Gegen Ende seines Lebens galten seine Bilder als gestrig, hässlich und sogar amateurhaft. Der Farbauftrag war ungewohnt grob, die Landschaften und Menschenstudien zu sehr nach der Natur gemalt, die Porträts zu ungenau. Rembrandts Spätwerk entsprach nicht der ästhetischen Mode des 17. Jahrhunderts.
Auch sein Privatkonkurs 1656 und damit verbunden der Verlust seines Hauses, seiner Wunderkammer-Sammlung, noch dazu die wilde Ehe mit Hendrickje trugen dazu bei, dass Rembrandt zuletzt kaum noch Aufträge erhielt.
Bis in das 19. Jahrhundert hinein hielt sich diese Missachtung, sogar Kunsthistoriker verurteilten lange den Stil seines Spätwerkes. Manche Künstler allerdings verehrten gerade diese Bilder, in denen die Hände oft nur angedeutet, die Farbe des Gewandes radikal mit einem Spachtel aufgetragen ist und mit dem spitzen Ende des Pinsels kurze Striche brutal in die Leinwand geritzt sind. Zehn Jahre seines Lebens wollte Vincent van Gogh dafür geben, zwei Wochen vor einem einzigen Bild sitzen zu können, schrieb der Impressionist in einem Brief. Er sprach von dem Ölgemälde „Die jüdische Braut“, das jetzt zu den Höhepunkten einer einzigartigen Ausstellung im Rijksmuseum Amsterdam gehört: der „Späte Rembrandt“.
Es umfasst 40 Gemälde, 20 Zeichnungen und 30 Drucke von 1651 bis zu seinem Tod 1669 – durchwegs Werke, die zweifelsfrei von dem Meister und nicht von einem seiner zahlreichen Schüler stammen. Es ist die erste Ausstellung, die ausschließlich dieses zunächst abgelehnte Spätwerk zeigt – und es ist eine einmalige Gelegenheit, die unglaubliche Aktualität, die atemberaubende Experimentierfreudigkeit dieses Meisters des Goldenen Zeitalters sehen zu können.
Rembrandt van Rijn, 1606 in Leiden geboren, kam 1631 nach Amsterdam und machte sich dort schnell einen Namen als Porträtist. Schon acht Jahre später kaufte er ein Haus für enorme 13.000 Gulden – das durchschnittliche Jahresgehalt lag damals bei 200 Gulden. 1642 beendete er seinen bis dahin wichtigsten Auftrag, ein Gruppenportrait der Bürgerwehr mit 18 Schützen und weiteren 16 Figuren. Aber die „Nachtwache“ war kein Erfolg. In der „Hermitage Amsterdam“, der 2009 eröffnete Ableger der Eremitage St. Petersburg, sieht man die „Nachtwache“ jetzt als animierte Videoprojektion zwischen den damals üblichen Gruppenportraits.
Man ahnt die Enttäuschung der Auftraggeber: Statt das jeder idealisiert und heroisch, vor allem deutlich erkennbar ist, malte Rembrandt eine Bildgeschichte, in der manche Schützen nur angedeutet in der dritten Reihe hinten landeten – und dafür hatte jeder Schütze die hohe Summe von 100 Gulden gezahlt.
Danach erhielt er ein Jahr lang keinen einzigen Auftrag mehr. War es die Kritik an der „Nachtwache“, der Tod seiner Ehefrau Saskia oder der Druck des Kunstmarktes, bei zunehmender Konkurrenz einen eigenen Stil zu entwickeln, jedenfalls beginnt Rembrandt seine Malerei bald radikal zu verändern. Der „Späte Rembrandt“ setzt 1651 ein und endet mit „Simeon im Tempel“, an dem er bis zu seinem Tod 1669 arbeitete. Er malt die Porträtierten in historischen Kostümen, arrangiert Objekte rundherum, um eine Geschichte zu erzählen, scheut in seiner naturalistischen Darstellung nicht vor wenig vorteilhaften Details zurück und sucht zunehmend, Emotionen und innere Konflikte darzustellen.
