Emma Hart – Max Mara Art Prize for Women

06. Nov. 2017 in Ausstellungen

Emma Hart, Mamma Mia!,2017.Collezione Maramotti / Foto Dario Lasagni

Emma Hart, Mamma Mia!,2017.Collezione Maramotti / Foto Dario Lasagni

Gut ein dutzend merkwürdiger Keramiklampen hängen im Raum. Die Lichtkegel formen riesige, leere Sprechblasen auf dem Boden. Bedrohlich kreisen Objekte unter den Lampen, Schatten von scharfen Messern, von Gabeln und Löffeln durchschneiden das Licht. Über die Wände ziehen sich blutrote Kabel in spitzen Zickzacklinien. „Mama Mia!“ nennt Emma Hart ihre Ausstellung, die nichts weniger thematisiert als menschliche Verhaltensmuster.

Emma Hart, 2017. Foto Thierry Bal

Emma Hart, 2017. Foto Thierry Bal

„In meiner Arbeit baue ich immer Beziehungen zu den Betrachtern auf“, erklärt die 1970 in London geborene Künstlerin. Hier sollen wir uns also ins Rampenlicht treten, die Leerstellen füllen – und sehen dann die krassen Ornamente im Inneren der Lampen.

Emma Hart, I WANT WHAT YOU’VE GOT, EVEN WHEN I AM ASLEEP 2017 © Emma Hart

Emma Hart, I WANT WHAT YOU’VE GOT, EVEN WHEN I AM ASLEEP
2017 © Emma Hart

Da drücken lackierte Finger auf knallrote Knöpfe, grün gefärbte Frauen scheinen in Venusfallen gefangen und die offenen Münder schematisierter Köpfe speien das Wort „Ich“ aus. Es sind emotionale Zustände, die Hart hier verbildlicht, zwanghafte Kontrolle, Eifersucht, Selbstsucht – Verhaltensmuster, wie sie in Beziehungen vorkommen.
Hart ist die sechste Preisträgerin des Max Mara Art Prize for Women, des einzigen, nur Künstlerinnen adressierenden Preis´ in Europa. Finanziert ist das italienische Modeunternehmen Max Mara. In einem Gespräch mit Iwona Blazwick, Direktorin der Londoner Whitechapel Gallery, hätten sie einmal die erschwerten Karrierebedingungen von Künstlerinnen diskutiert, erzählt Luigi Maramotti, Erbe und Firmenchef von Max Mara. „Für Künstlerinnen gibt es eine gläserne Decke“, beschreibt er die Situation. Daher hätten sie gemeinsam den Preis beschlossen, der seit 2005 zweijährlich ohne jegliche Altersbeschränkung vergeben wird. Einzige Vorgabe: Es müssen britische Künstlerinnen sein, die noch keine großen Museumsausstellung hatten. Dafür lädt Blazwick vier weitere, natürlich weibliche Juroren ein: eine Sammlerin, eine Kunstkritikerin, eine Galeristin und die Vorjahressiegerin – übrigens eine überzeugende Liste, denn darunter findet sich die Turnerprize-Gewinnerin Laure Prouvost und die heurige Turnerprize-Anwärterin Andrea Büttner. Die Jurymitglieder schlagen jeweils fünf Kandidatinnen vor, von denen nach intensiven Diskussionen sechs Künstlerinnen eingeladen werden, konkrete Projekte auszuarbeiten. Gerade wurde pünktlich zur Eröffnung von Harts Ausstellung in der Collezione Maramotti die shortlist für den 7. Preis vorgestellt, von der 1942 geborenen, experimentellen Filmerin Lis Rhodes bis zur 1988 geborenen Athena Papadopoulos, deren grotesk-intensiven Werke oft um das Thema Weiblichkeit kreisen. Sie waren alle angereist und Helen Cammock verriet schon, was sie als Gewinnerin planen würde: ein Projekt, das Film und Gesang verbindet.

Collezione Maramotti, Reggio Emilia // SBV

Collezione Maramotti, Reggio Emilia // SBV

Wie so oft ist auch dieser mit einer Ausstellung verbunden, die zunächst in der Londoner Whitechapel war und jetzt in der Collezione Maramotti bis zum 18.2.2018 zu sehen ist. Die Privatstiftung der Maramotti-Familie ist eingerichtet in der ehemaligen Fabrik von Max Mara in dem rund eine Autostunde von Bologna entfernten Städtchen Reggio Emilia. Auf zwei Etagen wird ein kleiner Teil der gewaltigen Sammlung des Firmengründers Achille Marramotti gezeigt, mit großartigen Werken der Arte Povera, aber auch von Einzelgängern wie Philip Taaffe (USA) oder Huma Bhabha (Pakistann/USA). Der 2005 verstorbene Maramotti kaufte von den meisten Künstlern über Jahre hinweg Werke an – eine Entscheidung, die auch sein Sohn Luigi weiterführt.

