Fondation Carmignac: Barfuß durch´s Museum:

02. Mai. 2019 in Ausstellungen

France, Var (83), Iles d'Hyeres, parc national de Port Cros, ile de Porquerolles, Fondation Carmignac, Le Jardin, exposition Sea of Desire, Alycastre de Miquel Barcelo

Fondation Carmignac, Miquel Barcelo

Privatmuseen boomen. Sammler möchten ihre Schätze gerne herzeigen, erst den Freunden, bald einer breiten Öffentlichkeit. Die meisten stationieren ihre Ausstellungshäuser dann in klassischer Museumsarchitektur in großen Städten. Anders Edouard Carmignac. Der französische Investmentbanker und Fondsmanager entschied für seine Fondation Carmignac ein unterirdisches Domizil in einem weit abgelegenen Winkel: auf der Insel Porquerolles im äußersten Süden Frankreichs.

Fondation Carmignac, Foto Lionel Barbe

Fondation Carmignac, Foto Lionel Barbe

Knapp dreihundert Einwohner zählt die Insel, im Sommer drängen sich hier bis zu 5000, französische Tagestouristen, aber auch Gäste aus Italien und Deutschland. Knapp acht Kilometer lang und drei Kilometer breit, besiedelten zunächst Soldaten Napoleons III diese größte Insel der Iles d´Hyères. Später befand sie sich in belgischem Privatbesitz. Mit dem Ankauf durch den französischen Staat 1971 wurde sie zum streng geschützten Nationalpark. Hier also steht Carmignacs Museum – und ist etwas ganz Besonderes. Das beginnt schon mit der Anfahrt per Schiff und dem gut einen Kilometer langen Fußmarsch durch den Nationalpark. Dahinter führt der Weg erst zu den Schließfächern für die Taschen, dann auf eine kleine Anhöhe. Der vorherige Besitzer hatte beschlossen, aus seiner Villa das Meer sehen zu wollen. Also ließ er einen Hügel aufschütten.

Charles Carmignac, Fondation Carmignac // SBV

Charles Carmignac, Fondation Carmignac // SBV

Als Carmignac die Villa inklusiv 15 Hektar Land kaufte, erwies sich das als Glücksfall. Denn in dem geschützten Park darf heute nichts mehr gebaut werden. So ließ er sein 2000 Quadratmeter großes Museum als unterirdischen Tempel der Kunst anlegen, für den strenge Regeln gelten: Nur fünfzig Besucher dürfen gleichzeitig hinein. Und jeder muss die Schuhe ausziehen. Das sei die Idee seines Vaters, der gerne barfuß gehe, erklärt Charles Carmignac. Aber diese Maßnahme lasse auch den Staub der Insel draußen. Und bringe Ruhe mit. „Du bist auf einer Insel, in einem Museum unter der Erde, gehst barfuß und bist fast alleine – wir wollten möglichst perfekte Bedingungen schaffen, damit die Kunst intensiv wirken kann“, fasst er es zusammen.

Ed Ruscha, Sea of Desire, Foto Marc Domage, Fondation Carmignac

Ed Ruscha, Sea of Desire, Foto Marc Domage, Fondation Carmignac

Charles Carmignac ist eines der fünf Kinder des Sammlers, tourte zwanzig Jahre als Musiker der Band Moriarty durch die Welt und hat seit 2017 die Leitung der im Jahr 2000 gegründeten Fondation Carmignac inne. Letztes Jahr eröffnete das Museum mit der Ausstellung „Sea of Desire“. Jetzt folgt „The Source“, kuratiert von Chiara Parisi mit rund 50 KünstlerInnen. Der Großteil der Werke stammt aus der Sammlung, einiges ist permanent installiert, etwa Miquel Barcelos Wächter noch vor dem Eingang – der übrigens als Zeichnung die Weinflaschen des hauseigenen Insel-Weinguts Domaine La Courtade ziert.

Bruce Nauman, Foto Marc Domage, Fondation Carmignac

Bruce Nauman, Foto Marc Domage, Fondation Carmignac

Oder Bruce Naumans großartiger Springbrunnen aus 97 unterschiedlich großen Bronzefischen, die über einem Wasserbecken schweben – maßgeschneidert für diesen Ort! Startpunkt von „The Source“ ist Max Ernsts Lithographie „Lewis Carroll´s Wunderhorn“ (1970), erster Kunstkauf von Edouard Carmignac „lange bevor ich geboren war“, wie sein Sohn erklärt. Fabrice Hyber nimmt dieses kleine Werk als Zentrum seiner wandfüllenden Zeichnung zu den Quellen der Kunst, zu der auch eine grüne Frauenfigur gehört, aus deren Körperöffnungen Wasserstrahlen kommen – inspiriert von Nauman, interpretiert als Urquelle aller Kunst?