Vor allem aber bezieht er die Betrachter durch drastische Kompositionen in die Bilder ein, wenn der dicke Bauch im „Bildnis eines älteren Mannes“ (1667) fast aus dem Bild fällt, wir Isaaks überaus intime Berührung seiner Braut Rebekka in der „Jüdischen Braut“ (1665) voyeuristisch mitansehen oder in „Die Staalmeesters“ (1662) der Vorsteher der Amsterdamer Tuchmacherzunft sich gerade erhebt, als würden wir störend den Raum betreten. Solche Bilder muss man im Original sehen – wie grob und darin so dynamisch Rembrandt den Akt des Handschuh-Anziehens im „Bildnis von Jan Six“ (1654) anlegt!
Die Ausstellung war zuvor in der National Gallery in London zu sehen. In Amsterdam sind vier zentrale Gemälde hinzugekommen, darunter auch jenes von Jan Six, das bis heute als einziges Werk Rembrandts in der ursprünglichen Familiensammlung verblieben ist und von Jan Six XI. ausgeliehen wurde. Anders als in London kann man in Amsterdam noch dazu die Originalorte besuchen, an denen Rembrandt lebte, arbeitete und für die er Werke schuf. 1661 war er beauftragt worden, für das Rathaus „Die Verschwörung des Claudius Civilis“ zu malen. Es wurde kurz aufgehängt – und dann abgelehnt. Heute ist es mittels einer Projektion wieder am geplanten Ort. Während rundherum die übrigen Künstler den Aufruf zur Revolte im Stil heroischer Historienmalerei darstellen, ist Rembrandts Werk selbst eine Revolution: Er setzt die Männer an einen Tisch in einer Gewölbehalle – genial, wie er uns über Stufen in das Bild hineinführt!
Später wurde das Bild massiv beschnitten. Das nur noch auf die Tischrunde reduzierte Fragment hängt jetzt im Rijksmuseum und wir können ahnen, wie entsetzt die Auftraggeber damals gewesen sein müssen: Claudius fehlt ein Auge und auch die anderen Männer sehen aus wie eine wilde Horde von Barbaren. Heute bewundern wir es als großartiges Gemälde, frech, in unerhört malerischer Freiheit. Rembrandt zahlte damals einen hohen Preis dafür, er starb völlig verarmt – aber an dem Weg seiner künstlerischen Revolution hielt er bis zuletzt fest.
Während der Ausstellung (bis 17.Mai 2015) steht übrigens Amsterdam ganz im Zeichen Rembrandts: Rembrandts ehemaliges Haus, das 1906 vom Staat zurückgekauft wurde, ist alles perfekt renoviert. Der Eingangsraum diente ihm als Galerie, wo er eigene, aber auch von anderen ersteigerte Werke verkaufte.
Seine Küche, sein Druckwerkstatt,
sogar seine Wunderkammer-Sammlung sind weitgehend rekonstruiert und man bekommt einen hervorragenden Eindruck, wie Rembrandt seine gewagten Kompositionen schuf:
Die Wunderkammer-Objekte dienten ihm als Anregungen für seine Bilder und oben im großen Atelier unterrichtete er seine Schüler, von denen 14 namentlich bekannt sind. Einige ihrer Werke sind in der Ausstellung „Rembrandt´s Late Pupils“ im angrenzenden Haus ausgestellt. Eine Stadttour führt zu 16 Orten, an denen Rembrandt gearbeitet und gelebt hat, und die Old Amsterdam Food Tour gibt einen Einblick in die Küche des Goldenen Zeitalters.
Zur Zeit Rembrandts wurde das Rathaus mitten in Amsterdam gebaut, heute dient es als Königlicher Palast.
Die meiste Zeit im Jahr kann es als Museum besucht werden, zu königlichen Empfängen werden dann die Absperrungen weggeräumt und sämtliches Mobiliar – das noch Original ist – regulär benutzt. Auch das Bett:
Der späte Rembrandt, Rijksmuseum Amsterdam, bis 17. Mai 2015
veröffentlicht in kürzerer Form: Die Presse, 16.2.2015