Luigi Maramotti // SBV

Luigi Maramotti // SBV

Darum verneint Luigi Maramotti auch mit großer Entschiedenheit die Frage, ob sie mit Kunstberatern zusammenarbeiten: „Nein, auf gar keinen Fall, wir stehen ja im engen Austausch mit den Künstlern“, erklärte er, „wir wollen die künstlerische Entwicklung verfolgen“. Wird bisweilen auch aus der Sammlung verkauft? „Nein, nie“, ist die klare Antwort. Tatsächlich ist die Sammlung eher ein Museum, in dem man perfekt die maßgeblichen Künstler und Kunstentwicklungen seit 1950 studieren kann, darunter großartige frühe Werke von Luigi Fontana, Alberto Burri, aber auch Francis Bacon, Anselm Kiefers gigantisches „Buch (The Secret Life of Plants)“ und eines dieser 1980er Jahre-Objekte von Ashley Bickerton, die uns damals so futuristisch vorkamen. Besonders spannend sind die Räume mit Frühwerken der Transavantgardia: Diese radikale Malerei der schon fast vergessenen Künstlern Cucchi, Clemente und Chia verdient absolut eine erneute Beschäftigung! Aber zurück zum Preis: Neben der Ausstellung beinhaltet der auch den Ankauf der gesamten Installation durch die Collezione. Und vor allem einen sechsmonatigen, völlig frei wählbaren Arbeitsaufenthalt in Italien.

Emma Hart, Mamma Mia!, 2017. Installationsansicht Collezione Maramotti © Emma Hart, Foto Dario Lasagni

Emma Hart, Mamma Mia!, 2017. Installationsansicht Collezione Maramotti © Emma Hart, Foto Dario Lasagni

Diese Zeit benutzte Emma Hart zunächst für einen Studienaufenthalt in der von Mara Selvini Palazzoli gegründeten Schule für Familientherapie in Mailand. Plazzolis systemische Methode zielt auf die Struktur innerfamiliärer Interaktionsmuster, die in den Beziehungen untereinander betrachtet werden. Co-Therapeuten beobachten die Sitzungen hinter Zweiwegspiegeln, und so konnte auch Hart einigen beiwohnen. Nach Mailand verbrachte sie drei Wochen im umbrischen Todi bei Matteo Boetti, dem Sohn von Alighiero Boetti, und in Faenza, um die Kunst der Keramik zu erlernen.

Emma Hart, Mamma Mia! Work in progress, Museo Carlo Zauli, Faenza. Foto Emma Hart Courtesy of the Artist

Emma Hart, Mamma Mia! Work in progress, Museo Carlo Zauli, Faenza. Foto Emma Hart
Courtesy of the Artist

In ihrer Installation verbindet sie jetzt die Keramik- mit der Therapietechnik und überträgt Erfahrungen menschlichen Verhaltens in Ornamente: Muster, in denen wir gefangen sind und die unser zwischenmenschliches Verhalten gerade in Familien dominieren. Kreisläufe, in denen Menschen stecken bleiben, die oft schon bei bestimmten Weisen der Begrüßung beginnen, was fixe Reaktionen triggert und Gegenreaktionen heraufbeschwört, oft verschärft mit leeren Worten wie ´immer´ oder ´schon wieder´.

Emma Hart, Restaurant, Milan 2016. Foto Emma Hart

Emma Hart, Restaurant, Milan 2016. Foto Emma Hart

Aber warum sind es nur negative Situationen? „Es ist offensichtlich nicht viel Spaß in den Gefühlen“, sagt Hart, „Familien sind der Ort, wo sich jede Emotion ausprägt und schnell umschlagen kann.“ Ist „Mamma Mia!“ auch über ihre Kleinfamilie? „Nein, sicher nicht, sondern über die Idee einer Familie. Familie ist hier für mich ein Begriff für Beziehungen.“

veröffentlicht in: Welt am Sonntag, 5.11.2017