Biennale Venedig als gigantische Geldmaschine?

05. Sep. 2015 in Biennalen

Venedig, Canale Grande Anfang Juni 2020 // SBV

Venedig, Canale Grande Anfang Juni 2020 // SBV

Eine Ausstellung auf der Biennale Venedig ist unerlässlich für das nationale Ansehen – diese Meinung teilen immer mehr Länder. Nicht allen ist dabei allerdings klar, dass dieser Auftritt auch ein beträchtliches Budget benötigt. Länder mit einem fixen Pavillon in den Giardini stellen alle zwei Jahre ein fest eingeplantes Budget zur Verfügung, für die Kunstbiennale ist das in Österreich 400.000,- Euro – eine Summe, die keineswegs ausreicht und heuer mit Sponsorengeldern verdoppelt wurde. Auch ein Stammplatz im Arsenale muss gemietet werden und wer in diesen beiden Hauptorten nicht unterkommt, sucht sich einen Palast in der Stadt, der wie bei Luxemburg 58.000,- Euro Miete für die gesamte Laufzeit kostet. Für prächtige Palazzi oder Kirchen werden bis zu 130.000,- Euro verrechnet.
Erst vor diesem ökonomischen Hintergrund ist die Situation der heurigen Biennale zu verstehen. Die Länder werden auf offizieller Ebene eingeladen, über Botschaften oder direkt an die Ministerien, die wiederum einen Kommissär berufen, der oft noch einen Kurator ins Team holt. In einigen Nationalpavillons im Stadtgebiet sind die Kuratoren überraschenderweise oft Italiener. Woraus eine  Vermutung entsteht: In Italien hat sich offenbar ein erfolgreiches Geschäftsmodell entwickelt: Kurator für die Biennale Venedig. Von der Architektur Biennale weiß man es: Die Organisation in Venedig bietet Kontakte zu Kuratoren für die Länder Pavillons.
Prinzipiell ist das keine schlechte Idee, denn Ausstellungen in der Lagunenstadt benötigen ein besonderes Geschick, jedes Material muss mit Booten gebracht werden, jeder Weg dauert, alles ist aufwendiger und kostet mehr als auf dem Festland. Eine einmal gewonnene Organisations-Erfahrung weiterhin einzusetzen, ist sinnvoll. Gleich mehrere Länder heuerten heuer solche Profis für ihre Länderbeiträge an. Dabei vergaßen die Nationen aber wohl, auch ein genügend großes Budget bereit zu stellen. So finanzieren diese ´Kuratoren´ die Beiträge mit Künstlern, die sich in die Ausstellung einmieten – und das sind vor allem italienische und chinesische Künstler.
Publik wurde diese Praktik durch den Beitrag von Costa Rica: 5000,- Euro mussten die eingemieteten Gäste pro ausgestelltem Werk zahlen. Ein italienischer Künstler beschwerte sich über die Gesamtsumme von 95.000,- Euro, er wollte eine ganze Etage alleine füllen. Der in Rom ansässige Botschafter Costa Ricas schaltete sich ein, es kam zum Eklat, denn der lateinamerikanische Kurator und seine Künstler wussten gar nichts von der Menge an italienischen Kollegen in ihrem Beitrag. Es folgte ein Rückzug – einer von dreien heuer.
Ähnlich lief es auch im Beitrag von Kenia ab: Ohne in irgend einer Beziehung zu Kenia zu stehen, ist die Italienerin Paola Poponi Kommissarin des Pavillons. Berufen wurde sie vom Kulturministerium Kenias, das allerdings keinerlei Budget beisteuert. Die meisten Künstler sind – genau: Chinesen und Italiener. Poponi war bereits für den Beitrag auf der 55. Biennale Venedig 2013 verantwortlich, Kenias erster Teilnahme. Auch dort stellten hauptsächlich chinesische und italienische Künstler aus, nur in einem „dunklen Raum“ wären auch Kenianer zu sehen gewesen, schrieb Olabisi Silvre im März 2015 auf ihrer Facebook-Seite. Sie ist Direktorin des Centre for Contemporary Art, Lagos, Nigeria: „A monumental embarrassment to the country and to the continent that should not be allowed to happen again. It completely undermined and misrepresented the wonderful work that is coming out of the country.“
Leider ist es heuer doch wieder dazugekommen: „Creating Identities“ lautete der Titel, den man fast zynisch nennen kann. Auf die laute Kritik der Kenianischen Kunstszene an der Künstlerwahl betonte Poponi im Vorfeld, dass zwei Kenianer eingeladen sind: Yvonne Amolo, die in der Schweiz lebt und keinerlei Verbindung zur lokalen Kunstszene hat. Und wie bereits 2013 der in Kenia lebende, 72jährige italienische Maler und Immobilienmagnat Armando Tanzini. Er ist die treibende – und finanzierende – Kraft hinter dem Pavillon. In den Tageszeitungen Kenias wurde von einer „korrupten Übernahme“ gesprochen, Tanzini spricht in einem NPR-Radiointerview von „Kompromissen“ bei der Finanzierung. Eine öffentliche Petition forderte vorab einen echten Nationalpavillon und schrieb, dass eine „Gruppe gut vernetzter Personen, denen jegliche intellektuelle und kreative Kapazität fehlt, um Kenias zeitgenössische Kunst in der internationalen Arena zu repräsentieren, als Kenia Pavillon posieren“. Tanzini wischt in dem Radiointerview dieses Statement als „rassistisch“ weg.
Zur Eröffnung in Venedig waren Demonstrationen angekündigt, um klar zu stellen, dass es kein Pavillon Kenias sei. Kurz vor der Eröffnung der Biennale zog das Kulturministerium die Konsequenz aus den Protesten und sagte den Pavillon vollständig ab. Die Ausstellung findet trotzdem statt, ohne Länderflagge und ohne Biennale-Logo. Der Rückzug des kenianischen Kulturministers war die richtige Entscheidung: Diese Ausstellung ist von erschreckend niedriger Qualität, die es so unter dem Namen der Biennale Venedig nicht geben dürfte. Baratta betonte auf der Pressekonferenz, die Biennale Venedig gebe keine Regeln für die Länder vor. Das wäre auch schwierig, denn die Pavillons unterstehen ja den jeweiligen Ländern. Dieses Geschäftsmodell der Vermietung einer Biennale-Beteiligung ist also nicht illegal. Aber es schadet enorm.
Denn nicht nur Kenia und Costa Rica, auch Grenada vermietete laut Auskunft einer Mitarbeiterin den Platz an zahlungswillige italienische Künstler. Und auch Kuba, Syrien und Guatemala irritieren mit einer auffälligen Kombination italienischer, chinesischer und nur wenigen Landes-Künstlern. Gerade in Syrien ist die ´Erweiterung´ schade, schaffen die syrischen Beiträge doch eine der aktuellen politischen Situation entsprechende, überzeugende Stimmung. Am extensivsten legt San Marino seinen Pavillon an. In der winzig kleinen, an Italiens Ostküste gelegenen Republik leben nur 32.000 Bewohner. Trotzdem bespielt San Marino gleich vier Ausstellungsorte in Venedig. Das offensive Thema: „Friendship Project“, mit einer großen Anzahl chinesischer Künstler.

