BMW Art Journey – Gespräch mit Thomas Girst

02. Jun. 2018 in Interview

Astha Butail im Iran, Taft District, nahe Chak Chak, beim Aufbau ihres mobilen Zelts, Dez. 2017. © Astha Butail

Astha Butail im Iran, Taft District, nahe Chak Chak, beim Aufbau ihres mobilen Zelts, Dez. 2017. © Astha Butail

2015 initiierte BMW in Partnerschaft mit der Art Basel das Projekt BMW Art Journey. Auf den Kunstmessen in Basel und Hongkong werden dafür an den Ständen der Galerien in den Sektionen für junge Kunst jeweils drei Kandidaten ausgesucht. Sie entwickeln dann ein Reiseprojekt, ein einziges wird davon gewählt und finanziert.
SBV: Wieviele Künstler konnten bisher die BMW Art Journey durchführen?

Prof. Dr. Thomas Girst. Foto Sascha Hauk

Prof. Dr. Thomas Girst. Foto Sascha Hauk

Thomas Girst: Fünf Reisen fanden bisher statt, Jamal Cyrus wird noch folgen und auf der Art Basel Hongkong wurde gerade die Shortlist für die siebte Reise bekannt gegeben. Samson Young war 2015 der erste Preisträger, danach kamen Henning Fehr und Philip Rühr, 2016 Abigail Reynolds und Max Hooper Schneider, 2017 Astha Butail und eben Jamal Cyrus.
SBV: Entstand die Idee für dieses Projekt in Anlehnung an die lange Tradition der Künstlerreisen seit der Renaissance?
Thomas Girst: Ja, und genau diese Einbettung war uns auch sehr wichtig, weswegen wir 2015 das Buch „The Sense of Movement. When Artists Travel“ im Hatje Cantz Verlag herausgegeben haben. Warum reisen Künstler überhaupt? Manche sind auf der Flucht oder unterwegs ins Exil, manche setzen sich bewusst Qualen aus, andere suchen die Entschleunigung oder testen ihre Ausdauer als Projekt wie Marina Abramovic, die entlang der Chinesischen Mauer Hunderte von Kilometern ihrem Partner Ullay entgegen lief. Und einige reisen nur mental, wie Ai Weiwei während seines vierjährigen Reisebanns.
Uns war das Thema der Mobilität wichtig. Wir haben uns mehr als ein Jahr mit Marc Spiegler von der Art Basel besprochen. Wir wollten nicht nur als Partner der Art Basel die Shuttle-Automobile zur Verfügung stellen, aber auch nicht noch einen weiteren Geldpreis ausrufen – damit lobt man sich doch stets nur selbst. Wir wollten was für junge Künstler tun und da kam die Idee des road trips auf: Künstlern die Möglichkeit geben, aus ihrem Atelier hinaus zu gehen, ein mobiles Atelier sozusagen. Zu forschen, zu recherchieren, ihre eigenen vier Wände zu verlassen.

short list-Künstler Ali Kazim, Galerie Jahveri Contemporary, Art Basel Hong Kong 2018

short list-Hongkong Künstler Ali Kazim, Galerie Jahveri Contemporary, Art Basel Hong Kong 2018

SBV: Der Preis wird ja auf den Kunstmessen der Art Basel in Miami und in Hongkong, seit diesem Jahr nur mehr in Hongkong vergeben. Eine Jury wählt aus den Galerien, die in der Discovery Sektion ausstellen, drei Kandidaten aus, die dann eine konkrete Reise ausarbeiten. Was sind dann die Kriterien für die endgültige Wahl des Preisträgers?
Thomas Girst: Wir möchten so wenig Vorgaben wie möglich, so viel wie nötig machen. Eine Voraussetzung ist die Länge: Die Reise sollte mindestens zwei Wochen dauern und mindesten 200 Kilometer weit führen. Wir wollten verhindern – so schön das auch sein könnte – dass ein Konzeptkünstler vorschlägt, jeden Tag einen Zentimeter in seinem Zimmer zu spazieren. Dann natürlich Sicherheitsvorgaben, also Länder mit Reisewarnungen der United Nations, und ein Ausschluss von religiös und ethisch zu bedenklichen Themen. Wir vertrauen der Expertenjury internationaler Museumsdirektoren voll.

