Das Wasser ist nahezu schwarz, Clopapier, manchmal auch Kondome schwimmen vorbei. In der Wiese daneben steht ein Lautsprecher. Eine monotone Stimme verkündet: Cobalt, Kupfer, Quecksilber – eine lange Liste der Schadstoffe, die in der Emscher enthalten sind. Für seinen Beitrag zur Emscherkunst 2016 lässt Roman Signer jeden Tag das Flusswasser analysieren.
Die Emscher ist einer der eckligsten Flüsse Europas. Der 83 Kilometer lange Nebenfluss des Rheins entspringt in Holzwickede südöstliche von Dortmund, durchquert das Ruhrgebiet und fließt in Duisburg in den Rhein. Ursprünglich war es ein stark mäandrierender Fluss, im Mittelalter wurde sogar an den Hängen Weinbau betrieben. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Bevölkerung durch die Industrialisierung stark zu und man begann, das Grubenwasser der Bergwerke, aber auch das Abwasser der Haushalte und Brauereien in die Emscher zu entlassen. Der Fluss starb.
Lange gab es keine Alternative zu dieser Art der Entsorgung,weil unterirdische Kanäle durch die Bergschäden abgesunken wären. 1899 wurde die Emschergenossenschaft gegründet, die sich um die Abwasserreinigung, Hochwasserschutz und Gewässerunterhaltung kümmert – und seit 2010 auch um die Triennale Emscherkunst.
Die Triennale ist Teil des Projekts, die Emscher für rund 4 Mrd. Euro zu renaturieren, Kläranlagen und parallel zur Emscher ein Abwasserkanal zu bauen. Alle drei Jahre werden KünstlerInnen beauftragt, diese Umwandlung zu begleiten, die Veränderungen zu verbildlichen, die unterschiedlichen Nutzungen entlang der Emscher erlebbar zu machen. Für die 1. Emscherkunst 2010 waren mehr als 25 KünstlerInnen eingeladen, die Kunst-Route führte von Castrop-Rauxel über Herne, Essen bis Oberhausen. 2013 kamen weitere Projekte hinzu, die wie Kawamatas Turm auch permanent stehen bleiben.
Gerade eröffnete die 3. Emscherkunst, die von der Emscherquelle in Holzwickede (Ai Weiwei, Janet Cardiff & George Bures Miller, Henrik Kakansson) über den Phoenixsee in Dortmund bis zum Stadthafen Recklinghausen führt.
Teilweise werden ältere Arbeiten wie die Zelte von Ai Weiwei wieder eingesetzt, oder wie Mark Dions „Gesellschaft für Amateur-Ornithologen“ an neue Orte versetzt.
Dazu sind 15 neue Werke gekommen, insgesamt 24 Beiträge sind zu entdecken & erleben.
Manche reagieren wie Roman Signer und Superflex direkt auf den Fluss, der im Stadthafen von Recklinghausen noch nicht renaturiert ist. Die dänische Künstlergruppe setzt mitten in das schmale Flussbett einen Springbrunnen, der das dreckige Wasser in die Luft sprudelt – eine großartige Umkehrung der Situation, denn eigentlich vermeidet hier jeder den Blick auf das Gewässer.
Nahe des Hochwasserrückhaltebeckens zwischen Dortmund und Castrop-Rauxel hat Nevin Aladag Tetrapoden in die Wiesen gelegt – es deutet die Form einer Arche Noah an, versinnbildlicht aber auch die Wasserfluten, die hier bei Hochwasser das Land überschwemmen. Einfach zu finden sind solche Beiträge nicht, dafür ist es eine umso größere Überraschung, so überzeugene bildhauerische Kunst mitten im Grünland zu sehen. Am 13. August kommt noch ein weiteres Werk der Emscherkunst 2016 hierher, das sich unvermutet verzögerte: Massimo Bartolinis „Black Circle Square“. Bei der Standortsuche für sein weißes Becken mit einem schwarzen Kreis mittendrin ergaben die Bodenunterschungen so gravierende, offenbar illegal entstandene Schadstoffbelastungen, dass weitergesucht werden musste.
Die meisten Beiträge der Emscherkunst 2016 sind am Phoenixsee. Auf dem 96 ha großen Gelände der ehemaligen Hermannshütte in Dortmund-Hörde entstand 2006 ein rund 24 Hektar großer künstlicher See. Am Ufer stehen Luxusvillen, einige Reihen dahinter stehen noch die ärmlichen Häuser der ehemaligen Stahlarbeiter.
230 Mio. Euro kostete die Umgestaltung, die ein einzigartiges Naherholungsareal mit Uferpromenade, Hafen für Segelschiffe, Restaurants – und Kunst geschaffen hat. Benjamin Bergmann verfrachtete einen regulären Kiosk aus Venedig an das Ufer des Sees.
Er ist überzeugt, dass die vielen Jahre in der Lagunenstadt dem Verkaufsstand ein einzigartiges Flair mitgeben, dass künstlich nicht zu erzeugen wäre. Die Menschen hier sind jedenfalls begeistert.
Weiter hinten stehen Skulpturen von Lucy + Jorge Orta, die „cloud machine“ von Reiner Maria Matysik und um die Insel in der Mitte des Sees kreist das grandios humorvoll-kritische Video von Erik van Lieshout.
Einzig an das Experiment von Natalie Jeremjenko will man nicht recht glauben: Sie hat auf das Dach eines Zwischengebäudes eine Art Luftaufbereitungsanlage + Gewächshaus gesetzt. Schlechte Luft wird im Haus unten abgesaugt, die Pflanzen verbessern die Zusammensetzung und eine Pumpe schickt es wieder zurück. Aber ob die winzigen Töpfe ausreichen? Ob sich Salbei, Tomaten und Pfefferminze auf so engem Raum vertragen? Und ob alle Pflanzen die pralle Sonne gleichermaßen mögen?
Aber solche Experimente schaden dem Projekt Emscherkunst keineswegs – im Gegenteil: Es zeugt davon, dass hier eine große Umwandlung passiert, die noch auf der Suche nach den besten Wegen scheint.
Dass der Kunst darin ein wesentlicher Platz eingeräumt ist, gilt weit über das Ruhrgebiet hinaus als wegweisend, ist sich Kurator Florian Matzner sicher.