Eva Schlegel im MAK, Wien

20. Dez. 2010 in Ausstellungen

Eva Schlegel ist eine der bekanntesten Künstlerinnen in Österreich, ist Kommissärin für den österreichischen Beitrag auf der kommenden Biennale Venedig und rückt gerade im MAK die schmale Grenze zwischen Schweben und Scheitern in den Blick.
Fünfzehn Monate war er in den berüchtigten Bleikammern des Dogenpalastes in Venedig eingekerkert, bevor Giacomo Casanova die Flucht gelang. Neben Gotteslästerei saß er wegen Unzucht ein – ob Eva Schlegel diesen berühmten Libertin beim Entwurf ihrer Bleikammer im Sinn hatte? Denn in ihrer großen Einzelausstellung im MAK präsentiert sie in dem massiven, begehbaren Bleikubus eine stattliche Auswahl kleiner Porno-Bilder. Aber es ist nicht die Grenzerfahrung, sondern die Doppeldeutigkeit, die Schlegel hier interessiert. Blei sei hochgiftig, aber auch schützend, erklärt sie, und daher sei diese Kammer ein „Schutzraum für Erotik“.
„In Between“ nennt die 1960 in Tirol geborene Künstlerin ihre Schau. Es ist eine Retrospektive der besonderen Art. Denn Schlegel zeigt hier ihr Gesamtwerk, ohne dafür frühere Arbeiten erneut der Kritik auszusetzen. Schon lange arbeitet sie mit dem sehr malerisch wirkenden, in vielen Farben changierenden Blei, auf das sie ihre gefundenen Bilder druckt und so die Bildmotive vielschichtiger wirken lässt. Jetzt zeigt sie eine Serie von Wolken auf Blei. Ein zweites Erkennungsmerkmal ihres Werkes sind die unscharfen Foto-Motive, Anfangs Portraits, im MAK die Serie der Catwalk-Damen. Für die Unschärfe entschied sich Schlegel, denn: „Die Fotografie an sich hat mich nie interessiert, deswegen habe ich immer versucht, den Raum zusätzlich zu bearbeiten – ich wollte, dass die Portraits sich auch im Raum auflösen, dass sie schweben.“ „Wohlfühl-Ästhetik“ nennt der Kulturtheoretiker Wolfgang Ullrich die bis in die Romantik zurückgehende Tradition unscharfer Bildelemente, die eine „sanftere Welt suggeriert“ – vielleicht ein Grund für den erstaunlichen Kunstmarkt-Erfolg gerade ihrer weichgezeichneten Bilder?
Mit Unschärfe spielt Schlegel auch in ihren Text-Arbeiten, die sie auf Trennwände und Scheiben anbringt – prominentestes Beispiel dafür ist sicher ihr Biennale Venedig-Beitrag 1995 zusammen mit Coop Himmelb(l)au oder die Trennwand im Essl Museum zwischen Buch-Shop, Cafe und Ausstellungsraum. Dafür kopiert und vergrößert sie einzelne Seiten aus Büchern so lange, bis nur noch eine abstrakte schwarz-weiße Struktur übrig bleibt, die vage an ein Druckbild erinnert, aber nichts Lesbares mehr bietet. „Wann erkenne ich Text als Text, wenn auf der primären Informationsebene alles weggelassen ist?“ fragte sie dazu rhetorisch. Im MAK ist es der einleitende Wandtext, der natürlich nur in einer verdoppelten Version verunscharft ist – statt radikaler Schritte setzt Schlegel lieber auf den Schutzraum der visuell verführerischen Momente.
Ein dritter Rückgriff ist zugleich ihre neueste Arbeit im MAK: Als Studentin projizierte sie den Film eines Ventilators auf einen Ventilator. Im MAK ist es jetzt weniger experimentell: Auf den Blättern der drei riesigen Flugzeugrotoren schweben Menschen im leeren Raum einer Luftsäule, fliegen Vogelschwärme vorbei und legt sich zwischendurch ein riesiger Ballon todbringend über Gesichter – eine Szene aus einem frühen Science-Fiction Film. Dazwischen schwebt ein Text über die Rotoren, der von der hauchdünnen Grenze zwischen Fliegen und Fallen spricht.
Die bewegten Rotoren, die unscharfen Catwalk-Fotos, die massive Bleikammer, die raumhohe Wand aus weißen Wetterballons im MAK, parallel dazu in der Galerie Krinzinger ihre neuen Bleibilder von Fliegenden und die modularen Spiegeltische – all diesen Objekten und Bildern gemeinsam ist Schlegels konstantes Interesse am Schweben. Neu ist ihre Betonung der damit verbundenen Gefahr des Scheiterns, die Kombination von Fliegen und Fallen. Allerdings erleben wir in diesen Werken die eng verbundenen Gegensätze nicht als Grenzsituationen, sondern als recht wortwörtliche Übersetzungen in Bilder. Denkt man dagegen an Yves Kleins berühmten „Sprung in die Leere“, wird deutlich, wie weit das Spektrum von ´Fliegen und Fallen´ reichen kann. Yves Klein springt auf dieser Fotografie mit weit ausgebreiteten Armen von einer Mauer und veröffentlicht das Dokument in einer Tageszeitung, die nur an diesem einzigen Tag im November 1960 erschien. Mit seinem Sprung lenkt er den Blick nicht auf das Schweben, sondern auf die Leere – als Raum voller „Sensibilität“, wie er es nannte, was eine geistige Essenz oder eine Art universales Bewusstsein bezeichnet, vielleicht sogar als der Ort der Kunst gedeutet werden kann.
Schlegel greift in ihren neuen Bleibildern diesen Sprung wortwörtlich auf, springt dabei aber nicht in einen Raum voller Möglichkeiten, sondern schwebt in einem bildlich hübschen, visuell effektvollen, aber unbestimmten Etwas. In dieser Ausstellung erleben wir das Schweben und Scheitern nicht als spannungsgeladenes „Dazwischen“, wie es der Titel verspricht, sondern als ein Spiel mit Assoziationen. Darum auch steht die Bleikammer hier in keinerlei Zusammenhang mit dem Gefängnis, aus dem Casanova entkam und damit seinen Ruhm begründete, sondern als Schutzraum für Bilder.

veröffentlicht in: 9.12.2010

MAK (Museum für Angewandte Kunst), Eva Schlegel, In Between, Stubenring 5, 7.12.2010-1.Mai 2011, Mi-So 10-18, Di 10-24 Uhr
Galerie Krinziger, Eva Schlegel, 9.12.2010-5.2.2011