
Ausstellungsansicht: And if I devoted my life to one of its feathers, Kunsthalle Wien 2021, Foto: © eSeL.at – Lorenz Seidler
Sehr still geworden ist es um die Kunsthalle Wien in den letzten Monaten. Die Zeit der Pandemie-bedingten Schließung verstrich ohne auffällige Aktivitäten. Umso stärker ist jetzt der Kontrast: Vom Hauptraum oben bis zu den Toiletten im Untergeschoss sind wunderbar farbenfrohe Collagen, Tapisserien und figürliche Zeichnungen von 35 KünstlerInnen aus aller Welt versammelt. Was so fröhlich erscheint, ist allerdings trügerisch: Es ist ein vielstimmiger, lauter Chor voller Anklagen. „Anti-normativ“ sei diese Ausstellung, erklären dazu die drei Kunsthallen-Leiterinnen des Kuratorenteams WHW lakonisch.
Das ist ein hoher Anspruch, mit einer Ausstellung Normen brechen zu wollen – welche Normen stehen hier überhaupt zur Debatte? Nichts weniger als der „veraltete westliche Kanon“ soll herausgefordert werden, wie es das Team bei der Pressekonferenz so lapidar wie pauschalisierend formuliert. Ursprünglich für letztes Jahr geplant, wurde für die zentrale Ausstellung der Wiener Festwochen der peruanische Kurator Miguel A. Lopez eingeladen. Er wählte den Titel „Und wenn ich mein Leben einer dieser Federn widmen würde?“ Die Zeile stammt aus einem Gedicht der chilenischen Dichterin und Aktivistin Cecilia Vicuna, geschrieben 1971. Gemeint sind Vogelfedern. Mit dieser Frage wird der zentralen Fokus angetippt: die Wertschätzung von und Verbundenheit mit allen Formen von Leben. Das allerdings ist übersetzt in ein ausuferndes Bündel von frontal angelegten Themen: Die Werke richten sich gegen „heteropartriachalische Gesellschaftsformen“, gegen die Normalisierung kapitalistischer Verhältnisse, gegen „die Realitäten der Umweltausbeutung“ und ähnliches, nicht-menschliche Kommunikation und koloniales Erbe.
![Bartolina Xixa, Ramita Seca, La Colonialidad Permanente [Trockener Zweig, Die permanente Kolonialität], 2017, Filmstill, Courtesy Maximiliano Mamani/Bartolina Xixa](https://sabinebvogel.at/wp/wp-content/uploads/2021/05/bartolina-xixa-ramita-seca-la-coloniadad-permanente-2017-1200x675.jpeg)
Bartolina Xixa, Ramita Seca, La Colonialidad Permanente [Trockener Zweig, Die permanente Kolonialität], 2017, Filmstill, Courtesy Maximiliano Mamani/Bartolina Xixa

Ausstellungsansicht: And if I devoted my life to one of its feathers, Kunsthalle Wien 2021, Foto: © eSeL.at – Lorenz Seidler
Zugegeben, der Effekt der schrägen Aufstellung ihres 1:1 großen Hauses ist enorm, beim Betreten stellt sich sofort ein massives Schwindelgefühl ein. Aber ohne ausgiebige Kenntnisse südamerikanischer Sprachen und Politik bleiben die vielen Schriftbilder innen und außen völlig unverständlich, das Ganze wirkt wie ein harmloses Bühnenbild.
Der Schwierigkeit, komplexe Inhalte ohne Kontextwissen nicht decodieren zu können und dadurch leicht zu missverstehen, begegnen wir in dieser Ausstellung häufiger – Normen lassen sich so sicher nicht brechen. Was allerdings gelingt ist ein ganz anderer Angriff: Hier geht es nur am Rande um Kunst im Sinne unserer westlichen Kunstgeschichte, also als ein Ringen um Form und Inhalt in Auseinandersetzung mit unseren westlichen Traditionen.

Ausstellungsansicht: And if I devoted my life to one of its feathers, Kunsthalle Wien 2021, Foto: © eSeL.at – Lorenz Seidler
Stattdessen wird hier ein Gespräch über Macht, Selbstbestimmung und Selbstbilder inszeniert. Darum münden die meisten Beiträge auch in Anklagen – als der simpelsten Form von Selbstvergewisserung: Außenfeinde stärken Binnenstrukturen. Radikal ist da Daniela Ortiz´ „ABC des rassistischen Europa“, eine Kombination aus Zeichnung und Text, die auf einem Blatt etwa erklärt, dass im selben Meer, wo die weißen Europäer urlauben, gleichzeitig Migranten auf der Flucht sterben. Das ABC hängt in der Kunsthalle Wien übrigens gleich neben den Toiletten. Ob das die Anklagen verstärken soll? Es ist jedenfalls tatsächlich ein Normbruch, denn solch eine für das Konzept zentrale Arbeit erwartet man eher prominent im Hauptraum.
Nicht alle Werke dieser Ausstellung sind reißerisch oder kryptisch. Da sind noch die Wandobjekte von Patricia Belli. Die 1969 in Nicaragua geborene Künstlerin schafft mit Nylonstrümpfen berührende „Tränennester“, so der schöne Titel ihrer Arbeit von 1997 – ein Bild für Trauer, Furcht, Verletzlichkeit. Oder Victoria Cabezas´ Fotografie von 1973: Wir sehen ihre Füße. Zwischen den Zehen stecken Bananen, die wie lange Krallen erscheinen. Die 1950 in Costa Roca geborene Künstlerin bedient sich eines Nahrungsmittels, das für Exotismus, aber auch für Ausbeutung steht, und schafft damit eine klare Kampfansage. Schön, dass es zumindest diese wenigen, bemerkenswerten, leisen Werke in diesem allzu lauten Kanon der Ausstellung gibt.
veröffentlicht in: Die Presse, 15.5.2021
Kunsthalle Wien: And if I devoted my life to one of it´s feathers?
15.5.-26.9.2021