„Kelet“, Osten, ist der Titel des heurigen Galerienfestivals curated by – eine Antwort auf die ungarische Avantgardezeitschrift „Nyugat“, Westen, der 1920er Jahre. Zeugt der damalige Titel von einer klaren West-Orientierung, so soll jetzt der Blick gen Osten gerichtet werden. Ein ähnlicher Schwerpunkt prägte bereits 2011 das Festival, damals hieß es „East by South-West“ und thematisierte die Gegenwartskunst aus Ost- und Südosteuropa. Diesmal wird keine geographische Kunstszene beleuchtet, sondern unsere Vorstellungen des Ostens herausgefordert. Dafür luden 24 Galerien jeweils einen Kurator ihrer Wahl ein, die insgesamt 127 Künstler aus 21 Ländern präsentieren. Enstanden ist ein faszinierender Kunstparcours durch die Galerien, wenn etwa das Kuratorenduo Elisa R. Linn & Lennart Wolff in der Galerie Layr „Kelet“ durch die – ähnlich komplexe und abstrakte – Metapher des Stoffs ersetzen. In ihrer wunderbaren Ausstellung führen sie viele Fäden zusammen, hier treffen die Stoffentwürfe der UDSSR-Chefdesignerin Anna Andreeva auf die parapsychologische Landschaft von Jordan Martin/Hell und die filigranen, magisch wirkenden, auf aufgeschütteter Erde ruhenden Skulpturen der Musikerin Melika Ngombe Kolongo. Crone Wien präsentiert ausschließlich Kunst aus der Ukraine, die sich mit der Überlagerung von Bildern und Informationen beschäftigt.
Andere curated by-Kuratoren gerieten angesichts des Themas in spannende Assoziationsstrudel wie der spanische Künstler Asier Medizabal in der Galerie Martin Janda. Er setzt Kelet, also Osten gleich Orient, was ihn zu Reorient(ierung) führt, wo er an Routen und zuletzt an Linien denkt und alles in seiner facettenreichen Gruppenausstellung wieder zusammenbringt. Bei Meyer Kainer konzentriert sich der tschechische Kurator Karel Cisar auf die schottische Künstlerin Lucy McKenzie, die uns mit einer Schaufensterpuppe empfängt. Ihr Kleid entstand nach einem Entwurf der französischen Designerin Madeleine Vionnet aus den 1920er Jahre, ihr Kopf zitiert die russische Partisanenkämpferin Zoya Kosmodemyanskays. Moderevolution versus Befreiungskampf? Cisar spricht von einem „phantasmagorischen Raum“, in dem Gegensätze zusammenfinden, eben auch Ost und West. Nicholas Tammens in der Charim Galerie verzichtet gänzlich auf das zentrale Thema und startet stattdessen bei Pierre Klossowskis Theorie des menschlichen Körpers als Tauschobjekt, was er sehr offen, bis hin zu Georg Herolds legendären Kavierbildern weiterdenkt. In der Christine König Galerie lernen wir dank der ungarischen Kuratorin Rona Kopczyk den 1939 geborenen Neo-Avantgardist Endre Tót kennen, der mit seinen konzeptuellen Werken voller Humor und Schärfe auf gesellschaftliche Situationen reagierte. Nebenan in der Galerie Gabriele Senn thematisiert Kurator Maximilian Geymüller unter dem Titel „Café del Mar“ „Grenzen und deren Auflösung“ – wunderbar, wie das vorgegebene Thema Kelet als Klammer und nicht als Korsett genutzt wird! Und dabei ganz nebenbei ein „Netzwerk jenseits der Regierungsebenen“ bildet, wie es Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler bei der Pressekonferenz zusammenfasste.
Curated by, 9.9.-8.10. in 24 Galerien bei freiem Eintritt
veröffentlicht in: Die Presse, 11.9.2022