Das Auge trinkt mit – 200 Jahre Lobmeyr im MAK

01. Sep. 2023 in Ausstellungen

MAK Ausstellungsansicht, 2023. GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr, MAK Ausstellungshalle. © MAK/Georg Mayer

Wunderschöne Glasgefäße im Halbdunkel des Museum für Angewandte Kunst MAK in Wien erzählen die Geschichte eines einzigartigen Unternehmens: die Firma J. & L. Lobmeyer, seit 200 Jahren Händler, später auch Produzent von  Meisterwerken in Glas. 

Die Decke dicht behängt mit üppigen Lustern, verzierte Spiegel an der Wand, auf den riesigen Tischen pyramidenförmig eng beisammen die prächtigsten Glasgefäße gruppiert – so präsentierte sich die Firma J. & L. Lobmeyr vor 150 Jahren auf der Wiener Weltausstellung. Was 1823 als einfaches Handelshaus begonnen hatte, war da bereits Produzent hochwertiger Glaswaren. Als k. & k. Hoflieferant fertigten sie Kristall-Luster für das Schloss Schönbrunn, für die bayrischen Königsschlösser, den König von Siam, den spanischen, den griechischen Hof an. Bis heute verkauft die österreichische Glasmanufaktur ihre Schätze im Stammgeschäft auf der Wiener Kärntnerstrasse nahe des Stephansdoms an weltweite Kunden. Unter dem Titel „Glanz und Glamour“ verzaubern jetzt rund 300 Lobmeyr-Trinkgläser, Pokale und Luster aus der Zeit des Historismus bis heute für drei Monate die Räume des Museums für Angewandt Kunst (MAK).

Präsentation der Firma Lobmeyr auf der Wiener Weltausstellung, 1873. © MAK

Es ist eine Feier zum 200jährigen Firmenjubiläum – aber wieso im Museum? „Lobmeyr und das MAK gehören zusammen“, erklärt MAK-Kurator und Glasspezialist Rainald Franz. Denn Ludwig Lobmeyr, der von 1829 bis 1917 lebte, war von Anfang an dem Museum eng verbunden. Er verwendete Museumsobjekte als Anregungen für seine eigenen Entwürfe, nutzte die Künstlerkontakte für Auftragsarbeiten, war Mitbegründer und Förderer, 1874 sogar „Curator“ des Museums und erweiterte mit großzügigen Schenkungen die Sammlung. Ende des 19. Jahrhunderts überließ er dem Haus insgesamt 18 Bände mit Zeichnungen seiner eigenen Entwürfe. Immer wieder fanden im MAK Gratulationsausstellungen statt. Aber früher wurde meist „der Tisch mit Glas-Servicen gedeckt“, wie Franz es beschreibt. Jetzt steht die Designgeschichte im Fokus – und das ist ein einzigartiges Kapitel österreichischen Kunsthandwerks. Das beginnt bereits mit den ersten hauchdünnen Gläsern aus Mousselin-Glas – benannt nach dem feinfädigen Gewebe. Auf eine Stärke von maximal 1,1 mm geblasen, setzte Ludwig Lobmeyr damit schon 1856 einen eleganten Gegenentwurf zu den schweren bömischen Weingläsern. Immer wieder suchte er die Zusammenarbeit mit Künstlern und Erfindern, 1882 entwickelte er zusammen mit Thomas Edison einen der ersten elektrifizierten Luster für die Wiener Hofburg. Sein Neffe Stefan Rath führte das Unternehmen dann in die Moderne: Die tulpenförmigen Weingläser von Josef Hoffmann aus 1917 oder das Bar-Service No. 248 mit Diamantschliff im Boden von Adolf Loos aus 1931 gehören bis heute zu den erfolgreichsten Serien, und das bei Preisen pro Glas weit über 100 Euro.

MAK Ausstellungsansicht, 2023
GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr
MAK Ausstellungshalle
© MAK/Georg Mayer

