Ana Torfs in der Generali Foundation, Wien

20. Sep. 2010 in Ausstellungen

Eine Welt voller idyllischer Pflanzen und harmloser Portraits sehen wir in der Generali Foundation. Dann aber muss man feststellen, dass wir in Ana Torfs´ Installationen in Erzählungen hineingezogen werden, die tief verflochten sind mit einer europäischen Geschichte, die auf Unrecht und Gewalt basiert – auf eine Suche nach Wahrheiten. 
Am westlichen Rand der Erde, wo die bekannte Welt endete, lag Elysium, die Insel des Glücks. Hier konnten sich all jene Seelen von ihren  irdischen Mühen erholen, die in der Gunst der Götter standen – das zumindest glaubten die Menschen in früheren Zeiten. Einige Jahrhunderte später erhielt die Inselgruppe westlich von Afrika eine neue Zuschreibung, als Christoph Kolumbus hier eine letzte Zwischenstation machte, bevor er 1492 zu seiner Entdeckungsreise aufbrach. Heute sind die Kanarischen Inseln bekannt als beliebtes Tourismusziel und Ort täglicher Flüchtlingsdramen. All diese Facetten der Kanaren greift die belgische Künstlerin Ana Torfs in den Fotografien ihrer „Legend“-Serie auf. Wie durch ein Teleskop sehen wir idyllische Landschaftsausschnitte, darunter lesen wir historische, politische und ökonomische Fakten – ausschnitthaft, denn das Ganze können wir nie in den Blick nehmen.
„Legend“ ist eine der insgesamt 10 Installationen, die Ana Torfs in der Generali Foundation zeigt. So poetisch viele Werke der 1963 geborenen Künstlerin auf den ersten Blick erscheinen, so tiefgründig bis grausam erweisen sie sich beim zweiten Blick. Denn Torfs verführt uns mit so harmlosen Bildmotiven wie Landschaften, Blumen und Portraits zu einer Reise, die durch die verschiedenen Orte und Zeiten eines Europas führen, das geprägt ist von Unrecht und Gewalt. Ihre Arbeitsmethode basiert dabei auf Überlagerungen und Vernetzungen, in denen die Trennung zwischen Gestern und Heute aufgehoben ist. Auf ihrer Suche nach der Wahrheit reizt sie dabei immer wieder die Spannung zwischen Bildern und Texten aus.
Ähnlich wie „Legend“ führt uns auch „Family Plot“ weit in die Vergangenheit. Auf 25 Fotografien bzw. Collagen zeichnet Torfs die Geschichte des westlichen Imperialismus anhand unserer Bezeichnungen von Pflanzen nach. Ohne Rücksicht auf einheimische Namen nannte der Botaniker Hermann Wendland eine Palme „Washingtonia robusta Wendl“ als Hommage an den verehrten US-Präsidenten. Die Mahagonie „Swietenia“ ist nach Gerard van Swieten, österreichischer Leibarzt Maria Theresias, benannt, und Blighia sapida, auch Akipflaume genannt, ehrt den britischen Seeoffizier und Captain der Bounty, William Bligh, der diese Pflanze als billige Nahrung für Sklaven in die Karibik brachte. Torfs kombiniert Fotografien der Botaniker mit den Namenspatronen, legt darüber das Bild der Pflanze und fügt Weltkarten, Details zur botanischen Herkunft und zum kulturellen Kontexte hinzu. Dank der vielen Bezüge kommen wir so in nahezu jede Region der Erdkugel und folgen einer ungeheuer spannenden Aufarbeitung der Kolonialgeschichte.
Am berührendsten aber ist „Du mentir-faux“, was mit „Doppel-Lügen“ übersetzt werden kann. In Großaufnahme sehen wir eine Frau mit strengem Pagenschnitt. „Befragt, ob sie Frauenkleidung wollte“, „Befragt, ob Gott die Engländer hasse“ lesen wir auf den dazwischen eingeblendeten Textdias. Es sind Passagen aus Jeanne d´Arcs Inquisitionsprozess von 1431. Ihre Antworten hören wir nicht. Den Ausgang des Prozesses kennen wir aus dem Geschichtsunterricht. Was wir sehen, ist die gnadenlose Ausweglosigkeit der Situation. Ähnlich bedrohlich inszeniert Torfs auch die Gerichtsprotokolle zu den Morden an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in „Anatomy“. Sachlich-nüchtern lesen 25 Schauspielern Antworten auf schriftlich eingeblendete Fragen vor. Es sind Ausschnitte aus den Verhör-Protokollen des Militärtribunals zu den Morden. Weitere Darsteller stehen auf den Rängen des berühmten Berliner „Theatrum anatomicum“. Hier wird jetzt nicht ein Körper, sondern eine Situation seziert: der Mord an den beiden Sozialistenführern – und damit auch unser Umgang mit Geschichte, mit Übersetzungen und Archivierung. Die eine gültige Wahrheit steht dabei gar nicht zur Debatte – es ist die Suche nach dem Ursprung des Unrechts, die Torfs so intensiv wie überzeugend inszeniert.

veröffentlicht in: Die Presse, 6.9.2010

Erstmals geben die beiden Ausstellung ALBUM/TRACKS A (K21 Kunstsammlung Nordrhein Westfalen, Düsseldorf) und B (Generali Foundation, Wien) einen Überblick über das Werk der belgischen Künstlerin Ana Torfs. Im Rahmen von TRACKS B in Wien zeigt Torfs am 3.9. um 18.00 im Filmcasino, Margartenstr. 78, ihren Film „Zyklus von Kleinigkeiten“ (mit einer Einführung von Steven Jacobs).

Generali Foundation, Wiedner Hauptstrasse 15, Di – So 11-18 Uhr, Do bis 20 Uhr