David Zink im MAK Wien

13. Okt. 2010 in Ausstellungen

Es ist David Zink Yis erste Einzelausstellung in Wien – und die ist geprägt von: Erstaunen. Sind wir noch im Museum für angewandte Kunst? Oder ist es womöglich mit dem Naturhistorischen Museum fusioniert? Ist das, was wir da sehen, ein Kunstobjekt, ein Sammlungspräparat oder gar etwas Lebendiges? Schließlich liegt der riesige Tintenfisch mitten im Raum in einer Wasserlache. Jeden Tag muss in der MAK-Galerie ein Eimer über ihm ausgeleert werden. Denn der Kalmar will schwimmen – zumindest symbolisch. Sechs Meter lang ist der bleigraue Architeuthis, die zehn Arme ineinander geschlungen, der ovale Körper schlaff eingefallen. Er ist im Museum gestrandet.
Der Architeuthis ist ein Urtier unserer Meere, das man noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts nur aus Legenden und Mythen von Seeleuten kannte. Zwar sind mittlerweile einige dieser bis zu zehn Meter langen Tiere gefangen oder angeschwemmt worden, aber noch immer ist wenig über ihr Verhalten in den Tiefen des Ozeans bekannt. Solch ein Riesenkalmar also liegt in der Galerie im MAK, geschaffen von David Zink Yi. Rundum an den Wänden hängen drei großformatige Fotografien von Zedern, aufgenommen bei Nacht, die Baumkronen dramatisch beleuchtet. Sind wir nun also doch in einem Naturkabinett? Betätigt sich der Künstler hier als Forscher?
Manganese Make My Colors Blue“ nennt David Zink Yi die Ausstellung. Das klingt kryptisch-absurd, doch tatsächlich bezieht sich der Titel auf den Produktionsprozess dieser Schau. Der Riesenkalmar ist nämlich ein Kunstobjekt, geschaffen nicht aus Blei, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sondern aus Keramik, die mit Kupferoxid beschichtet und abschließend mit Blei glasiert wurde. David Zink Yi hat das Tonmaterial mit Mangan angereichert, wodurch sich die Keramik eigentlich braun färben sollte. Aber man habe kaum Kontrolle bei dem „alchimistischen Prozess“ der Keramik-Produktion, erklärt we. So spielt der Titel also auf die Macht der Zufälle an, auf die Unkontrollierbarkeit reaktiver Verfahren, ja, letztlich des Schöpfungsvorgangs an sich.
Und auch hier wieder: Erstaunen. Denn die Beschäftigung mit Fragestellungen im Grenzbereich zur Naturwissenschaft, das Anknüpfen an vormoderne Weltordnungssysteme, wie sie etwa die Kunst- und Wunderkammer bereitstellt, die Reflexion von Schaffensprozessen stellen eine unerwartete Wendung im Werk David Zink Yis dar. Stand doch bis vor Kurzem noch seine multikulturelle Herkunft im Zentrum seines Œuvres, wenn er etwa das Haus seiner italienischen Großmutter, die nach Peru auswanderte, fotografiert und auf Erinnerungsrelikte an die europäische Heimat befragt (Roma 395, 2006) Wenn er den Eigenheiten seines Geburtslands nachspürt und in Huayno y fuga detras (2005) den Markt von Huayno in den peruanischen Bergen durch die Saiten eines Musikinstruments filmt, begleitet vom Sound der Musik. Oder wenn in dem Video Dedicated to Yi Yen Wu (2000) das gemeinsame Kochen zur interkulturellen Begegnung und zum Anlass wird, über das Leben zu philosophieren.
David Zink Yi kam mit 16 Jahren nach Deutschland, machte eine Ausbildung als Koch, anschließend als Holzschnitzer in München, bis er dann bei Lothar Baumgarten in Berlin Kunst studierte – diese Eckdaten spiegeln sich deutlich in den früheren Arbeiten wider. Im Anschluss an diese autobiographische Spurensuche spielte Zink Yi zuletzt mit Materialtransformationen und präsentierte ein Surfbrett in Marmor, Palmen aus Aluminium oder Kopffüßer aus Porzellan. Jetzt also Riesenkalmare aus Keramik – kombiniert mit Fotografien von Zedern? Was verbindet die Bäume mit dem Urtier? Tatsächlich hat Zink Yi die Zeder so fotografiert, dass die bizarren Äste als unheimliche Formen erscheinen, die mit den Fangarmen des Kalmars konkurrieren können und uns bedrohlich aus der Tiefe des dunklen Raums entgegenkommen. Ihn interessiere die Grenzerfahrung, so David Zink Yi, und diese sucht er hier an dem Punkt, an dem das Licht, die Sichtbarkeit weicht und Platz schafft für Angst, Fantasie und Geistergeschichten.
Es sind „Bilder des Unbewussten“ (Zink Yi), die wir in dieser ebenso reduzierten wie faszinierenden, atmosphärisch dichten Ausstellung im MAK sehen: Bilder, die aus dem Dunklen kommen, in denen sich ein Etwas kurz zeigt – und bald darauf wieder neue Formen annehmen kann. Nichts hier ist, was es auf den ersten Blick scheint; Material, Gestalt, Sichtbares sind trügerisch, wandelbar und flüchtig. Vielleicht ist dies auch eine existenzielle Aussage. In jedem Fall aber hat Zink Yi die leidliche Suche nach der eigenen, kulturellen Identität in eine weit größere Suche umgelenkt – in die Suche nach kollektiven Bildern und kollektiven Ängsten, die irgendwo in uns allen schlummern.

veröffentlicht in: www.artnet.de, 13.10.2010

David Zink Yi, Manganese Make My Colors Blue  – MAK-Galerie im MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst, Wien. Vom 6. Oktober 2010 bis 6.März 2011