Kunstbetrieb war gestern. Heute heißt es Art Industry. Und das ist weit mehr als nur eine Begriffsveränderung. Es ist eine Erschütterung. Zunächst wird damit nur die Wirtschaftsseite der Kunst betont, aber das in ungeahnter Radikalität. Denn es bedeutet, dass nicht mehr die Kunst im Mittelpunkt des Interesses steht, sondern das Kapital, das durch Kunst erwirtschaftet werden kann. Daher ist die Welt der Art Industry weitaus bevölkerter als die alte Kunstwelt, denn hier tummeln sich auch alle Sorten von dubiosen Beratern, geschäftigen Kunstversicherern – und vor allem Investoren.
Art Industry, das beinhalte „ganz offen über die Geschäftsseite der Kunst zu sprechen“, erklärte Andras Szanto zu Beginn des ersten „Art Industry Forums“ in Wien. Szanto leitete diese Tagung im Auftrag der Viennafair. Die Wiener Kunstmesse war im letzten Jahr von zwei russischen Investoren übernommen worden: Sergey Skaterschikov, der sich nur nebensächlich für Kunst interessiert, und Dmitry Aksenov, der auch als Kunstsammler auftritt.
Skaterschikov betrachtet Galerien als „altmodische Ein-Personen-Unternehmen“: „Dies ist meine Galerie, dies sind meine Künstler – das funktioniert nicht mehr“, erklärt er freimütig. „Es braucht starke Gründe und Argumente für Verkäufe, warum dieses und nicht jenes Werk.“ Und diese Gründe nennt er im monatlichen Report seiner New Yorker Firma „Skate´s Art Investment“ gerne „no-nonsense-discussions“: auf Algorithmen gestützte Zahlen, angelehnt an die Rankings in der Welt der Finanzwirtschaft. Verkaufsstatistiken, Käuferdemographien, möglichst gemessen an Gesamtzahlen, der Werke, Galerien, Auktionshäuser, Käufer etc. Qualität gehört nicht dazu, denn Qualität ist nicht quantifizierbar.
Dieses Prinzip funktioniert halbwegs mit Werken des Secondary Market, da bei mehrmaligen Wiederverkäufen auf Auktionen die Preise weitgehend transparent sind. Den Markt der zeitgenössischen Künstler dagegen meiden die Investoren aufgrund seiner Unberechenbarkeit – und dies war auch das einhellige Credo der meisten Teilnehmer der Tagung. In fünf Sitzungen rund um den Geschäftszweig Art Investment sprachen 34 Teilnehmen ohne jegliches Interesse an Kunst über die Vor- und Nachteile, über Aussichten und Trends von Art Funds. Da verkündete beispielsweise Anne-Héléne Decaux (Art Viatic, Monaco) voller Naivität „Wir wollen die Kunst demokratisieren!“ – indem man in einen Fund Geld einzahlt? Mit einem „kalt kalkulierenden Auge“ würden sie ihren „Art Funds“ auflegen – ein schönes Bild für die Blindheit, aus der heraus hier Luftschlösser aufgebaut werden.
Nur wenige gaben eine realistische Einschätzung der Situation ab. So warnte gleich am ersten Abend Christian W. Roehl (Sustainable Wealth Lab AG, Essen) davor, Art Funds mit Bonds zu verwechseln: Bonds folgen dem Prinzip „quick and dirty“, Kunst dagegen benötige Zeit, Wissen und sei nicht vorhersagbar. Alexander Spuller (Art Photography Fund, Wien) gab zu, dass „offene Funds“, aus denen die Investoren also jederzeit aussteigen können, problematisch seien: Kunstwerke können nicht adhoc in Geld zurückverwandelt werden. Und einzig Serge Tiroche (Tiroch DeLeon, Tel Aviv) nahm sich die Zeit, auch einige Werke seines vor gut einem Jahr mit 10 Mio. Euro gestarteten Art Fund mit zeitgenössischer Kunst zu zeigen.
Als erfahrener Sammler und ehemaliger Private Banker repräsentiert Tiroche jene Welt, die Skaterschikov als gestrig darstellt. Die kleine Elite, die schon mit Kunst aufwuchs, werde in der Art Industry von kaufkräftigen Investoren abgelöst, betont er gerne. Aber ganz ohne Kennerschaft, das vermittelte diese Tagung eindrücklich, werden die meisten Art Funds wohl bald wieder verschwinden. Und noch etwas lässt diese Tagung ahnen: Die Art Industries seien „die Schlüsselmission der Messe“, hatte Skaterschikov auf einer der ersten Presskonferenzen zur Viennafair erklärt. Seine Messebetreiber-Firma „Nextedition Partner“ hat heuer ein mit 1 Mio. Euro dotierten „Art Vectors Investment“ aufgelegt. Eine unabhängige Jury wählte dafür 50 Werke mit Schwerpunkt Osteuropa aus. Offenbar ist auch unsere Vorstellung einer Messe als Informations- und Handelsplatz von Kunst für Sammler und Institutionen gestrig. Wohlmöglich dient die Messe in der Welt der Art Industry nur mehr als Ereignis, um Investoren für Art Funds zu akquirieren. Dafür sprechen auch die „Sammleresssen“, die während der Viennafair stattfanden – unter konsequentem Ausschluss von Galeristen und Künstlern.
veröffentlicht in: Kunstzeitung, Oktober 2012