short-list-Hongkong- Kandidat Zac Langdon-Pole, Muschel, Meteorit, 2018. Galerie Michael Lett, Auckland

short-list-Hongkong-Künstler Zac Langdon-Pole, Muschel, Meteorit, 2018. Galerie Michael Lett, Auckland

SBV: Entscheidet die Jury aufgrund der Standpräsentationen auf der Messe?
Thomas Girst: Die Galerien in der Positions- und Discovery-Sektion reichen eine Bewerbung für die BMW Art Journey ein – nicht jede Galerie nimmt automatisch daran teil. In Hongkong waren es diesmal 23 Galerien, das ist sehr viel Arbeit für die Jury, die sich bereits vorab einarbeitet, bevor sie sich dann vor Ort für drei Kandidaten entscheidet. Die drei Künstler haben dann ein paar Monate Zeit, einen Projektvorschlag für ihre geplante Reise auszuarbeiten, anhand dessen die finale Wahl getroffen wird.
SBV: Suchen die Galerien dafür Künstler bzw. Werke aus, die schon das Thema einer Reise inkludieren?

Samson Young in Marokko, 2015. Foto BMW

Samson Young in Marokko, 2015. Foto BMW

Thomas Girst: Das ist nicht notwendig. Es ist ja ein sehr intensiver Auswahlprozess, der mit der Galerie beginnt, die den Künstler einlädt. Dann wählt die Art Basel die Galerie für eine Teilnahme, und erst dann kommt unsere Jury. Wir können also von einer sehr hohen Qualität ausgehen, was man ja auch an dem ersten Preisträger sieht, denn Samson Young hat seither eine steile Karriere gemacht, hat 2017 auf der Biennale Venedig sogar den Länderpavillon für Hongkong bespielt und war auf der documenta.
SBV: Hat BMW eine Stimme in der Jury?

Abigail Reynolds, Landkarte der geplanten Reise entlang der Seidenstraße, 2016

Abigail Reynolds, Landkarte der geplanten Reise entlang der Seidenstraße, 2016

Thomas Girst: Wir sitzen nicht in der Jury und das ist mir auch ganz wichtig. Wir werden bei unseren Initiativen oft gefragt, ob wir dabei sein wollen. Manche Sponsoren machen das, wir verstehen unsere Rolle anders. Wir mischen uns niemals in Inhalte ein. Um auch gleich die nicht gestellte, aber oft gedachte Frage zu beantworten: Keiner der BMW Art Journey-Künstler muss einen Führerschein haben. Abigail Reynolds ist leidenschaftliche Motorradfahrerin und war beseelt, dass wir ihr bei mehreren Stationen ein Motorrad zur Verfügung gestellt haben. Wir helfen mit unserem Wissen, unserem Netzwerk, unseren Möglichkeiten, aber sonst sind wir nicht involviert.
SBV: Gibt es ein Preislimit für die Reisen?

Astha Butail in Süd-Indien, am Palar Fluss, Chengelpet, bei der Arbeit mit vier Ghanapatis (Erinnerungsexperten, welche die gesamten Lobeslieder in acht verschiedenen Überlierungsmustern gelernt haben), 2018. Foto: Astha Butail. © Astha Butail

Astha Butail in Süd-Indien, am Palar Fluss, Chengelpet, bei der Arbeit mit vier Ghanapatis (Erinnerungsexperten, welche die gesamten Lobeslieder in acht verschiedenen Überlierungsmustern gelernt haben), 2018. Foto: Astha Butail. © Astha Butail