Paolo Barrata, Präsident Biennale Venedig; Okwui Enwezor, Kurator 56. Biennale Venedig 2015. Foto SBV

Paolo Barrata, Präsident Biennale Venedig; Okwui Enwezor, Kurator 56. Biennale Venedig 2015. Foto SBV

Aber warum überall so viele Chinesen in Länderbeiträgen? Chinesische Künstler sind bereit, ihren Auftritt in Venedig zu bezahlen, um ihre Bedeutung und ihre Preise im chinesischen Kunstmarkt zu steigern. Geht die Rechnung für all die mittelmäßig bis schlechten italienischen und chinesischen Künstler überhaupt auf? Hat sich die Biennale in den letzten Jahren unbemerkt zu einer italienischen Kunstmesse entwickelt? Das wäre nicht grundsätzlich erstaunlich, denn die Mutter aller Biennalen startete 1895 als Benefizveranstaltung. Damals ging es vor allem um Verkäufe. Die erste Edition war daher auch ohne Eintrittsgelder. Noch bis in die 1960er Jahre war es klarer Auftrag, die Verkaufbarkeit der ausgestellten Werke im Blick zu halten. Denn die Biennale war damals ein Kunstmarkt. Das änderte sich zum einen durch die schnell wachsende Galerienszene und die ersten professionellen Kunstmessen Ende der 1960er Jahre in Köln und Basel. Zum anderen dominierten in den Pavillons anstelle der Verkaufsidee zunehmend inhaltliche Motive. Hinzu kam ab 1968 die thematisch ausgerichtete Gruppenausstellung, die in Verbindung steht zu den immer ambitionierteren Beiträgen in den Länderpavillons. Seither nehmen allerdings auch zunehmend mehr Länder teil, die sich zuweilen finanziell überheben.
Wie etwa Nigeria: Das Land sagte aus „ökonomischen Gründen“ ab, wie Biennale Präsident Paolo Baratta auf der Pressekonferenz in Venedig erklärte – und betonte, auch Deutschland hätte aus wirtschaftlichen Gründen schon einmal, 1932, zurückgezogen.
Aber damit ist der Grund für den Rückzug der beiden anderen Länder nicht vom Tisch. Vieles hat sich in den mehr als einhundert Jahren seit der Gründung geändert, die Eintrittsgelder sind mittlerweile zu einer wichtigen Einnahmequelle der Biennale geworden, sogar die Tickets während der exklusiven Eröffnungstage können über das Internet ab 150,- Euro gekauft werden. Eine Kuratorin erwähnte zudem, dass jede Länderbeteiligung zunächst einmal 65.000,- Teilnahmegebühr kostet – auch für die fixen Pavillons oder nur für die vagabundierenden? Für die Antwort auf diese Frage ist niemand zuständig.

