Langsam schleichen wir mit gedämpfter Stimme durch weiße, hell ausgeleuchtete, dem Alltag weit entrückte Museumsräume – ist dieser Rahmen für die Kunst heute noch angemessen? Für Malerei mögen Museen perfekt sind. Aber immer mehr Kunst steht heute im engen Zusammenhang mit dem Leben. Da ist die Isolation im white cube eines Museums unpassend. Stattdessen entwerfen Künstler ihre Werke für den Außenraum. Kunst findet mehr und mehr in Museen ohne Wände statt, auf Plätzen, im Park, an Flussufern, am Strand.
Angefangen hat diese Entwicklung in den 1970er Jahren, als die üblichen Reiter- und Kriegsdenkmäler Konkurrenz von abstrakten Skulpturen bekamen wie etwa die Henry Moore-Skulptur vor der Karlskirche. Später setzten sich immer häufiger Werke mit inhaltlichem Bezug zum Umraum durch, die an Vergessenes erinnern, Bedeutendes betonen oder Details hervorheben. In Österreich lässt sich diese Entwicklung hervorragend in Niederösterreich verfolgen, wo seit 1996 bis heute über 500 Werke auf Dorfplätzen, Schulhöfen bis zu Fähren entstanden, darunter Humorvolles wie Anne Schneiders Neuinterpretation der Venus in Willendorf bis zu Kritischem wie Dan Perjovschis Bodenfliesen mit Zeichnungen zum Klimawandel in den Gärten Tulln.
Kunstwegen – Raumsichten
In Deutschland gehört das Projekt „kunstwegen“ zu den Pionieren. Seit den 1980er Jahren entsteht auf einer Strecke von 140 km entlang des Flusses Vechta von Bad Bentheim bis zur holländischen Stadt Zwolle eine Kunstroute mit über 80 Werken. Gerade wurde der neueste Abschnitt unter dem Titel „Raumsichten“ eröffnet.
Gleich drei der neun eingeladenen Künstler sind aus Österreich: Eva Grubinger, die einen großartigen, elegant-schwarzen „Smoking Shelter“ mitten im Kurpark aufstellt und damit Fragen zu Reglementierungen stellt: Wer und was wird vor wem geschützt?
Marko Lulic nahm sich der ausrangierten, städtischen Straßenlampen in Schüttorf an und platziert 34 dieser energietechnisch überholten Objekte auf engsten Raum zusammen. Ab und an dürfen sie wieder erleuchten, ansonsten erinnern sie wie ein Zauberwald an eine vergangene Design-Epoche. Auch Hans Schabus rettet ein Stück Geschichte. Er ließ eine alte Eisenbahnbrücke aus der Steiermark nach Ohne transportieren und als unbenutzbares Objekt über die Vechta montieren. Von der Bevölkerung zunächst als „Schrott aus Österreich“ abgelehnt, ist „Laßnitz“, so der Titel, schnell als Sinnbild für vielerlei Verbindungen akzeptiert worden.
Beaufort Triennal
Auch in Belgien entsteht ein Museum ohne Wände. Seit 2003 verwandelt die Beaufort Triennale alle drei Jahre die belgische Küste in eine 65 km lange Ausstellung. Einen Sommer lang stehen von De Panne bis Knokke Skulpturen am Strand, in den Dünen, auf den Promenaden und in den zehn Seestädtchen. 22 der früheren Werke wurden bereits angekauft, darunter Wim Delvoyes kathedralenartig gebauter Bagger aus rostendem Stahl in Middelkerke, der an die Bausünden der ehemals prächtigen Promenaden-Architektur gemahnt.
Heuer sind wieder 30 neue Werke aufgestellt. Manche irritieren die Idylle wie die dramatischen, tiefschwarzen Bronzefiguren mit überlangen Armen und gerillter Körperfläche (Michal Gabriel in De Panne), verbildlichen das aufspritzende Wasser wie die riesige gelbe Form in den Dünen (Nick Ervinck in Bredene) oder laden zur Benutzung ein wie der 40 Meter lange „Sandwurm“ aus geflochtenen Weiden (Marco Casagrande in Wenduine). An beiden Enden weit geöffnet, können wir innen die wunderschönen Lichtspiele betrachten – oder den Wurm schlicht als Schattenspender beanspruchen.
Darin liegt auch der Hauptunterschied zur musealisierten Kunst: Hier wird nicht andächtig betrachtet, sondern aktiv wahrgenommen. Dadurch erleben wir den Umraum anders. Die Rillenstruktur der dunklen Männer etwa lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Wellen-Muster im Sand und aktiviert unsere ästhetische Wahrnehmung im Alltag. Aber hier setzt auch Kritik ein: Können wir uns am Strand oder auf einer Straße überhaupt mit etwas so Komplexen wie Kunst auseinandersetzen? Geschieht im Außenraum nicht lediglich ein flüchtiger, oberflächlicher Konsum?
Tatsächlich passiert das Gegenteil: Gerade im Außenraum ist Kunst weitaus eindrücklicher als in Museumsräumen. Draußen stellt Kunst Verbindungen her, wenn Eva Grubingers Raucherkabine gleichzeitig eine wunderschöne abstrakte, an den Minimalismus erinnernde Form und ein riesiger Aschenbecher ist, der zudem als Bild für unseren überreglementierten Alltag funktioniert. Dies ist nur im Außenraum möglich, da im Museum die Form ohne Funktion dominieren würde. So aber erleben wir das Gesehene emotional, in einem Handlungszusammenhang, was unsere Offenheit für komplexe Zusammenhänge steigert – und sich weitaus nachhaltiger ins Gedächtnis einprägt.
Public Art – Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich
Beaufort Triennale 04, Belgien, bis 30.9.2012
Kunstwegen Raumsichten, Niedersachsen/Deutschland
veröffentlicht in: Die Presse, 25.6.2012
http://diepresse.com/home/kultur/kunst/1259783/Kunst_Was-der-Wurm-im-Sand-uns-lehrt