Thomas Girst: Keine extraterrestischen Reisen! Zum Mond: leider nein. U-Boot: auch nicht. Aber das teilen wir den Künstlern nicht mit, die Vorschläge sollen so frei wie möglich gedacht werden. Wir zahlen den nicht-verwirklichten Konzepten der jeweils anderen Kandidaten ein sehr gutes Honorar, mit dem sie theoretisch auch auf Reise gehen könnten. Und ein integraler Bestandteil der verwirklichten Reisen sind die abschließend publizierten Künstlerbücher, auf unserer Website werden tagebuchähnliche Einträge veröffentlicht. Samson Young, Abigail Reynolds und Ashta Butail haben dort jeden Tag geschrieben. Wir freuen uns, wenn die Reisen dann später noch nachwirken wie jetzt bei Samson Young, der in seine Komposition mit dem Hongkong Orchestra die Klangaufnahmen der Glocken von seiner Reise 2015 einbaute. Da können wir auch behilflich sein, die Aufführung nach Europa zu bringen.

Video Still Henning Fehr & Philipp Rühr, Danji Buck-Moore, Polyrhythm Technoir Pt. III: Leisure Time Future: The Rattlesnake, 2015, Digital Video (129:41 min.)

Video Still Henning Fehr & Philipp Rühr, Danji Buck-Moore, Polyrhythm Technoir Pt. III: Leisure Time Future: The Rattlesnake, 2015, Digital Video (129:41 min.)

SBV: Samson Young reiste 2015 zu Kirchenglocken, Henning Fehr & Philipp Rühr reisten nach Jamaika und China unter dem Thema „The Art of Memory: DUB Music and the CCTV Tower“. Was suchte Max Hooper Schneider bei den Korallenriffen? Thomas Girst: Zusammen mit Wissenschaftlern und Meeresbiologen hat er vor den Küsten Aquarien temporär versenkt, um auf die Bedeutung von Riffen hinzuweisen, aber auch explorativ. Sein Buch ist gerade in Bearbeitung.
SBV: Die Tagebucheinträge auf der Website https://www.bmw-art-journey.com geben einen Einblick, dazu die Bücher – entstehen auch Werke im Rahmen der Reise?
Thomas Girst: Das ist uns wichtig im Hinblick auf die Freiheit: Es ist keine Pflicht, dass Werke entstehen müssen.
SBV: Bei manchen folgen anschließend Werke, die Skulpturen von Abigail Reynolds oder gerade in Hongkong die vier Kabinette von Astha Butail. Kauft BMW solche Werke auch an?

Max Hooper Schneider, Pet Semiosis 11: LEPROSY (Hebrew), 2016 (c) High Art und Max Hooper Schneider

Max Hooper Schneider, Pet Semiosis 11: LEPROSY (Hebrew), 2016 (c) High Art und Max Hooper Schneider

Thomas Girst: Wir haben kein Ankaufsbudget und auch keine Kunstsammlung. Wir arbeiten zwar mit lokalen Akademien an den dreißig Standorten unseres Unternehmens und kaufen dort auch Werke von Jungen für die Räume, aber sonst nicht. Spannend ist es für uns zu sehen, wenn Sammler aus unserer Lounge heraus Werke kaufen, selbst wenn die Galeristen der Künstler gar nicht auf der Art Basel vertreten sind.
SBV: Wie ist die Resonanz von Künstlern auf die BMW Art Journey?
Thomas Girst: Die Vorschläge sind unglaublich spannend, sie gehen sehr tief in ihrer ernsthaften Auseinandersetzung mit hochkomplexen Themen und sind zudem noch visuell ansprechend – ich würde am liebsten einmal ein Buch daraus machen.
SBV: Werden Sie von Künstlern direkt angesprochen?
Thomas Girst: Oft! Ob es die Art Car-Initiative ist, die BMW Art Journey oder eine andere unserer Hunderten Initiativen weltweit, wir erhalten im Jahr über 2000 direkte Bewerbungen und Anfragen. Je mehr man tut, desto mehr wird man gefragt. Und wir beantworten alles. Da bin ich auch froh, auf die klare Struktur hinzuweisen, denn wir wählen auch bei den Art Cars nicht aus. Auch da gibt es eine internationale, hochkarätige Jury. Wir sehen uns weniger als Sponsoren, also über eine monetäre Transaktion definiert, denn als Partner, eine Interaktion. Man kann sich auch mal streiten, aber begegnet sich vor allem mit Neugierde und Respekt.
SBV: Könnten Sie beobachten, ob die Reisen das Werk der Künstler beeinflussen?

