Brâncusi: Franzose oder Rumäne?

13. Okt. 2023 in Ausstellungen

Blick in das zum Museum umgebaute Elternhaus von Constantin Brancusi in Hobita, Rumänien. Foto SBV

Ist Brâncusis Werk aus dem Geist der französischen Moderne geboren oder von rumänischer Folklore inspiriert? Diese Frage führt in eine Ausstellung in Timisoara und auf eine Reise zu seiner „Endlosen Säule“ in Târgu Jiu.

Fast fünf Stunden fahren wir von Timisoara aus in das Landesinnere von Rumänien. Autobahnen sind selten, gerade erst wurde der 1000. Kilometer gefeiert. Die kurvenreiche Landstraßen führt durch die Karpaten, entlang von Dörfern, die den Strukturwandel seit dem Ende des Kohleabbaus noch nicht bewältigt haben. Unser erstes Ziel ist das Dorf Hobita, in dem Constantin Brâncusi 1876 geboren wurde – denn wir sind auf Spurensuche dieses weltberühmten Bildhauers. Gerade eröffnete in Timisoara eine große Brâncusi-Ausstellung als Höhepunkt des Kulturhauptstadtjahres, die mit dem  Untertitel „Rumänische Quellen und universelle Perspektiven“ eine spannende Frage stellt: Ist Brâncusis Werk nur aus dem Geist der französischen Moderne geboren oder maßgeblich von rumänischer Folklore inspiriert? Darin schwingt auch die Frage mit: Ist er Franzose oder Rumäne?

Brâncusi Museum in Hobita, Rumänien, 2023. Foto SBV

Geboren wurde er jedenfalls hier in Hobita, wo jetzt ein kleines Holzhaus mit drei Kammern steht. Es ist nicht sein Elternhaus, das brannte ab, aber wohl vergleichbar. Hier beginnt seine Reise: Mit elf Jahren reißt Brâcusi von zu Hause aus, verdingt sich in Târgu Jiu als Färber, wird von seiner Mutter wieder eingefangen, um als 13jähriger wieder wegzurennen. Ab 1894 studiert er in Craiova an einer Kunstgewerbeschule, später an der Kunstakademie in Bukarest. 1903 macht er sich auf den Weg nach Paris, zu Fuß. Ein Jahr später erreicht er die französische Hauptstadt – und wird dort schon zu Lebzeiten zum gefeierten Künstler. 1952 erhält er die französische Staatsbürgerschaft, 1957 stirbt er in Paris.

Brâncusi, National Museum of Art Timisoara, 2023. Courtesy Art Encounters Foundation

In Hobita beginnt nicht nur die biographische, sondern auch die ikonographische Spurensuche. Uns gilt Brâncusi heute als Vertreter der radikalen Abstraktion. Das lässt sich auch großartig in der Brâncusi-Ausstellung in Timisoara nachvollziehen. Anhand von rund 100 Werken, darunter 22 Skulpturen, Fotografien und Filmfragmente, sehen wir seinen Weg in die Reduktion der Formen. Da wird die Form eines schlafenden Kopfes immer weiter reduziert, bis es nur noch eine Art Ei ist, mit wenigen Linien in Marmor gehauen oder in glänzende Bronze gegossen. Schon ab 1907 variiert Brâncusi, der sich rumänisch ohne i, dafür mit einem ´sch´ am Ende ausspricht, eng umschlungene, im Kuss vereinte Körper. Am Ende des Ganges durch die vielen kleinen, schwarz ausgemalten und mit Punktstrahlern ausgeleuchteten Räume thront eine kleine „Endlose Säule“ auf einem der niedrigen Podeste.

Constantin Brâncusi, Tor des Kusses in Targu Jiu, Rumänien, 2023. Foto SBV

Säule und Kuss – diesen beiden Motive begegnen wir dann im fünf Fußstunden, 30 Autominuten von Hobita entferten Târgu Jiu wieder. Hier steht Brâncusis weltberühmte „Endlose Säule“ in einem kleinen Park, 1938 eingeweiht als Teil seines dreiteiligen Denkmal, gewidmet den Gefallenen, die 1916 die deutschen Truppen am Ufer des Flusses Jiu aufhielten. Die „Endlose Säule“ ist stolze 29,35 Meter hoch und besteht aus 15 ganzen und an den beiden Enden zwei halben, mit vergoldetem Kupfer überzogenen Romben, die wie Perlen auf eine Kette auf einen Stahlkern aufgefädelt sind. Freistehend auf einer kleinen Anhöhe, verbindet die monumentale Säule Himmel und Erde. Einige Gehminuten entfernt steht das „Tor des Kusses“. Die aus der Ausstellung schon bekannten Liebenden sind in einer linearen Vereinfachung auf Striche und Kreis reduziert, die Vertikale ist der Raum zwischen den Gesichtern, die Horizontale die Münder, der Kreis die Augen.

Constantin Brâncusi, Tisch des Schweigens, Targu Jiu, Rumänien 2023. Foto SBV

Durch das Tor sieht man hinten den „Tisch des Schweigens“. Bestehend aus zwölf sanduhrförmigen Hockern symbolisiere das Ensemble die Mahlzeit vor dem Kampf, wird uns erklärt. Besonders die Säule bzw. die Rombenform ist Kernpunkt jener These, die in der Ausstellung und auf der Reise nahezu jeder Führer, sogar solche Kenner wie der britische Sammler David Grob, der die Brâncusi-Fotografien für die Ausstellung auslieh, wiederholen: Brâncusi sei zwar ein Meister der Abstraktion, sein Werk aber voller Spiritualität. Und die formalen Wurzeln seien in der rumänischen Folklore zu finden. Tatsächlich zieren die Veranda in dem Haus in Kobita kleine, rombenförmig geschnitzte Säulen. Man findet die Form oft bei Toren und Zäunen. Brâncusis Skulptur eines Vogels gehe ebenfalls auf lokale Motive zurück, der Vogel als Seele auf einer Säule sei oft auf Gräbern zu finden, erklärt der Führer, der über Brâncusi promoviert hat. Brâncusi nannte die Säule einmal eine „Himmelsleiter“, als Symbol für Aufstieg und Transzendenz, was die Theorie der Spiritualität unterstützt. Die zwölf Hocker des „Tisch des Schweigens“ referieren laut Führer auf die zwölf Aposteln – das erscheint allerdings verwegen. Brâncusi war eher Atheist, vielleicht Buddhist, aber kein gläubiger Christ. Die rumänische Folklore mag ihm Anregungen gegeben haben, aber geht seine Bildsprache nicht weit darüber hinaus? Überführt er nicht die lokalen Rückgriffe in die  universelle Sprache der Abstraktion aus dem Geist der Moderne? Vielleicht geht es bei der These aber gar nicht so sehr um die Folklore. Vielleicht ist diese Wurzelsuche nur ein Mittel, die anfängliche Nationalität Brâncusis in Erinnerung zu rufen, ihn zumindest als rumänischen Franzosen zu repositionieren – das jedenfalls ist bestens gelungen auf dieser faszinierenden Spurensuche.

veröffentlicht in: Die Presse, 9.10.2023
Brâncusi, National Museum of Art Timisoara, 30.9.2023-28.1.2024; Denkmal in Târgu Jiu ist ganzjährig zu besuchen

Constantin Brâncusi, Endlose Säule, Targu Jiu, Rumänien 2023. Foto SBV