Ibrahim Mahama, 56. Biennale Venedig 2015. Foto SBV

Ibrahim Mahama, 56. Biennale Venedig 2015. Foto SBV

Diese Intransparenz und die vielen Grauzonen sind Faktoren, die der Biennale massiv schaden. Viele KünstlerInnen haben sich heuer darüber beschwert, dass die Beteiligung an Enwezors Gruppenausstellung im Zentralpavillon und in dem Arsenale völlig unterfinanziert sei. Unmissverständlich wurden Galerien im Vorfeld aufgefordert, Transporte und Reisen, oft auch große Teile der Projekte ihrer Künstler zu finanzieren. Und auch Künstler wurden zur Kasse gebeten: Die dunklen, bedrohlich im Wind flatternden, zerrissenen Kakaosäcke im Gang im Arsenale musste der Künstler Ibrahim Mahama komplett selbst finanzieren, wie er erzählte. 50.000,- Euro habe er dafür ausgegeben, den Transport und seine Reise ebenso selbst bezahlt – gibt es eine so krasse Hierarchie in der zentralen Gruppenausstellung, dass einige kein Budget erhalten? Oder reichte es bei Mahama nur nicht aus – wie bei den meisten? „All The World´s Futures“ mit 136 KünstlerInnen wäre ohne die Unterstützung der Galerien nicht zustande gekommen – und der Pavillon von Kuba übrigens auch nicht, dort ist bei den Werken von Lin Yilin (1964, China) und Grethell Rasua (Kuba) zu lesen: „Supported by Renata Bianconi Gallery, Mailand“. Haben dann Künstler ohne Galerie im Rücken überhaupt noch eine Chance, auf der Biennale Venedig auszustellen?
Um all diese undurchsichtigen Praktiken noch zu toppen, machte in Venedig ein Gerücht die Runde: Während der Eröffnungstage wurden die acht Bilder von Georg Baselitz, die im Arsenale in Enwezors Hauptausstellung hängen, an den französischen Geschäftsmann und Sammler Francois Pinault verkauft. Das wird sicherlich keine spontane Entscheidung des Sammlers gewesen sein. Die Galerie Ropac kommentiert die Anfrage dazu nicht, Henri Neuendorf meldete diesen Verkauf aber am 12. Mai auf der Internetseite von Artnet und nannte die Verkaufssumme von 8.9 Mio. Euro. Partizipiert die Biennale an diesem Geschäft? Enwezor stellt Karl Marx Schrift „Das Kapital“ in den Mittelpunkt seiner Ausstellung – ist das Zynismus? Fließen so Gelder in das Ausstellungsbudget zurück? Worin unterscheidet sich die Biennale Venedig überhaupt noch von einer Kunstmesse?
Das sind Fragen, die bis zur nächsten Biennale Venedig geklärt werden müssen. Und es ist mehr als traurig, dass gerade die weniger bekannten Länder ihre Chance vertuen, in Venedig mit einem klaren Bekenntnis zur nationalen Kunstszene aufzutreten – offenbar können sie in der großen Geldmaschine namens Biennale Venedig nicht mithalten.
veröffentlicht in: Kunstforum International, Bd. 233/234, Juni – Juli 2015