Christine & Irene Hohenbüchler

24. Jul. 2018 in Ausstellungen

Christine & Irene Hohenbüchler, Courtesy Galerie Martin Janda, Foto Anna Konrath

Christine & Irene Hohenbüchler, Courtesy Galerie Martin Janda, Foto Anna Konrath

Sie arbeiteten mit Strafgefangenen, Patienten psychiatrischer Kliniken und Kindern, schufen gemeinsam Objekte und zeigten die Werke abschließend in Ausstellungen – nicht irgendwo, sondern auf der documenta X 1997 in Kassel, in Kunstvereinen und auf Biennalen. „Multiple Autorenschaft“ nannten Christine & Irene Hohenbüchler ihre Arbeitsmethode, mit der sie in der zweiten Hälfte der 1990 Jahre enorm erfolgreich waren. Die 1964 geborenen, österreichischen Zwillinge hatten diesen Begriff geprägt, ihre Objekte nannten sie „Kommunikationsmöbel“, in denen sie die Werke der anderen präsentierten, und entwarfen sogar eine eigene Typographie für ihre Kataloge. Es war eine Zeit, in der sozial engagierte Kunst angesagt war, die nicht die Form verkäuflicher Objekte annehmen musste, sondern möglichst tief in die gesellschaftliche Realität eintauchen sollte. So feierten die Kritiker Hohenbüchlers Kunst begeistert als „Sozialinterventionismus“.
Höhepunkt ihrer Karriere war dann das „Mutter-Kind(er)-Haus“: Für den Österreich Pavillon der 48. Biennale Venedig 1999 hatten sie gemeinsam mit einem Architekten ein mobiles, 40 qm großes Wohnmodul für Flüchtlinge aus dem Kosovo entworfen. Leider wurde die Idee nie aufgegriffen, stattdessen verschwand der Prototyp irgendwann. Und auch um die Zwillinge wurde es immer stiller. Zwar sind beide Professorinnen an Hochschulen, aber ihre letzte Einzelausstellung in Wien hatten sie 2009. Jetzt zeigt die Wiener Galerie Martin Janda Skulpturen und Zeichnungen von 1989 bis heute. Der Fokus liegt dabei nicht mehr auf dem Arbeitsprozess, sondern auf den Materialien, Techniken und auf der formalen Sprache der Skulpturen und Zeichnungen – Aspekte, die zuvor nahezu vollständig ausgeklammert worden waren.

Christine & Irene Hohenbüchler, Courtesy Galerie Martin Janda, Foto Anna Konrath

Christine & Irene Hohenbüchler, Courtesy Galerie Martin Janda, Foto Anna Konrath

Da sind beispielsweise die großen Holzskulpturen von 1989, die als Regal fungieren können, mit den merkwürdigen Bronzeobjekten oben drauf aber auch ihren Status als autonomes Werk behaupten (16.000 Euro). Die beiden Säulen vorne sind nicht gedrechselt, sondern selbst geschnitzt. Dieser bewusste Verzicht auf Perfektion, diese Betonung des Handgemachten und ein naiver Einsatz von Handwerk wird gerade von einer jungen Künstlergeneration in Berlin neu entdeckt, die darin einen Ausweg aus der Sackgasse der fremdproduzierten Hochglanzkunst sehen. Eine ähnliche Neubewertung gilt auch für die gespenstischen Objekte mit den ausgepolsterten Armen (ab 10.000 Euro), die zugleich an Priestergewänder und Zwangsjacken erinnern. 1993 nach ihren Erlebnissen mit Patienten in der Psychiatrie entstanden, wurden diese Werke damals als zu wenig intellektuell kritisiert. Wenn etwa eine der übergroßen Hände blutet, die aus der Jacke ragt, wird zwar ein Bedeutungshof rund um das Thema der Verletzung angeboten, aber keine Details festlegt. Auch der Titel „…selektiv angebraust“ (1993, 10.000) verweist lediglich auf eine Wortschöpfung, die einen diffusen Zustand, der an Hundstage erinnert, beschreibt. Es ist das Zitat eines der Patienten, mit denen die Hohenbüchlers drei Monate arbeiteten. Jetzt werden diese Werke gerade aufgrund der starken Emotionalität geschätzt, die nicht mit erzählten Schicksalen spekuliert, sondern in den Formen steckt. Die Geschichten dazu müssen im eigenen Kopf entstehen.

DAAD-Tisch, Christine & Irene Hohenbüchler, Courtesy Galerie Martin Janda, Foto Anna Konrath

DAAD-Tisch, Christine & Irene Hohenbüchler, Courtesy Galerie Martin Janda, Foto Anna Konrath

Großartig sind auch die Buntstiftzeichnungen (2011; 8.300 Euro). Eng verschlungen stehen da seltsame Wesen in beengenden, bühnenartigen Räumen. Die Titel referieren auf griechische Götter, es seien „personifizierte Skulpturen“, erklärt Irene Hohenbüchler dazu im Gespräch. Wenn man die beiden Künstlerinnen auf einzelne Medien festlegen möchte, dann ist sie eher die Malerin, Christine die Bildhauerin, die Zeichnungen allerdings entstehen in einem gemeinsamen Arbeitsprozess. Wie in den partizipatorischen Projekten der 1990er Jahre so spielen auch hier Themen wie Ausgrenzung, Schutz und Gemeinsamkeit hinein. Und wie damals so setzen sie auch in ihren eigenen Werken an der sozialen Realität eines Kontextes an, nämlich ihrer eigenen Welt als Zwillinge. Das zeigt kaum ein Werk so deutlich wie der im Auftrag des Berliner DAAD gegebene Bibliothekstisch: Die im Halbkreis geformte Fläche für Bücher endet in zwei sich gegenüberstehenden Stühlen (1995; 18.000 Euro) – denn jede Einzelaktivität mündet am Ende immer in eine gemeinsame Kommunikation.

Christine & Irene Hohenbüchler, Galerie Martin Janda, Wien, bis 21. Juli 2018
veröffenticht in: Welt, 22.7.2018