Abigail Reynolds, Reise entlang der Seidenstraße, 2016

Abigail Reynolds, Reise entlang der Seidenstraße, 2016

Thomas Girst: Unser Traum ist es, irgendwann einmal die BMW Art Journeys als Wanderausstellung zu zeigen. Denn es ergeben sich ja nicht nur auf den Reisen, sondern auch zwischen den Projekten faszinierende Verbindungen und Korrelationen. Abigail Reynolds fuhr entlang der Seidenstraße bis in die Türkei, um nach Spuren zerstörter Bibliotheken zu suchen. Astha Butail fokussiert auf orale Traditionen, die mündlich tausend Jahre altes Wissen überliefern, und integriert in das Projekt ihre frühere Arbeit mit Büchern, die aus leeren weißen Seiten bestehen. Solche Kohärenzen sind enorm interessant! Vielleicht wäre da mal eine Zusammenarbeit mit den Institutionen der Kuratoren und Direktoren der Jury möglich.
SBV: Samson Young besuchte zerstörte Glocken, Hooper Schneider bedrohte Riffe, Reynolds verschwundene Bibliotheken – kann man eine Linie, eine Tendenz anhand der Projekte ablesen?
Thomas Girst: Young besuchte nicht nur zerstörte Glocken, sondern historisch bedeutende. In Frankreich suchte er Glocken, mit einer Inschrift versehen, die darauf verwies, dass ihr Klang den Donner vertreiben könne. Obwohl lokale Historiker davon nichts wussten, konnten wir eine solche Inschrift ganz oben auf einem Kirchturm finden. Ich musste ihn am Knöchel festhalten, damit er zu der Schrift kriechen konnte. Ein Muster oder thematische Linie möchte ich nicht festmachen. Aber ich glaube, dass die Künstler diese Reisen als riesige Befreiung sehen und sie bei den Reisen eine Tiefe erreichen, die ihr Werk noch jahrelang beeinflusst. Auch Astha haben die unterwegs geführten Gespräche sehr tief beeindruckt. Die BMW Art Journey ist wie eine Möglichkeit zum Ausatmen.

short-list-Hongkong-Künstlerin Gala Porras-Kim, Reconstructed Southwest Artifact 3, 2018. Museumsobjekt, Graphit auf Keramik, Stahl, Mahagonie. Courtesy Galerie Commonwealth and Council

short-list-Hongkong-Künstlerin Gala Porras-Kim, Reconstructed Southwest Artifact 3, 2018. Museumsobjekt, Graphit auf Keramik, Stahl, Mahagonie. Courtesy Galerie Commonwealth and Council

SBV: Sind diese Projekte Abenteuerreisen?
Thomas Girst: Auch wenn die Reisen nicht auf Abenteuer ausgelegt sind, passiert den Künstlern natürlich vieles, was so nicht geplant ist. Reynolds beispielsweise hatte einen kleinen Unfall in den Bergen von Ephesos in der Türkei. Zum Glück war sie nicht stark verletzt und ging in einen Hamam, in dem man ihr dann half. In Kairo hingegen wurde sie polizeilich festgehalten, weil sie Fotos machte. Reynolds konnte ihre Reise jedoch nach ein paar Stunden ohne Weiteres fortführen. Die Künstler müssen sich immer wieder neu auf die Situationen einlassen. Wir leben in einer Welt der konstanten Ablenkung, auf der Reise geht es um Konsistenz, Erkenntnisgewinn und Erlebnisse. Die Künstler verlassen ihre Komfortzone. In diesem Sinne sind es sicher Abenteuer.