Maurizio Cattelan, Untitled, 2019. Fondation Carmignac

Maurizio Cattelan, Untitled, 2019. Fondation Carmignac, Foto Luc boegly/David Desrimais Editeur

Sechs Beiträge ließ Parisi eigens für die Schau anfertigen, darunter auch Maurizio Cattelans brandneue, riesige Selbstportrait-Skulptur: Sein Kopf ist bevölkert mit Miniaturen seines OEuvres, der Papst, Hitler, das Pferd, sie alle stecken darin. Für den Katalog befragte Parisi die Künstler nach den Quellen ihrer Werke. Cattelan antwortete: „ein Ort, an den man sich nicht zu gehen traut“.

Maurizio Cattelan, Untitled, 2019 – Roy Lichtenstein, Landscape with Scholar’s Rock, 1996. Fondation Carmignac

Maurizio Cattelan, Untitled, 2019 – Roy Lichtenstein, Landscape with Scholar’s Rock, 1996. Fondation Carmignac

Sein Kopf steht gleich vor Roy Lichtensteins „Landscape with Scholar´s Rock“ (1996) – an großen Namen mangelt es dieser international angelegten Privatsammlung keineswegs.

Exhibition view from La Source at the Fondation Carmignac in Porquerolles, France, from April 13 to November 3, 2019. Curator : Chiara Parisi.Photo Luc Boegly / David Desrimais Éditeur. Fondation Carmignac

Exhibition view from La Source at the Fondation Carmignac in Porquerolles, France, from April 13 to November 3, 2019. Curator : Chiara Parisi.Photo Luc Boegly / David Desrimais Éditeur. Fondation Carmignac

Architektonisch ist das Museum als Kreuz angelegt. Jeder Flügel steht jetzt unter einem Thema, einmal treffen Frauenportraits aufeinander, Egon Schiele, Thomas Ruff, Rebecca Horn, Pierre Klossowski. Ein anderer Flügel führt in die Welt der Farben als Quelle der Kunst, mit der „deutschen Familie“, wie Carmignac es nennt: Gerhard Richter, Sigmar Polke, Albert Oehlen. Und mitten drin, unter dem von Wasser bedeckten Oberlichtfenster, steht Cyprien Gaillards Baggerschaufel mit gelben Onyxsteinen. Es verbindet Mensch und Maschine, die ober- und die unterirdische Welt – und erinnert daran, wie dieses Museum entstand.

Sarah Lucas – Rose Bush, 2012 – Jesus, 2011 - Washing Machine Fried Egg, 2016 – Prière de Toucher, 2000 / 2012. Fondation Carmignac

Sarah Lucas – Rose Bush, 2012 – Jesus, 2011 – Washing Machine Fried Egg, 2016 – Prière de Toucher, 2000 / 2012. Fondation Carmignac

Durch die Solo-Schau von Sarah Lucas im oberen Geschoß führt dann der Weg nach draußen in den Skulpturengarten. Im Park verteilt stehen die „Vier Jahreszeiten“-Köpfe von Ugo Rondinone, Olaf Breunings humorvolle „Mother Nature“-Skulptur, deren Zähne die Buchstaben „I will eat you“ formen, und Jeppe Heins Labyrinth aus Spiegel-Panelen.

Jeppe Hein, Fondation Carmignac, 2019 // SBV

Jeppe Hein, Fondation Carmignac, 2019 // SBV

Wenn auch nicht mehr barfuß, so doch voller geschärfter Sinne wandern wir zu diesen Werken. Vor einigen Jahrzehnten hatte der österreichische Künstler Friedensreich Hundertwasser die Notwendigkeit eines anderen Raumerlebnisses durch das Spüren des Bodens propagierte. Er gestaltete das Stiegenhaus seines Museums in Wien um, der „unebene Wandelgang wird zur Symphonie, zur Melodie für die Füße. Er bringt den ganzen Menschen in Schwung“, schrieb er 1991. In der Fondation wandeln wir über kalte Steinplatten und steinige Waldwege, wir schwingen vielleicht auch, aber vor allem verlangsamen wir deutlich unser Tempo. Und verstehen plötzlich, warum herkömmliche Museen so oft als leblose Orte beschrieben werden, denn es braucht mehr als nur den Sehsinn, um Kunst zu erleben.

Fondation Carmignac, The Source, 13. April – 3. November, Porquerolles Island