Lange hat es gedauert, immer wieder gab es wegweisende Ausstellung und zunehmend investieren Sammler in Kunst aus Afrika. Aber noch ist „der Anteil afrikanischer Künstler am internationalen Kunstmarkt mit derzeit 0,01 Prozent praktisch inexistent“, erklärte Max Hollein, Leiter des Fine Arts Museum of San Francisco, jüngst in „Bilanz“. Aber das ändert sich gerade. Im Mai versteigerte Sotheby´s in London moderne und zeitgenössische Kunst aus Afrika, 83 Werke von 60 Künstlern aus 14 afrikanischen Ländern kamen für rund 4 Millionen Dollar unter den Hammer.
Und in Paris eröffneten in der Fondation Louis Vuitton (FLV) drei große Ausstellungen mit 45 afrikanischen KünstlerInnen. Die Zeit scheint reif zu sein, dass Afrika nicht mehr als exotisch gilt.
„Art Afrique“ heißt die Schau in der Vuitton-Foundation. Aber was ist das, afrikanische Kunst? Auf dem Kontinent gibt es 55 anerkannte Staaten und rund 2000 eigenständige Sprachen. 1.1 Milliarden Menschen leben dort. Wie will man diese Größe auf einen gemeinsamen Nenner bringen?
Gar nicht, deswegen hat sich FLV-Direktorin Suzanne Pagé für ein dreiteiliges Konzept entschieden. Ihr Ausgangspunkt sind Werke aus der hauseigenen Sammlung, darunter ein Film von William Kentridge, Dokumentarfotografien von David Goldblatt, aber auch Robin Rhodes Straßenperformances und Omar Bas Malerei hybrider Wesen.
Mit Chéri Sambas politischer Malerei, Barthélémey Toguos Wasserfarben-Zeichnungen und den Masken aus recycelten Materialien von Romuald Hazoumé gibt es dann Überschneidungen zum zweiten Teil, den 15 Künstlern der Pigozzi Sammlung. Der 1952 in Frankreich geborene Italiener, wie er sich selbst bezeichnet, ist Sohn des Gründers der Automarke Simca. 1989 sah Pigozzi die berühmte Ausstellung „Magiciens de la Terre“ im Centre Pompidou, die erstmals überhaupt zeitgenössische afrikanische Kunst zeigte. Sofort rief er im Museum an. Er wollte Werke kaufen, erzählt er im Katalog-Interview.
Dort wurde er an den damaligen Co-Kurator André Magnin verwiesen, mit dem er schnell den Aufbau seiner Sammlung vereinbarte. Zwanzig Jahre lang bereiste Magnin in Pigozzis Auftrag den Kontinent, besuchte Ateliers, lies sich Künstler empfehlen und baute eine der wichtigsten Sammlungen afrikanischer Kunst auf, kaufte schon früh Body Isek Kingelez´ futuristische Architekturen, die 1960er Jahre Dokumentations-Fotografien von Malick Sidibé.
Für den dritten Teil von „Art Afrique“ recherchierte das FLV-Team in Südafrika. Das Land gilt als afrikanischer Hotspot für zeitgenössische Kunst dank der ausgeprägten Sammler- und Künstlerszene und der zahlreichen Galerien.
Unter dem Titel „Being There“ treffen jetzt in Paris zwei Generationen aufeinander: 8 Künstler aus der Eltern-Generation, die Apartheid zum zentralen Thema ihrer Kunst macht, auf acht Junge mit Kunst aus der Zeit der Post-Apartheit. Da parodiert Kudzanai Chiurai mit schwer bewaffneten Akteuren in ihren tumultartig inszenierten Fotografien die westlichen Klischees von Afrika. Eine utopische Nation namens Azania imaginiert Athi-Patra Ruga in seinen gewebten Bildern und Buhlebezwe Siwani installiert einen spirituellen Reinigungsprozess.
Sie ist Künstlerin und zugleich Heilerin. Diese Nähe zu traditionellen Ritualen und Materialien mag der Grund sein, warum es so lange dauerte, bis Kunst aus Afrika einen selbstverständlichen Platz im globalen Kunstbetrieb erreichte.
Romuald Hazoumés Masken waren oft zu sehen. Er schafft aus einem alten Kanister, Draht als Haare, einem leeren Telefonhörer als Augen sofort erkennbare Gesichter. Anfangs als Folkloristisch kritisiert, wird erst seit wenigen Jahren die große, skulpturale Qualität anerkannt. Ähnlich befremdlich erschien vielen auch der plakative Malstil der frontalansichtigen Party-Szenen von Moké.
Pigozzi und Magnin dagegen entdeckten schon früh die Qualität des 1950 geborenen Autodidakten – übrigens ein zentrales Kriterium seiner Privatsammlung: Pigozzi bevorzugte Künstler, die nicht von Kunstschulen und westlicher Kunst „verschmutzt“ seien, erklärt er im Katalog. Die Künstler seiner Sammlung arbeiten alle in Afrika, ihre Inspiration komme „zu 99 Prozent aus ihrer Kultur, ihrem Alltagsleben und manchmal aus Zeitschriften“. „Sie interpretieren, was sie sehen. Sie kennen die Welt, bleiben sich aber treu und wissen, woher sie kommen“, fasst er es zusammen. Auch darin mag die neue Akzeptanz liegen: die Betonung der reichhaltigen, für Abendländer oft fremden Kultur verbunden mit dem großen Spektrum an Bildern, die um den täglichen Kampf beim Aufbau einer Zivilgesellschaft kreisen. Denn ein dezidiertes politisches Engagement ist in jedem der drei Teile von Art Africa zu finden. Pigozzi übrigens beendete seinen Sammlungsschwerpunkt Afrika 2009. Wir beginnen gerade erst unsere Annäherung.
veröffentlicht in: Die Presse, 7.6.2016
Art Africa, Fondation Louis Vuitton, 26.4.-28.8.2017