Tel Aviv Museum, Anselm Kiefer
Schnell durch den Altbau, den kurzen Flur entlang zur Glastür, um dann im Neubau die lange Rolltreppe hochzufahren und die Promenade entlang zu flanieren – falsch. Der Höhepunkt im neuen Flügel des Tel Aviv Museums ist ja im Untergeschoß: Anselm Kiefers große Einzelausstellung „Zerbrechen der Gefäße“. Also rasch die große Halle mit den vielen Kleinformaten aus der Sammlung israelischer Kunst durchqueren – die passenden Formate für diesen Raum müssen erst noch gekauft werden. Weitere Promenaden mit kurvigen Wänden entlang dreieckiger Fenster hinunter bis zum Vorraum des Vorraums des Ausstellungsraumes. All diese vielen freien Flächen seien ´public spaces´, erklärte mir der Architekt Preston Scott Cohen. Ist ein Museum selbst nicht bereits ein öffentlicher Raum? Schon, aber dieses 18.120 qm große Gebäude will offensichtlich deutlich mehr sein als nur ein Museumsanbau. Knapp 4000 qm sind Ausstellungsfläche. Der Star des Hauses aber ist das 27 Meter hohe Treppenhaus mit all den Quer- und Durchblicken. Die Aufgabe sei es gewesen, erklärt Cohen, ein Museum als reduzierter Raum und zugleich als Spektakel zu bauen. Dieser Spagat ist Cohen mit seinem Neubau des Tel Aviv Museums absolut gelungen.
Wie die Kuratoren und Künstler damit umgehen werden, ist allerdings eine andere Sache. Denn wirklich reduziert ist kein Raum: Jene etwas abseits gelegene Galerie etwa, die der ´deutsche Freundeskreis´ mit 1 Mio. Euro mitfinanzierte, hat so niedrige Räume, dass die Ausstellung expressionistischer Druckgraphik an ein gehobenes Lager erinnert. Und in dem kleineren Wechselausstellungsraum für Zeitgenössisches liefern sich die Lichtschatten der Dreiecksfenster einen Aufmerksamkeitswettbewerb mit den Bodenskulpturen. Noch größer ist die Herausforderung im unteren Saal. Jedes Werk wird hier damit kämpfen müsssen, den massiven, dunklen Betonmauerkeil vergessen zu lassen, der die erste Wand links niederdrückt.
Kiefer allerdings, das muss man mit Respekt sagen, ignoriert den permanenten Wettstreit der Architektur. Denn seine Gemälde, Skulpturen, Holzschnitte und Installationen zu Themen der jüdischen Geschichte und Mythik sind stark genug, um sich in diesem Spektakel zu behaupten. Auf 840 qm stellt der deutsche Meister hier aus, der einerseits „überrascht über die Einladung zur Eröffnungsausstellung“ war, die ihm vor drei Jahren über seinen Galeristen Taddaeus Ropac übermittelt wurde. Andererseits erklärt er seine erste Reise nach Israel in den 1970er Jahren und seine erste Ausstellung 1986 in Israel als „Initiation“ für seine weitere Karriere, was sein Interesse an der jüdischen Mythologie der Kabbala betrifft – aber vielleicht auch die seither stetig und steil zunehmenden Verkaufserfolge. Heute gehört Kiefer zu den teuersten deutschen Künstlern mit Preisen bis zu 1 Mio. Euro pro Bild.
„Shevirat Ha-Kelim“ („Das Zerbrechen der Gefäße“) betitelt er seine Ausstellung im neuen „Herta and Paul Amir Building“ des Tel Aviv Museums. Das ist jene Geschichte der Kabballa, die vom Entstehen der Welt handelt, von zehn Gefäßen. Sieben sind zerbrochen, nur noch Wille, Weisheit und Verständnis sind intakt, wodurch die Welt vom kompletten Chaos verschont blieb. Kiefer übersetzt die Geschichte in einen Raum mit Blei-Büchern und zerbrochenem Glas. Andere Werke der Ausstellung zitieren Kain und Abel, Noah und auch Samson, den stärksten Mann der Bibel – dem Kiefer ein Gewehr zugeordnet hat. Das sei doch lustig, findet er, ähnlich wie auch seine Interpretation der Arche Noah als „Meditationsraum“, die er als ins Bild geklebtes U-Boot darstellt. Dass das Kriegsgerät doch eigentlich alles andere als zum Schutz diene, kontert Kiefer mit dem Verweis, das sei eine „Frage der Perspektive“: Wer innen sitzt, ist geschützt.
Kiefers Werk ist hochsymbolisch, geradezu überfrachtet mit gewichtigen Bezügen, die trotz des Anspielungs- und Materialreichtums sehr unkonkret bleiben. Einen Bezug dieser Werke auf die Konflikte im Nahen Osten will er nicht kommentieren: „Ich bin kein politischer Künstler, das ist mir zu eng.“ Aber er möchte zeigen, was zusammen gehört. Er spricht von dieser Ausstellung als einer „großen Geschichtslandschaft“, die eine „gemeinsame Kultur“ aufzeige, eine „virtuelle Wiedervereinigung“ sei – was sich nicht auf den israelisch-palästinensischen Kampf bezieht, sondern auf die deutsch und jüdische Kultur.
Der Anspruch der Ausstellung und die thematische bis formale Monumentalität jedes einzelnen Werkes sind überwältigend – aber nicht unbedingt nur im positiven Sinne. Mit den aufgeklebten U-Bötchen und dem Stoffgewehr, dem Einarbeiten von Lehm, Stroh bis Trockenblumen verdichten diese Werke nicht das tiefe Zerwürfnis der Weltreligionen zu etwas Neuem, sondern verharmlosen es. Die Bedeutungsaufladung der Bilder mit Referenzen an die Kabbala schärft nicht den Blick, sondern erzeugt ein Spektakel – wenn auch auf hohem Niveau. Darin treffen sich die Werke nahezu kongenial mit der Architektur.
veröffenticht in: Die Presse, 4.11.2011