesy Albertina, Wien 2021. Foto: Robert Bodnar

Aber kann man diese Epochenbezeichnung heute noch ohne Anführungszeichen verwenden? Ist ´Primitivismus´ nicht der Inbegriff kultureller Aneignung, also einer Übernahme von Elementen einer unterdrückten Kultur durch Mitglieder einer Dominanzkultur? Dieser Einspruch ist durchaus berechtigt, aber Restellini will den Primitivismus als „ästhetischen Ansatz“ verstanden wissen, wie er in seinem ausführlichen Katalogbeitrag schreibt. Der französische Kunsthistoriker spricht von einem künstlerischen Stil oder „Interpretationsschlüssel“ zum Werk des italienischen Meisters. Zentrales Kennzeichen dieses Stils ist die Vereinfachung bzw. Reduktion auf das Wesentliche des Sujets, die auch für Brancusi und zeitweise für Picasso gilt. Entstanden aus dem Wunsch, die akademischen Regeln der Kunst zu durchbrechen, studierte Modigliani damals die Objekte im ethnografischen Museum im Palais du Trocadéro. „Modigliani war betört von allem Ägyptischen“, wird Anna Achmatowa, eines von Modiglianis Portrait-Modellen, im Katalog zitiert. „Meinen Kopf skizzierte er im Stil dekorativer Motive, die ägyptische Königinnen und Tänzerinnen darstellen.“  Er habe sich nicht vom „Realismus und der Virtuosität“ der akademischen Malerei „korrumpieren“ lassen wollen, erklärt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder beim Presserundgang, sondern „den Ursprung der Kunst gesucht“. Als Sujet seiner Kunst diente Modigliani – wie damals durchaus üblich – die menschliche Figur. Die entwickelte er in einer Mischung aus Einflüssen afrikanischer, ozeanischer, etruskische, ägyptischer, archaisch-griechischer und khmerischer Kunst. Die exquisiten Werke in der Ausstellung zeigen eindrückliche Ähnlichkeiten zu Modiglianis Arbeiten, die schmalen Nasen, die leeren Augen, die ovalen Köpfe. Einflüsse, die sich ganz besonders in Modiglianis Skulpturen abzeichnen. Gehauen aus Stein, scheint sich der Künstler das damals teure Material offenbar von Baustellen geholt zu haben, wie Materialvergleiche ergaben. Nur 25 Skulpturen entstanden, 1914 musste er die Bildhauerei aus gesundheitlichen Gründen aufgeben und widmete sich die letzten Jahre ausschließlich der Malerei. In dieser Zeit entstehen seine eindrücklichsten Bilder, die von einer ganz speziellen, leuchtenden, wirklichkeitsentrückten Farbigkeit leben. Wie schon die Aktmodelle scheinen auch die Portraitierten im Raum zu schweben, sitzen vor diffusen Hintergründen, die pure, schönste Malerei sind. Hier kann man eindringlich die große Kunst der Malerei studieren, die der Gegenständlichkeit alles andere als unterordnet ist!

Modigliani - Revolution des Primitivismus. Courtesy Albertina, Wien 2021

Modigliani – Revolution des Primitivismus. Courtesy Albertina, Wien 2021. Foto: Robert Bodnar

Hier wird dann auch die anfängliche Nähe zwischen Modigliani, Picasso und Derain relativiert. Dazu zitiert Restellini eine interessante Anekdote: „Wenn Modigliani ein Werk malte, das ihm zu vereinfacht, zu geometrisch, zu strukturell geriet, rief er aus: ´Schon wieder ein Picasso!´“ Hier vergisst man dann auch das kuratorische Konzept der „Revolution des Primitivismus“ mit all den darin enthaltenen begrifflichen Falltüren. Was immer wir heute unter Primitivismus verstehen oder überhaupt bereit sind, diesen Begriff noch zu verwenden, eröffnet diese Ausstellung vor allem den Blick für die ungeheure Qualität von Modiglianis Werk. Wie immer wir diese „Revolution“ nennen, Modigliani führte dieser Stil zu einer Transzendenz, zu einer Vergeistigung der Menschenfiguren, die von einer Abkehr von der Wirklichkeit zeugen, in der es doch noch immer ein reales Gegenüber gibt. Und zu einer Malerei, in der Einfachheit und Schönheit das wesentliche Ziel ist. In einer Korrespondenz nannte es Modigliani einmal das „Gleichgewicht durch entgegengesetzte Extreme“ – was wie sein Lebensmotto gelesen werden kann.

Modigliani – Revolution des Primitivismus, Albertina, Wien, 17.9.2021-9.1.2022
veröffentlicht in: NZZ, 6.12.2021