1938 musste Rath wegen eines ungarisch-jüdischen Familienzweiges abtreten. Über die Zeit im Dritten Reich gebe es kaum Dokumente in ihrem Archiv, erzählt sein Enkel Peter Rath während des Ausstellungsrundgangs im MAK: Ein Teil sei 1948 in der Filiale im tschechischen Karlsbad beschlagnahmt worden. Seit 2010 kümmert er sich um das Familienarchiv. Produzieren durfte das Unternehmen in der Nazi-Zeit nur staatsnahe Aufträge, „von der Reichskanzlei abwärts“, wie er sagt. 1945 sei das Unternehmen fast am Ende gewesen, ab 1955 seien Luster-Aufträge für große US-amerikanische Kaufhäuser und japanische Konzertsäle gekommen. Ab Mitte der 1960er Jahren expandierten sie in den arabischen Raum mit Leuchten für – teils von ihm entworfene – Moscheen, sogar für den König von Afghanistan – der häufiger für ärztliche Betreuungen in Wien gewesen sei, wie Peter Rath erzählt. 1963 entwarf sein Vater Hans-Harald Rath, der das Unternehmen in vierter Generation leitete, den legendären „Starbust“-Luster für das Auditorium der Metropolitan Opera New York. Der erste Entwurf, das zeigt uns eine Fotografie in der MAK-Ausstellung, war aus einer Kartoffelform und Zündhölzern gebastelt, um die aus dem Zentrum herausschießenden Leuchten-Explosion zu visualisieren. Es ist einer der ersten Entwürfe, der die hängenden Glühbirnen mit den aufgerichteten Kerzenformen kombiniert. Bis heute beeindruckt der Luster die Besucher, der seit 2008 auch trotz des Preises von fast 22.000 Euro zu den Bestsellern von Lobmeyr gehört.
Nach dem Tod seines Vaters übernahm Peter Rath mit seinen Brüdern das Unternehmen, das jetzt in sechster Generation von Leonid Rath (Glaswerkstätte), Johannes Rath (Lusterwerkstätte) und Andreas Rath (Geschäft in der Kärntnerstrasse) geleitet wird. Auch jetzt wird noch mit Architekten und Designern zusammengearbeitet, mit dem Modeschöpfer Helmut Lang, dem Graphikdesigner Stefan Sagmeister oder dem Design-Duo Polka, deren Service in Wien für Staatsbankette verwendet wird. „Wir bekommen regelmäßig Anfragen von Entwerfern aus aller Welt“, erzählt Johannes Rath stolz.

MAK Ausstellungsansicht, 2023. GLANZ UND GLAMOUR. 200 Jahre Lobmeyr. © MAK/Georg Mayer

Wie aber kann man eine derartig lange, hochkarätige Designgeschichte in Szene setzen, ohne dass sich die Entwürfe allzu sehr konkurrenzieren? Dafür durchforstete Co- und Gastkuratorin Alice Stori Liechtenstein die Sammlung, die über 2000 Objekte der Glasmanufaktur umfasst. Die Bloggerin, Designerin und Veranstalterin von „Schloss Hollenegg for Design“ in der Steiermark entschied sich gegen eine chronologische, stattdessen für eine „intuitive“ Abfolge, wie sie es nennt, mit einer gezielten Mischung von Stilen, Verarbeitungstechniken, Materialinnovationen und DesignerInnen. Das beginnt zunächst in einem dunklen Spiegelkabinett mit den von Hans Harald Rath 1952 entworfenen, hauchdünnen Trinkbechern No. 267 namens „Alpha“, die beleuchtet sind von Josef Hoffmanns mächtigen, 1914 in Köln gezeigten Kristallluster. Peter Rath nennt die „Alpha“-Serie „alltägliche Gläser“, die anders als die prunkvollen Stücke stapelbar sind – ein exklusiver Alltag bei über 50 Euro pro Stück! Funktionalität und Erfolgsgarantie seien nie entscheidend gewesen bei all den Entwürfen, betont er: „Mein Opa hat immer gesagt: Zeichne mit dem Zeichenstift und nicht mit dem Rechenstift!“

Trinkservice No. 267 Alpha. Entwurf: Hans Harald Rath, 1952 © J. & L. Lobmeyr

Im zweiten Raum folgen Dokumente, Fotografien und Zeichnungen, um dann im großen Saal all die wunderschönen Gefäße auf niedrigen, dunklen Glastischen zu zeigen. Anders als auf der Fotografie der Weltausstellung 1873 jetzt äußerst reduziert, sind sie „wie Kunst“ ausgestellt, wie Kuratorin Liechtenstein erklärt. Darüber erstrahlt eine Ballung schönster Luster die Szenerie. Sie sei fasziniert von der handwerklichen Präzision und der Zeitlosigkeit vieler Entwürfe, deren Formen immer wieder aufgegriffen werden und uns auf eine Zeitreise der Stile mitnehmen, sagt Liechtenstein. Die Perfektion der Formen stecke dabei in der Kontur, darum „spielen wir mit den Reizen, wenn Glas ins Licht gesetzt wird“. Kurator Frank sieht die Faszination von Lobmeyr Produkten in „höchster Qualität und Entwürfen, die nie den Bezug zur Tradition verloren haben und darin zeitlos bleiben“, wie er beim Rundgang erklärt. Darin ahnt Unternehmensleiter Leonid Rath auch die Zukunft des Betriebs: „Es ist in den letzten Jahren schön zu beobachten, dass unser Glas fast nur für den Gebrauch und nicht für die Vitrine gekauft wird. Es darf auch wieder Dekor sein, daher bauen wir aktuell unsere Glasschleiferei und Gravur im dritten Wiener Bezirk auf die doppelte Fläche aus.“ Denn das Trinkerlebnis sei nicht nur die Qualität des Getränks, sondern auch die Haptik und Optik: „Das Auge trinkt mit!“

Glanz und Glamour, 200 Jahre Lobmeyr, 6.6.-24.9.2023, MAK
veröffentlicht in: NZZ, 8.7.2023