Der Tod lebt – Totenköpfe in der Kunst

12. Nov. 2007 in Ausstellungen

Damien Hirst, Hallucinatory Head, Auflage 50, 36.800,- BP

Damien Hirst, Hallucinatory Head, Auflage 50, 36.800,- BP

Haben wir es übersehen? Hätte es uns letztes Frühjahr auf der Berlin Biennale bereits klar werden müssen? Ist dieses bisher namen- und kennzeichenlose erste Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende die Zeit einer „allgegenwärtigen Furcht“, wie das Berliner Team im Vorwort ihrer Sammlung morbid-trauriger Geschichten schreibt? Gleich zwei Ausstellungen thematisieren jetzt in Wien den Tod, mit Blick auf Bestattungen im Künstlerhaus und in der Kunsthalle Wien im lateinamerikanischen Kontext. Allgegenwärtiges Motiv: der Totenkopf in allen Jahrzehnten. Und gleich nebenan geht es weiter, keine Schaufensterauslage ohne nackte Schädel. Modehäuser wie Dior oder Lagerfeld hatten es schon vor zwei Jahren erkannt, seither wird damit alles bedruckt, was sich verkaufen lässt, von Taschen über T-Shirts, Gürtelschnallen bis zu Kindersocken.
In den 70er Jahren im Punk als Ausdruck für Rebellion und Respektlosigkeit entdeckt, vom Gothic Punk als Sinnbild für Todessehnsucht und Düsternis gefeiert, beherrschen diese nackten Schädel mittlerweile unseren gesamten Alltag.

Erwin Wurm

Erwin Wurm

Dieses Jahr dann ist diese motivische Gleichschaltung auch in der Kunst angekommen. Ob im Sommer in Venedig vor dem Palazzo Grassi die riesige Aluminium-Töpfe-Skulptur des indischen Künstlers Subodh Gupta, im Arsenale im Video Paolo Canevaris, in dem wir ein Kind mit einem menschlichen Schädel Fußball spielen sehen, die mit venezianischer Maske dekorierte Miniaturausgabe im deutschen Biennale-Pavillon von Isa Genzken, Damien Hirsts Medienspektakel in Form seiner 74 Mio. Euro teuren, diamantenbestückten Super-Luxus-Ausgabe, Schädel mit Banane von Erwin Wurm oder das kryptische Vitrinen-Arrangement von Douglas Gordons zur diesjährigen Frieze Kunstmesse – jedem Künstler ein Totenkopf.

Pieter Claesz

Pieter Claesz

Das ist desolat. Das ist mehr als eine Krise. Das ist die absolute Niederlage. Denn nicht nur, dass damit die Kunst statt neue Zeichen zu setzen fatalerweise der Mode hinterher hinkt, sondern es passiert auch noch ausgerechnet auf ihrem ureigensten Terrain. Ob als Detail am Rande wie in Tizians grandiosen Bildern, die gerade im Kunsthistorischen Museum in Wien ausgestellt sind, oder als zentrale Elemente in den Stilleben des Barock, die Totenköpfe sind als Vanitas-Symbol eines der bekanntesten Motive der Kunst. Gerade im Barock mit den Leitsätzen ´Carpe Diem´ (Nutze den Tag) und ´Memento Mori´(Gedenke des Todes) spiegeln die Künste mit solchen Symbolen das Leben zwischen Lust und Verderben. Flackernde Kerzen und Sanduhren stehen für die Flüchtigkeit der Zeit, leere Gläser und zerbrochenes Geschirr für Tod, Spiegel, Schmuck, Dosen und Uhren als Symbole für Luxus und Leben.
Zwar haben wir Heutigen das Leben und den Tod so wenig im Griff wie im Barock. Aber wir akzeptieren die Vergänglichkeit offenbar nicht mehr. Oder warum vereinigen sich jetzt die KünstlerInnen weltweit und mit der Mode in einer Schwemme nackter Schädel? Ist es die finale Einfallslosigkeit eines aufgeblähten, globalen Kunstbetriebs, der verzweifelt nach emotionsgeladenen und interkulturell anschlussfähigen Bildern sucht, eine plakative Ehrerbietung an die Neurowissenschaft oder eine Reaktion auf die „allgegenwärtige Furcht“? Mit Spiegeln beklebt, dreht sich der Totenkopf der polnischen Künstlerin Anna Konik wie eine Disco-Kugel partyfreudig an der Decke. Schädel und Spiegel stehen nicht mehr in Opposition. Im Gegenteil: Der Tod bringt Spaß.
Das Objekt ist Teil der Ausstellung „Exitus. Tod alltäglich“ im Wiener Künstlerhaus, die uns den Tod als sachlichen „Transformationsprozeß“ nahe bringen will. Die Kunsthalle Wien dagegen zeigt mit „Via la Muerte“, wie die lateinamerikanische Kultur den „Tod als Übergang versteht, mit dem man ganz normal leben kann“. Der Tod wird entfürchtet. Beim Gang durch die aktuelle Ausstellung „Fractured Figure“ der DESTE Foundation in Athen passieren wir ein Skelett, das plötzlich zu Atmen beginnt. Tim Hawkinson aus den USA hat dem Sensenmann eine Inhalationsmaschine eingebaut. Der Tod lebt.

Hawkinsons Skelett ist von 1994. Auch andere Künstler, darunter Sigmar Polke 1974 oder Andy Warhol 1976 bedienten sich dieser Motive schon früher. Aber es waren Einzelerscheinungen. Die unoriginellen Nachfolger der letzten beiden Jahre dagegen lassen vermuten, dass es sich um mehr als nur Ideenarmut handelt. Nicht nur in Damien Hirsts superlativischem Schädel trifft Vanitas auf Diamanten, die Vergänglichkeit wird mit Reichtum, der Tod durch Schönheit besiegt – für Furcht ist kein Platz vorgesehen. Für Innovationen allerdings auch nicht.

„Der späte Tizian und die Sinnlichkeit der Malerei“, Kunsthistorisches Museum Wien, bis 6.1.2008
„Exitus, Tod alltäglich“, Künstlerhaus Wien, bis 6.1.2008
„Viva la Muerte“, Kunst und Tod in Lateinamerika, Kunsthalle Wien, bis 17.2.2008
„Fractured Figure“, DESTE Foundation, Athen, bis 29.3.2008

veröffentlicht in: NZZ,
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/der-tod-lebt-1.578712
Literatur und Kunst 3. November 2007, 02:10