Während Europa im Lockdown erstarrt, hat in Taiwan gerade die 12. Taipei Biennial 2020 eröffnet. Seit der ersten Ausgabe 1992 findet die Schau im 1983 erbauten Taipei Fine Arts Museum (TFAM) statt. 57 Künstler*innen lud das Kuratorenteam (Bruno Latour, Martin Guinard und Eva Lin für Public Programs) unter dem Titel „You and I Don´t Live on the Same Planet“ ein.
Eine Reise zur 12. Taipei Biennial war und ist wohl auch in nächster Zeit unmöglich, eine kleine Bildertour mit Auszügen aus den Pressetexten aber kann einen Eindruck vermitteln. In ihrem Konzept beschreibt das französische Kuratoren-Duo die Biennale als ein „Planetarium“, in dem die Künstler*innen ihre „Anziehungskraft“ ausüben. Ziel der Biennale sei es, „unsere aktuellen geopolitischen Spannungen und die sich verschärfende ökologische Krise in Frage zu stellen, indem wir Differenzen und wechselseitige Einflüsse auf eine planetarische Perspektive untersuchen.“ Latour und Guinard: „Es gibt zunehmende Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die Welt bewohnbar gehalten werden kann, nicht nur, weil die politischen Meinungen auseinander gehen, sondern vor allem, weil wir uns nicht einig zu sein scheinen, woraus die Erde besteht. Einige denken heute vielleicht sogar, die Welt sei flach! Es ist, als gäbe es mehrere Versionen der Erde mit Eigenschaften und Kapazitäten, die so unterschiedlich sind, dass sie wie charakteristische Planeten aussehen, was zu Abweichungen in der Art und Weise führt, wie man ihre Zukunft fühlt, sich verhält und vorhersagt.“
Die 12. Taipei Biennial schlägt ein fiktives „Planetarium innerhalb des Museums vor, in dem die eingeladenen Künstler*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen die Spannungen zwischen der Anziehungskraft verschiedener ´Planeten´ untersuchen. Jeder Planet verkörpert eine unterschiedliche Version der Welt, nicht nur in Bezug auf die Repräsentation, sondern auch in Bezug auf die Materialität.“
„Das Planetarium umfasst: einen Planeten für diejenigen, die sich trotz planetarischer Grenzen unermüdlich modernisieren (Planet GLOBALISIERUNG); ein Planet für diejenigen, die sich von der Globalisierung betrogen fühlen und folglich Mauern für die Abgeschiedenheit bauen wollen (Planet SICHERHEIT); ein Planet für die wenigen Privilegierten, die sich auf dem Mars niederlassen wollen, um dem Weltuntergang zu entgehen (Planet ESCAPE); ein Planet für diejenigen, die sich eine so kostspielige Reise nicht leisten können, sondern Zuflucht in einer Umgebung suchen, die von metaphysischen Überzeugungen durchdrungen ist (Planet mit ALTERNATIVER SCHWERPUNKT); und schließlich eine für diejenigen, die sich Sorgen um die Klimasituation machen und versuchen, das Gleichgewicht zwischen der Aufrechterhaltung des Wohlstands und der Einhaltung der Planetengrenzen (Planet TERRESTRIAL) in Einklang zu bringen.“
In der Eingangshalle werden die Biennale-Besucher von Roboter-Chimären begrüßt, die der indigene Mexikaner Fernando Palam Rodriguez´ in Anlehnung an Nahua-Figuren aus Elektro- und Baumaterialien schuf.
Danach folgen die „Planeten“: Dem Thema „Planet GLOBALISIERUNG“ ist etwa das Duo des französischen Künstlers Franck Leibovici und des Rechtsanalysten Julien Seroussi zugeordnet, die in „Muzungu“ Fragen der internationalen Gerichtsbarkeit thematisieren. Jonas Staal hat die ultrarechte Propaganda von Trumps ehemaligen Chefstrategen Steve Bannon recherchiert, Chin Cheng-Te untersucht das Thema Sicherheit bzw. in Taiwan gebaute Bunker und Verteidigungsanlagen.
Zu „Planet ESCAPE“ gehört Femke Herregravens (NL) „imaginärer Panikraum“ bzw. Bunker namens „Corrupted Air – Act VI“, mit Datenvisualisierungen, Landschaftsreliefs und Bildern, die eine Prophezeiung „über die Zukunft des Last Man“ seien.
„Planet TERRESTRIAL“ – erklärt als Wege, „um Wohlstand zu erreichen und gleichzeitig innerhalb der Grenzen der Planetgrenzen zu bleiben“: Hier zeigt Yung-Ta Chang seine Eindrücke geografischer Dynamiken während eines Gastaufenthalts in der Taroko-Schlucht in Zentral-Taiwan. Stéphane Verlet-Bottero mit Margaret Shiu und Ming-Jiun Tsai suchen die „materielle Existenz der Ausstellung in Bezug auf CO2-Emissionen zu verstehen. Die Übung entfaltet sich in einem kollektiven Verständnis der notwendigen Transformation kultureller Institutionen hin zu Multispezies-Geselligkeit und radikaler Nachhaltigkeit. In Zusammenarbeit mit dem Büro für Geotechnik der Stadtregierung von Taipeh hat sich TFAM in den nächsten Jahren verpflichtet, ein großes Gebiet in Taipeh zu regenerieren, das sich auf den Schutz der biologischen Vielfalt konzentriert.“
Zum „Planet with ALTERNATIVE GRAVITY“ gehören June Balthazards und Pierre Pauzes Erkunden zum Thema Leere. Zu sehen sind auch die schwebenden Landschaften der norwegischen Marianne Morild und die – beauftragte – Virus-Serie des indigenen Taiwanesen Cemelesai Takivalet.
Taipei Biennial 2020, 21. November 2020 – 14. März 2021