Bakelit – Sammlung Kargl im MAK, Wien

27. Jul. 2020 in Ausstellungen

MAK-Ausstellungsansicht, 2020 Bakelit. Die Sammlung Georg Kargl, MAK DESIGN LAB. © Aslan Kudrnofsky/MAK

MAK-Ausstellungsansicht, 2020. Bakelit. Die Sammlung Georg Kargl, MAK DESIGN LAB. © Aslan Kudrnofsky/MAK

Sammeln ist eine Leidenschaft, keine Entscheidung. Lediglich das Objekt der obsessiven Beschäftigung kann rationalen Erwägungen unterliegen – was manchmal eine ganz eigene Dynamik entwickelt wie bei Georg Kargl. Erst begann Kargl eine Ausbildung zum Maurer und Zimmermann, wohl weil seine Eltern einen Baubetrieb führten. Ein Studium folgt, das er abbricht und stattdessen mit Antiquitäten handelt. Dabei entdeckt Kargl den Jugendstil und verkauft die damals noch unterschätzten Werke der Wiener Werkstätte. In den 1980ern wechselte er zur zeitgenössischen Kunst, eröffnete seine erste Galerie und genoss bis zu seinem Tod 2018 einen internationalen Ruf als wichtiger Kunsthändler weit über Wien hinaus. Er hinterließ eine beachtliche Kunstsammlung – und eine bisher kaum bekannte Bakelit -Sammlung. Über 300 Objekte sind jetzt im Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) ausgestellt, rund ein Drittel des Gesamtbestandes.

Miniaturbügeleisen Ausführung: Smoothie, Coventry, England Sammlung Kargl WH.00.00.11.592 Foto: © MAK/Georg Mayer

Miniaturbügeleisen, Ausführung: Smoothie, Coventry, England. Sammlung Kargl. Foto: © MAK/Georg Mayer

Seine Faszination für dieses Material entdeckte Kargl in der USA, als er zusammen mit seinem Geschäftspartner Christian Meyer in den 1980er Jahren eine Filiale in New York betrieb. Dort fielen ihm in den Diners diese Radios, Aschenbecher und Tischlampen aus Bakelit auf. Damit wird der erste, 1907 von dem belgischen Chemiker Leo Hendrik Baekeland entwickelte, industriell gefertigte, vollsynthetische Kunststoff bezeichnet. Im Ersten Weltkrieg für Geschosshülsen und Flugzeugpropeller benutzt, galt Bakelit bald als das Material der 1000 Möglichkeiten. Ob Lichtschalter, Staubsauger oder Obstschalen, Fliegerbrillen oder Uniformknöpfe – alles konnte aus Bakelit hergestellt werden. So bringt Ericsson 1931 das erste Bakelit -Telefon auf den Markt, 1933 folgt das erste Bakelit -Radio. Berühmt ist Hitlers rotes Bakelit -Telefon, das vor drei Jahren für 243.000 Dollar versteigert wurde.
Solche historisch aufgeladenen Objekte interessierten Kargl aber nicht. Auch Schmuckstücke schloss er aus. Denn er war an „anspruchsvollem Design mit neuem Material“ interessiert, wie MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein im Gespräch erklärt. Und betont die Ähnlichkeit zu der strengen, auf Funktion konzentrierten Ästhetik der Wiener Werkstätte. Ab den 1930er Jahren interessierten sich immer häufiger namhafte Designer für dieses Material, sogar der Bildhauer Isamu Noguchi entwarf ein Objekt: ein Babyphon in Form eines Frauenkopfes.
1592635159946„Streamline Design“ heißt dieser Stil, der Stromlinienförmigkeit mit Elementen des Art-Déco verbindet und perfekt in die Ästhetik der Moderne passt. Dieser Designaspekt sollte herausgearbeitet werden. Dafür lud das MAK den Kargl-Künstler Mladen Bizumic ein. Bizumic unterteilt die Objekte in 14 Sachgruppen, füllt eine Vitrine nur mit Thermosflaschen, eine mit Spielzeug wie diese schwarzen, einerseits wuchtigen, andererseits in manchen Details viel zu fragilen Autos, die heute nur noch sehr selten zu finden sind. Faszinierend sind die runden Radios, die fast wie eine Adaption der früher beliebten, dekorativen Wandteller erscheinen, wären sie nicht so gewaltig massiv. Die Tischlampen erinnern an Roboterarme, das Miniaturbügeleisen an ein Auto – in den Objekten sind Fortschrittsgläubigkeit, Beschleunigung und Industrialisierung – drei große Werte der Moderne – verdichtet. In der Mitte des Raumes steht ein großer Tisch, Bizumic nennt die hier nach Größe sortierte Ansammlung eine „Stadtlandschaft“: das Zentrum bilden die hohen Ventilatoren, Staubsauger, Lautsprecher, an den Rändern ducken sich kleine Dosen bis zu Pfeifen. Dazwischen kann man so Eigenartiges wie eine Nähmaschine im Transportkoffer entdecken. Bizumics Lieblingsobjekt ist ein Aschenbecher mit Elefantenkopf – auch der Kolonialismus fand Eingang in die Bakelit-Welt. Ab den 1950er Jahren wurde Bakelit zunehmend durch einen neuen, aus Erdöl geschaffenen Kunststoff ersetzt, den man beliebig einfärben kann. Damit endete diese Ära.

MAK- Ausstellungsansicht, 2020. Bakelit. Die Sammlung Georg Kargl MAK DESIGN LAB © Aslan. Kudrnofsky /MAK

MAK- Ausstellungsansicht, 2020. Bakelit. Die Sammlung Georg Kargl. MAK DESIGN LAB. © Aslan. Kudrnofsky /MAK

Bei aller Schönheit des Designs ist es eine düstere Welt. Bakelit konnte nicht eingefärbt werden, die meisten Objekte sind braun bis schwarz. Andere Farben sind nur durch Zugabe von Kupferpuder oder Gesteinsmehl möglich, manche wie Hitlers Telefon wurden überlackiert. Vieles erinnert an jene merkwürdige Atmosphäre, die in der Wohnung meiner Großeltern herrschte, wo mir alles nur dunkel, schwer und alt erschien. Aber Bizumic schafft es, diese Stimmung aufzubrechen, unterlegt die Objekte mit gelben Flächen, die wie ein Sonnenschein das Düstere aufbrechen – was für ein schönes Bild für den Sammler, der mit seinem Kennerblick eine neue Perspektive auf ein fast vergessenes Material eröffnet.

MAK Wien, 15. Juli bis 26. Oktober 2020
veröffentlicht in: Welt am Sonntag, 26.7.2020