Die große Glasfassade ist entfernt, der Holzboden mit Folien abgedeckt, die Räume geflutet: die Fondation Beyeler ist in einen Teich verwandelt. Besucher wandern auf Holzstegen durch die Räume, fotografieren die gemeinen Pflanzen, die Zwergseerosen, Muschelblumen und Wasserfarne. 10 Zentimeter hoch steht das Wasser hier, giftgrün wabbert es vom Park bis in den letzten Winkel. Was für ein Kontrast zu den perfekten, weißen Wänden und dem rigorosen Grundriss rechteckiger Räume! Noch dazu die surreale Farbe! Die
entsteht durch Uranin, ein umweltverträgliches Natriumsalz, mit dem Wasserverläufe auf Gletschern nachverfolgt werden können. Hier ist es das perfekte Mittel, um die Idylle zu brechen: tags leuchtet es grell, nachts fluoreszierend.
Denn nicht der dekorative Teich, sondern unser Verhältnis zur Welt steht zur Debatte. Life“ nennt Olafur Eliasson seinen radikalen Eingriff, den er in einem persönlich gehaltenen Text umschreibt: Sein Werk und damit auch die Fondation werde „mit dem umliegenden Park, der Stadtlandschaft, ja dem ganzen Planeten verwoben“, es sei ein „Modell für eine Landschaft der Zukunft, die gastfreundlich ist“. Life ist Tag und Nacht geöffnet. Wenn die Menschen am Abend weniger werden, kommen die Enten und schwimmen durch die Räume. Denn die Gastfreundschaft richtet sich ausdrücklich nicht nur an ein Menschenpublikum, sondern an alle Lebewesen, an Frösche, Fledermäuse, an Insekten, Pflanzen bis zu Mikroorganismen. Er wollte „nicht nur die Tür öffnen, sondern die strukturellen Grenzen sprengen, die das Draußen vom Drinnen treffen“ – und das kann man durchaus auch im übertragenen Sinn verstehen: Nichts und niemand bleibt in seiner Ausstellung ausgesperrt. Und nichts unterliegt mehr einer Kontrolle.
Damit hat der dänisch-isländische Superstar ein zauberhaft-schönes Werk geschaffen, das dazu alle angesagten Themen vereint: Klimawandel mit steigendem Meeresspiegel, nicht-menschliche Kommunikationsformen, Chronobiologie bis zu NatureCulture, was die Untrennbarkeit von Natur und Kultur bezeichnet. Kernpunkt aller Themen ist das Konzept, unsere menschenzentrierte Weltperspektive aufzubrechen – ein Anspruch, dem wir zunehmend in Ausstellungen und Biennalen begegnen. Denn unsere Idee, der Mensch sei die Spitze und der Herrscher der Schöpfung, ist passé. So sprechen etwa die Kuratorinnen der aktuellen, südkoreanischen Gwangju Biennale davon, die „Hierarchie des Wissens“ sei erschüttert, da „die planetarischen Kräfte ein Umdenken in Richtung eines kommunalen Geistes erzwingen“. Während dort auch Projekte von Ahnenkult bis zu Heilsystemen dazugehören, konzentriert sich das Migros Museum in Zürich mit der aktuellen Ausstellung „Potential Worlds 2: Eco-Fictions“ auf eine wissenschaftliche Weltsicht. Der erste Teil hatte „Planetary Memories“ bzw. den Zusammenhang von Macht und Ressourcen zum Thema, jetzt stehen Visionen für andere Welten und neue Lebensformen im Zentrum. Zu den mehr als zwanzig KünstlerInnen gehört auch Pinar Yoldas. Sie nutzt ihre Ausbildung in Neurowissenschaft, Biologie und Architektur, um die Wechselwirkungen zwischen kulturellen und biologische Systemen zu untersuchen und fiktive Organe, Organismen und Spezies zu entwickeln – „spekulative Biologie“ nennt sie ihre Projekte wie das „Ecosystem of Excess“, wo sie mit Objekten Lebensformen vorschlägt, die sich aus den plastikvermüllten Meeren entwickeln könnten.
Weitaus purer legt es Eliasson mit Life an. Er kommt ohne Mystik und Fiktion aus. Stattdessen verwebt er Hinweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse mit seinem zunächst so unschuldig erscheinenden Projekt. Mit jeder Seite seines Textes wird Life vielschichtiger. Zentral dabei ist eine biozentrierte Perspektive – mit der er auch das Leben betrachte, wie er betont. So versuche er beim Gang durch seine Ausstellungen „zu baumen“, „um mir Perspektiven sichtbar zu machen, die über das hinausgehen, was wir Menschen uns eigentlich vorstellen können.“ Über einen Link auf der Internetseite der Fondation Beyeler kann man mithilfe optischer Filter nicht-menschliche Ansichten der Ausstellung sehen, als Infrarotbild oder auch zerteilt in Mengen einzelner Fragmente.
Einen weiteren Pfad zeigt er mit einem Zitat der Kognitionswissenschaftlerin und Poetin Pireeni Sundaralingam auf: „Wo verlaufen die Grenzen, die ein einzelnes Leben umreissen?“ fragt Sundaralingam, immerhin bewegen „wir zwei Pfund Bakterien in unserem Körper“, die von unterschiedlichen Begegnungen stammen. Sie kommt zu dem Schluss: „Wir sind nie allein.“ Sam Keller, Direktor der Fondation Beyeler, nennt Life denn auch ein „kollektives Experiment“, das die Grenzen zwischen Kunst, Natur, Institution und Leben „zerfließen“ lässt – wie radikal Eliasson ein uns so geläufiges Element wie der Teich als Sinnbild eines künstlich angelegten Stillgewässers jetzt völlig neu bestimmt hat!
veröffentlicht in: Die Presse, 30.4.2021
Olafur Eliasson, Life, Fondation Beyeler, Basel, 18.4.-11.7.2021