Cindy Sherman: das Frühwerk in Wien

11. Mrz. 2012 in Ausstellungen

Bisher galten die Untitled Film Stills von Cindy Sherman als ihre frühesten Werke. Jetzt ist in Wien eine kleine Sensation zu sehen: Bereits zwei Jahre zuvor entstandene Fotografien, in denen die damals junge Studentin ihren Platz in der Welt auslotet.

Unbekannte Werke von 1975
Wie eine alte Frau sieht sie auf der alten Aufnahme von 1966 aus. Tatsächlich ist sie da gerade erst 12 Jahre alt. „Als Kind habe ich mich verkleidet, um hässlich und alt und wie ein Monster auszusehen.“ Damals habe sie bloß gespielt, erzählt Cindy Sherman. Ab 1975 auf dem College in Buffalo dann „habe ich das Gleiche mit Make-up gemacht.“ Bisher waren diese frühen Fotografien nahezu unbekannt, der Anfang ihres Werkes wurde auf die Untitled Film Stills von 1977 datiert. Die umfassende Ausstellung in der Wiener Vertikalen Galerie des Energieunternehmens Verbund korrigiert dies nun: Bereits 1975 beginnt ihr Spiel der tausend Verwandlungen, durch das sie zu einem der Superstars des weltweiten Kunstmarktes geworden ist.
Modell und Fotografin in einem, lichtet sich Sherman wieder und wieder per Selbstauslöser ab. „Ich konnte gut posieren,“ erklärt sie lapidar all die täuschend echten Kostümierungen: die großartigen 23 Bilderschritte von der biederen Brillenträgerin bis zur aufreizenden Femme Fatale von 1975; in der „Bus Rider“-Serie von 1976 als pickeliges Mädchen, dann als Hausfrau oder als kesse Schwarze, später als bildschönes Cover-Girl und als Stummfilmstar, als Butler, als Detektiv, sogar als Leiche und nackt.

50 Frühwerke angekauft
50 dieser Frühwerke kaufte die Sammlung Verbund unter der Leitung von Gabriele Schor jüngst an. Etage um Etage schreiten wir in den „Galerie“-Gängen der Hauptzentrale des Konzerns an diesen Bildern entlang. Viele Werke sind erstmals überhaupt ausgestellt, wenige kennt man als einzelne Edition, die wir hier als Teil einer ganzen Reihe wieder erkennen, andere wie die Cut-Outs sind eine Sensation: Zwei Jahre lang arrangierte Sherman diese ausgeschnittenen Papierpuppen auf Wänden, schlüpft in die Rolle einer Elfe mit Flügeln, konfrontiert das zarte Wesen mit einem übermächtigen Riesen und inszenierte die Cutouts für fantastische Kurzfilme. Mit dem Ende ihres Studiums in Buffalo und dem Umzug nach New York im Sommer 1977 endet diese künstlerische Ausdrucksform.
In all diesen frühen Werken greift Sherman Stereotypen auf, die sie in Kinderbüchern, Magazinen, TV und Filmen, aber auch bei ihren Beobachtungen auf der Strasse fand. „Ich war auf der Suche nach meiner Persönlichkeit,“ erklärt sie ihr Spiel mit Identitäten. Lange habe sie diese frühen Bilder aber als „naive Studentenarbeiten“ empfunden. Vor drei Jahren begann Schor gemeinsam mit der Künstlerin, das Frühwerk 1975-77 für den jetzt im Hatje Cantz Verlag erschienenen, 370 Seiten umfassenden Catalogue Raisonné aufzuarbeiten. Mit der ausführlichen Publikation und der Ausstellung wird jetzt nicht nur die Datierung revidiert, sondern auch das Moment der frühen künstlerischen wie persönlichen Identitätssuche betont.

veröffentlicht in: NZZ, März 2012
Cindy Sherman, That´s Me – That´s Not Me. Cindy Sherman frühe Werke, Sammlung Verbund, Vertikale Galerie am Hof, Wien, 27.1.-16.5.2012